Künder des menschenfreundlichen Gottes
Er stellte Christus ins Zentrum der Theologie, liess sich als reformierter Schweizer von ihren grossen Themen umtreiben und legte sie sprachgewaltig dar. Karl Barth (1886-1968) hat Hinweis-, Warn- und Stopp-Schilder in die kirchliche Landschaft gestellt, die weiterhin zu beachten sind. Niklaus Peter, Pfarrer am Zürcher Fraumünster, äussert sich zu Ecken und Kanten von Karl Barth.
LKF: Was bedeutet die Auferstehung von Jesus Christus an Ostern für uns Menschen und für die Welt?
NIklaus Peter: Für Karl Barth ist Gottes Offenbarung in Jesus Christus die Mitte der christlichen Botschaft – nicht einfach nur Jesus als frommer Mensch oder Prophet, sondern das, was Weihnachten, Karfreitag und Ostern für Christen bedeutet: Gott wird Mensch, er überwindet die menschliche Sünde, indem er den Tod am Kreuz erleidet – und so die dunkle Macht des Todes überwindet.
Ein ganzer Abschnitt seiner Auslegung des Römerbriefes trägt den Titel «Die Kraft der Auferstehung» (Römer 6.1-11, Seite 259-286) – und diese Menschenfreundlichkeit Gottes war die stärkste Kraft – gerade auch gegen die Hassreligion der Nazis!
Was meint «dialektische Theologie» im Ansatz?
Das «Dialektische» der dialektischen Theologie Barths liegt erstens in einer ur-reformierten Erkenntnis – nämlich der Differenz zwischen Gott, dem Heiligen, dem Schöpfer und uns, den oft so problematischen, unheiligen Geschöpfen.
Und zweitens, dass deshalb auch Theologen – als normale, problematische Menschen – Gottes Wort eigentlich nicht wirklich verkünden können – und es trotzdem tun sollen! Eine Dialektik von Nichtkönnen – und trotzdem gestellter Aufgabe.
Woher stammt Karl Barths Abneigung gegen Pietisten und ihre Frömmigkeit – und wie hat sie sich im Lauf seines Gelehrten-Lebens ausgewirkt?
Er hatte nicht eine persönliche «Abneigung» gegen Pietisten (und hatte übrigens viele pietistische Studenten und Freunde), sondern er sah, dass der auf die eigene Frömmigkeit konzentrierte Glaube des Pietismus genauso anfällig war für menschliche Selbstüberhöhung wie es die Liberalen waren mit ihrer modernen Religion der Ethik und des «Gewissens». Und er war erschüttert, wie viele Pietisten in Deutschland völlig unpolitisch waren und Hitler bejubelten, und auch nach dem 2. Weltkrieg politisch naiv waren.
Worin liegt für Sie die Aktualität der Barmer Erklärung von 1934? Auf welche Frontstellungen wäre sie heute anzuwenden und wie?
Die Barmer Erklärung hatte ihren klaren historischen Ort in der Abwehr der «Deutschen Christen» und ihres nationalsozialistischen Evangeliums – das kann nicht direkt übernommen werden. Aber die Wachsamkeit gegenüber «wissenschaftlich» daherkommenden neuen Ideologien und politischen Lehren ist heute genauso wichtig wie damals, und deshalb die Frage des Barmer Bekenntnisses: Wer ist letztlich unser «Herr»? Was heisst es, wirklich «Kirche» zu sein?
So haben südafrikanische Christen in der Belhar Declaration von 1986 sich gegen den Rassismus in ihren Kirchen gewandt und zur Überwindung der Apartheid beigetragen! Im Moment sehe noch keine solch akuten Bedrohungen. Vielleicht ein neuer Nationalismus, der wieder religiöse und zugleich gewalttätige Züge annehmen könnte? – Dann müssten wir ein neues Bekenntnis wie damals in Barmen schreiben!
Wo sehen Sie Konstanten, wo starke Akzentverschiebungen oder Brüche in Karl Barths Theologie, im Laufe seiner Tätigkeit als Professor in Basel?
Es gibt eine Akzentverschiebung vom prophetischen «Nein!», von der scharfen Kritik gegen alle möglichen Formen des politischen Missbrauchs und der Verwässerung des christlichen Glaubens hin zu einer starken Betonung des «Ja», der positiven Reformulierung des christlichen Glaubens in seinem grossen Werk «Die Kirchliche Dogmatik». Dies ist letztlich seine grosse Leistung gewesen – eine biblische gefüllte, lebendige Sprache in der Theologie zu neuem Leben erweckt zu haben – und damit eine Freude an der Predigt!
Warum grenzte Barth sich gegenüber Weggefährten und anderen bedeutenden Theologen so heftig ab? Gibt es tiefere Gründe für die Streitlust?
Manchmal sah Barth halt etwas klarer und schärfer als andere – und er hatte die Sprachkraft, das auch zu formulieren. Er hatte keine Lust am Streit, sondern einfach eine brennende Sorge um den gefährdeten christlichen Glauben. Einmal klagt er in einem Brief: er wäre ja auch lieber ein «Johannissimus» («Kinderlein, liebet einander!») als ein Nein-Sager – aber wie die Propheten eben manchmal Nein sagen mussten, so auch Barth…
Karl Barth hatte enormen Einfluss. Was bleibt davon? Er prägte eine Generation von Pfarrern – wohin haben sie die Schweizer Reformierten (nicht) geführt?
Tatsächlich sind wir theologisch wieder ähnlichen Strömungen ausgesetzt wie damals, als Barth seinen Römerbrief-Kommentar schrieb und die Theologie des 20. Jahrhunderts so tiefgreifend veränderte! Und deshalb bräuchten wir heute wieder einen neuen Karl Barth – keine «Barthianer», keine Nachbeter. – Aber eben: Wer hat die Kraft, den Mut und die Glaubenserkenntnis, die ihm damals geschenkt wurden? Ich halte Ausschau und hoffe auf neue Leute!
Niklaus Peter, Dr. theol., ist seit 2004 Pfarrer am Fraumünster in Zürich. Er gehört dem Stiftungsrat der Karl Barth-Stiftung an und ist im ehrenamtlichen Vorbereitungs- und Leitungskreis der jährlichen Karl Barth-Tagungen auf dem Leuenberg bei Hölstein (15.-18. Juli 2019).
Das Interview wurde per Mail geführt. Bilder: Karl Barth Archiv Basel
Website zu Karl Barth und den Veranstaltungen 2019
Buchtipps
Christiane Tietz: Karl Barth. Ein Leben im Widerspruch
C.H. Beck, München, 2., durchgesehene Aufl., 2019, 538 Seiten mit 50 Abbildungen,
Hardcover, 978-3-406-72523-4
Ralf Frisch: Alles gut. Warum Karl Barths Theologie ihre beste Zeit noch vor sich hat
TVZ Zürich, 3. Aufl. 2019, 204 Seiten, Paperback, 978-3-290-18172-7
Karl Barth: Augenblicke. Texte zur Besinnung
Hg. von Eberhard Busch
TVZ Zürich, 2. Aufl. 2005, 121 Seiten, Paperback, 978-3-290-17390-6
Barth lesen. Zentrale Texte seines Denkens
Hg. von Matthias Freudenberg, Georg Plasger
TVZ Zürich, 2019, 346 Seiten, Paperback mit Abbildungen, 978-3-290-18209-0