«Die Zukunft der Reformierten»: Wege durch die Schwäche

Die Reformierten sind Kinder des flüchtigen Jetzt, mehr als ihnen lieb sein kann. Gemeinde dünnt aus; der gesellschaftliche Wandel beutelt die Kirchen. Unvermeidlich ernüchtert das Buch „"Die Zukunft der Reformierten“". Doch die konstruktiven Hinweise in der vom Kirchenbund bestellten soziologischen Studie machen sie zu einem wertvollen Werkzeug für die anstehenden Arbeiten. Dabei darf man nicht im Bannkreis der von ihr skizzierten Megatrends bleiben.

Um reformierte Kirche auf nationaler Ebene eindeutiger zu leben, gehen die Mitgliedkirchen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK an eine Revision seiner Verfassung von 1950. Diese hält in Artikel 2 als prioritäre Aufgaben fest: "„a) die Wahrung, Stärkung und Ausbreitung des evangelischen Glaubens in der Schweiz; b) die Zusammenfassung aller protestantischen Kräfte; c) die Pflege der geistlichen Verbundenheit seiner Mitglieder“". Ursprünglich, bei seiner Gründung 1920, war dem Kirchenbund aufgegeben worden, "„alle evangelischen Christen der Schweiz zu einer im Geiste einigen Gemeinschaft zusammenzuschliessen und so an der Verwirklichung des Reiches Gottes mitzuarbeiten, zu dem unser Volk durch das Evangelium berufen ist“".

„Vielzahl riesiger Herausforderungen“

Die Verfassungsrevision soll realistisch und mit Weitblick geschehen, denn „ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel hat die Situation der reformierten Kirchen dramatisch verändert und zu einer Vielzahl riesiger Herausforderungen geführt“. Dies schreiben der Lausanner Religionssoziologe Prof. Jörg Stolz (Bild) und seine Assistentin Edmée Ballif. Die beiden haben für den Rat des SEK eine „Umfeldanalyse“ erstellt, die unter dem Titel „Die Zukunft der Reformierten“ im Theologischen Verlag Zürich veröffentlicht worden ist. Die 200-seitige Studie dient dem Rat dazu, seinen „Prospektivbericht“ an die Abgeordneten der Mitgliedkirchen zu erstellen. Er soll aufzeigen, wie der SEK weiter zu entwickeln und seine Verfassung zu revidieren wäre.

Die sozialwissenschaftliche Studie darf keinesfalls auf die insgesamt bedrohlichen Megatrends reduziert werden, denen sie die Schweizer Reformierten ausgesetzt sieht. Die Autoren zeigen nämlich auf, wie Kantonalkirchen auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren, und geben Empfehlungen zum weiteren Vorgehen. Sie haben Dokumente von 14 Kirchen gesichtet und mit 53 führenden Reformierten und Fachleuten vertiefende Interviews geführt. (Hauptaussagen des Buchs in Zusammenfassung)

“Erfolgversprechende Strategien“

Als Fazit halten Stolz und Ballif zwar fest, dass die reformierten Kirchen „in den nächsten Jahrzehnten kleiner, (im Durchschnitt) älter und ärmer sein werden“. Aber viele von ihnen hätten auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagiert und „eine grosse Anzahl erfolgsversprechender Strategien schon in Angriff genommen“. Die Studie mündet in die Empfehlung, dass die Kirchen im SEK voneinander lernen, solche Strategien übernehmen und sich national besser abstimmen. Der Hoffnung, die Schwierigkeiten des SEK mit der geplanten Verfassungsrevision – und mehr Kompetenzen für den Bund – zu beheben, bringen die Autoren Skepsis entgegen. Wenn der SEK über geringen Einfluss und mangelnde Anerkennung klage, lägen dem „zu einem grossen Teil Kommunikationsprobleme“ zugrunde. „Wenn der SEK und die Kantonalkirchen diese Probleme nicht bald lösen, werden sie hierdurch in Zukunft wichtige Nachteile davontragen.“

Von der Soziologie zur Ekklesiologie

Wie soll mit dem wichtigen Buch umgegangen werden? Soziologen beschreiben mit Megatrends gültig, doch innerweltlich und die Transzendenz ausklammernd, was uns umgibt und prägt und was die Kirche (un)attraktiv macht. Jörg Stolz und seiner Assistentin Edmée Ballif ist zugute zu halten, dass sie auch Türen benennen, durch die die Reformierten in neue Räume eintreten können, und erfolgreiche Vorgehensweisen der Kirchen hervorheben. Es ist die Stärke und zugleich die Grenze des Buchs, dass es Kirche sozialwissenschaftlich beschreibt. Die Lage wird nicht beschönigt. So regt die Studie die Debatte um die Zukunft der Reformierten, der Nüchternheit Not tut, vielfach an. Doch – und das ist auch den Verfassern bewusst – wird entscheidend sein, ob auch geistliche und theologische Gesichtspunkte die Auseinandersetzung bestimmen oder vor allem „Megatrends“ und „Strategien“.

Glaube, Liebe Hoffnung

Mit der Analyse und Debatte einhergehen muss ein geistliches Ringen aufgrund des Evangeliums, der Worte Jesu und der Apostel. Sonst ergeben sich die Reformierten der Säkularisierung und erliegen den Megatrends. Beseelt der Glaube an Jesus, den Erlöser, Befreier und Herrn, die dadurch motivierte Liebe und Dienstbereitschaft gegenüber Mitmenschen und die Hoffnung auf die mit Jesus kommende Herrschaft Gottes die Reformierten? Bestimmen Glaube, Liebe und Hoffnung ihren Auftritt in der Gesellschaft? Das Buch wird so zu einem Test, ob die Schweizer Reformierten – auch jenseits des sozialwissenschaftlichen Horizonts – im Kirchenbund Kirche zu glauben, zu erringen und zu gestalten vermögen.

“Verwandelt in die Gestalt…“

Es zeichnet Reformierte aus, dass sie ihr Kirchesein nicht nur von der Tradition her bestimmen, sondern fortwährend aus dem gemeinsamen Hören auf die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments schöpfen. Da ist zu lesen: „Durch Glauben erkennen wir, dass die Welt erschaffen ist durch Gottes Wort“ (Hebräer 11,3, vgl. Römer 1,20.21). „Denn er ist es, der sprach, und es geschah“ (Psalm 33,9). „Der Herr macht zunichte die Pläne der Völker“ (Psalm 33,10). „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so verwandelt in die Gestalt, die er schon hat, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie der Herr des Geistes es wirkt“ (2. Korinther 3,17.18). „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden… Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5,17.20).

Die „im Geist einige Gemeinschaft“, zu deren Förderung der Kirchenbund 1920 gegründet wurde, ist wieder und neu zu suchen, zu erringen und zu stärken. Darin liegt für die Reformierten – angesichts und jenseits aller Megatrends und interner Reibungen – Zukunft.