Theologie und Religionswissenschaft in Zürich

LKF: Wie hat sich die Theologische Fakultät der Universität Zürich in Ihrer Zeit verändert?
Ingolf U. Dalferth:
Mit dem neuen Universitätsgesetz von 1998 änderte sich der Status der Fakultät: Seither ist sie keine reformierte Fakultät mehr, sondern einfach eine theologische, ohne irgendeine theologische Anbindung an irgendetwas. Zuvor existierten historisch bedingte Bindungen an die Landeskirche. Man argumentierte damals, dass sie nicht länger explizit gemacht werden sollten, zum einen weil das innerhalb der Universität nur Probleme schaffen würde, zum andern weil das Verhältnis auf der höheren Ebene Kirche-Kanton geregelt sei. Dann aber wurde eben jenes Verhältnis entflochten.

Und was bedeutet das für die Universität?
Die Universität hat heute eine Theologie ohne rechtlich geregeltes Bezugsfeld. Dagegen verfügen deutsche Universitäten über Regelungen, wonach bei Besetzungen von Lehrstühlen an theologischen Fakultäten oder Fachbereichen die Kirchen ihre Zustimmung geben müssen.

Die kirchlichen Dienstexamen werden in Deutschland – analog zu den Staatsexamen – von kirchlichen Prüfungskommissionen abgenommen. Das war auch in der Schweiz so: von Vertretern des Konkordats. Parallel zum neuen Universitätsgesetz wurde das jedoch abgeschafft; die Abschlussprüfungen in Theologie finden heute als rein akademische Prüfungen, nicht mehr als kirchliche Prüfungen statt.

Ist das Theologiestudium dadurch anders geworden?
Inhaltlich hat es sich dadurch noch nicht verändert. Aber da die rechtliche Bindung an die Landeskirche weggefallen ist, sind wir eine theologische Fakultät, die nur noch dem Herkommen nach christlich und refor miert ist. Im Grunde könnten wir jeden, der fachlich qualifiziert ist, auf einen Lehrstuhl berufen. Ich war im Jahr 2000 Dekan und drang darauf, dass beim Wegfall der rechtlichen Regelung wenigstens auf der tiefsten Ebene des Organisationsreglements der Fakultät festgehalten wurde, die Landeskirche bei Lehrstuhlbesetzungen anzuhören. Doch das ist eine leicht beseitigbare Regelung.

Wie hat sich das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft verändert?
Mit dem geschilderten Prozess war die Theologische Fakultät nicht mehr bestimmt als reformierte oder christliche. Als Kriterium für Besetzungen blieb bloss die fachliche Qualität – was in bestimmter Hinsicht auch richtig ist. Aber wir könnten einen qualifizierten Moslem, der hier Altes Testament unterrichten will, nur aus fachlichen Gründen und nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Islam abweisen.

Um 2005 gab es den anderen grossen Einschnitt, als man in einer nicht durchdachten Aktion meinte, der Religionswissenschaft einen parallelen Status zur Theologie an der Fakultät einräumen zu müssen. Man versuchte damals dem Studiengang Religionswissenschaft eine klarere institutionelle Ausgestaltung zu geben. Er war von Fritz Stolz, der unglücklicherweise früh verstarb, in Zusammenarbeit mit der philosophischen Fakultät entwickelt worden, hatte seinen Ort aber an der Theologischen Fakultät.

Um der Eigenart des Studiengangs gerecht zu werden, etablierte man ein religionswissenschaftliches Seminar neben dem der Theologie, bedachte aber nicht, dass nach der geltenden Universitätsordnung damit nicht zwei Studiengänge unterschieden, sondern zwei Institute eingerichtet waren, die sich als ‚Theologie’ und ‚Religionswissenschaft’ gegenüberstehen.

Ist das denn problematisch?
Damit wird der falsche Eindruck erweckt, die Religionswissenschaft sei eine Alternative zur Theologie, während doch die Theologie ein Verbund von Fächern ist, zu denen u.a. auch die Religionswissenschaft gehört. Auf der anderen Seite hat die Religionswissenschaft kein klares Bezugsfeld, weil sie als Disziplin wie die Geschichtswissenschaft oder die Philologie aus der philosophischen Fakultät stammt. Aber anders als diese weiss sie angesichts der Auflösung des Religionsbegriffs kein vernünftiges Kriterium dafür anzugeben, was eigentlich in ihr Arbeitsfeld fällt und was nicht.

Die institutionelle Folge dieser Entscheidungen war nicht nur, dass die bisherigen Institute für Hermeneutik und Religionsphilosophie, Reformationsgeschichte und Sozialethik aufgehoben und in das theologische Seminar integriert wurden und heute nur noch dem Namen nach bestehen. Die Folge ist vor allem, dass der Status der Theologischen Fakultät als eigenständige Fakultät in Frage steht.

Faktisch ist damit aus einer Theologischen Fakultät eine Art geisteswissen schaft liche Minifakul tät geworden, die an zwei Semi naren theologische und religionswissenschaftliche Studien gänge an-bietet. Aber warum sollten zwei geis tes wis sen schaftliche Seminare, an denen Stu diengänge in zwei Fächern unter richtet wer den, den Status einer Fakultät haben? Wer würde ernst haft daran denken, Germanistik und Indologie zu einer eigenen Fakultät auszu ge  stalten? Oder Psychologie und Klassische Philologie? Oder Romanistik und Philosophie? Diese Fragen beantworten sich von selbst.

Wie stellen Sie sich zur Meinung, die Religionswissenschaft löse in gewissem Sinn – als Wissenschaft für die multireligiöse Gesellschaft – die christliche Theologie ab? Es heisst, es gehe nun um einen akademisch verantworteten Umgang mit Religionen.
Das ist einer der Mythen, die durch ständige Wiederholung nicht wahrer werden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Progress von der Theologie zur Religionswissenschaft. Es gibt keine Methode in der Religionswissenschaft, die nicht auch in der Theologie angewendet würde bzw. angewendet werden könnte. In Punkto Wissenschaftlichkeit haben sie sich gegenseitig nichts voraus. Die Religionswissenschaft aber ist ein Fach, dessen Ausrichtung nicht bestimmt ist. Es gibt keine klare Definition ihres Arbeits- und Lehrgebiets, keine klaren Kriterien, was dazu gehört und was nicht. Es geht nach allen Richtungen. Jeder hat das Modell, das ihm oder ihr gerade am stärksten einleuchtet.

In Zürich haben wir einen institutionellen Fehler begangen, als wir die Religionswissenschaft der Theologie als ein gleichrangiges Fach auf derselben Ebene gegenüber stellten. Das ist strukturell falsch. Die Theologie ist ein Verbund von Fächern, von der Alttestamentlichen Wissenschaft bis zur Praktischen Theologie, und die Religionswissenschaft war als Religionsgeschichte schon immer ein Teil dieses Verbunds.

Natürlich kann man die Religionswissenschaft ausdifferenzieren und als eigenen Studiengang entwickeln, wie auch die Kirchengeschichte oder die biblische Theologie. Aber das macht sie nicht zu einem Fächerverbund wie die Theologie. Jetzt aber haben wir nicht nur den Lehrstuhl für Religionsgeschichte und einen Lehrstuhl für Systematische Theologie an die Religionswissenschaft verloren, sondern eine Opposition zwischen zwei Grössen festgeschrieben, die gar nicht auf der gleichen Ebene stehen.

Manche Studierende legen nun den Schwerpunkt auf religionswissenschaftliche Studien.
Es handelt sich um zwei verschiedene Studiengänge. Der Studiengang Religionswissenschaft bildet für etwas anderes aus. In Zürich hängt damit eine dritte Veränderung zusammen: Mit der Aufwertung des Religionsunterrichts in der Schule und damit, dass es fürs Unterrichten des Fachs „Religion und Kultur“ religionswissenschaftliche Abschlüsse braucht, hat man für diese Studien ein Arbeitsfeld geschaffen, das vorher gar nicht existierte. Damit haben wir nun in Zürich die ungute Lösung, dass sich die Religionswissenschaft für die Ausbildung der Religionslehrer zuständig fühlt, während die Theologie auf die Pfarramtsseite beschränkt ist. Für beides gab und gibt es keinen guten Grund. Man hat auch hier die Konsequenzen nicht bedacht.

Wenn die Fakultät nicht mehr bestimmt ist als Ort der Lehre und Forschung für christliche Theologie, wenn die Theologie nicht mehr in einer bestimmten Weise von Gott und anderen Themen redet, wird sie undifferenziert und verliert ihr Profil.

Wie soll denn das Profil gestaltet werden?
Dieses Profil muss immer im Kontext der Zeit bestimmt werden, aber es muss ein christliches Profil sein, wenn man eine Fakultät sein will, die mit Recht den Anspruch erhebt, christliche Theologie zu lehren. Religionsphilosophie ist wichtig, aber sie ist kein Ersatz und keine Alternative zur Systematischen Theologie oder Dogmatik, wie man an anderen Orten in der Schweiz zu denken scheint. Man kann sich in der heutigen Situation auch nicht mit Alternativen profilieren, die sich an Ansätzen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts orientieren. Das gilt für Ernst Troeltsch nicht weniger als für Karl Barth. Wir müssen unsere heutigen Antworten finden. Dafür kann man von früheren nicht genug lernen. Aber es müssen christliche Antworten sein, und sie müssen für das 21. Jahrhundert taugen.

Lesen Sie weiter:
Europa und die Chance, Gott zu vertrauen