• Im Strom der Postmoderne: Mut zur befreienden Gegenerzählung

    Die Postmoderne versteht Dr. Alex Kurz in seiner Studie Zeitgemäss Kirche denken als „eine eigenwillige Verselbständigung von Moderne, welche diese ebenso weiterführt wie aufsprengt und dadurch auch einen neuen Zugang zur Gottesfrage impliziert“. Aus der Frage, „was ‚Postmoderne‘ aus dem Christentum macht“ und welche seiner Aspekte in ihr relevant sind, kann – so hofft Kurz – der Kirche in der Krise die Chance zur Erneuerung erwachsen, wenn sie dem „vorherrschenden Credo einer totalen Verfügbarkeit des Menschen“ im Konsumsystem eine Gegenerzählung entgegenwirft. Kirche kann neu werden, indem sich der Mensch „der Hand Gottes übereignet, die ihn der Marktlogik entzieht“.

    In der Auseinandersetzung mit Nietzsche und Freud, mit Lévi-Strauss, Lyotard, Foucault, Derrida, Schulze und Beck gelingt es Alex Kurz, postmoderne Befindlichkeiten eindringlich zu beschreiben (u.a. Möglichkeit des Wählens wichtiger als Wahl, Kurzfristigkeit, intensives Erleben soll Identität stiften). „Es sind nicht mehr die Wertesysteme, die den Mehrheiten Wegweisung für konkrete Situationen vermitteln, sondern Situationen, die Mehrheiten für eine konkrete Wertung entstehen lassen.“ Postmoderne Spiritualität ist dann „nicht schwerpunktmässig mit einer religiösen Lehre verbunden, sie ist wesentlich unmittelbares und punktuelles Erleben“.

    Laut dem Autor, der Pfarrer in Rohrbach im Oberaargau ist, kann die umfänglich destabilisierte Gesellschaft von Kirchen nicht „restabilisiert“ werden. „Aber es ist erlaubt, von stabilen Kirchen-Schiffen zu träumen, die auf dem flüssig gewordenen Untergrund der Postmoderne zu schwimmen vermögen, (die) einen eigenständigen Kurs einschlagen und Sinnsuchenden die Erfahrung eines relativ stabilen gedanklichen Innenraums bieten“. Das Buch skizziert, wie christliche Überzeugungen neu gefasst und wie die Glaubenden „in den Strom der Tradition und Geschichte“ wieder eingebunden werden könnten.

    Was die Kirchen betrifft, ist für Alex Kurz klar, dass überholte Selbstbilder ihnen auf dem religiösen Markt nicht weiterhelfen. Aber auch mit Abschottung erfüllen sie ihren Auftrag nicht. Kurz warnt vor der Gefahr für Gemeindeaufbau-Initiativen, „sehr viel Marktlogik in ihr frommes Sprachspiel aufzunehmen und religiös zu kaschieren“. Mit Kasualien kommen Kirchen an Menschen heran, doch nur wenn eine Kerngemeinde existiert, finden sie sich ein und bleiben.

    Kurz konkretisiert in seinem Buch die Herausforderung für die kirchliche Erwachsenenbildung – nun „ein Weg, auf dem Kirchen sich selbst verstehen und ausdrücken lernen“, indem sie die Marktlogik unterlaufen und die „Logik des Evangeliums“ vielstimmig aufleben lassen. Jede Kirche muss sich zuerst ihrer Identität sowie des Umfelds bewusst werden, bevor sie ihre Aufgabe erfüllen kann: „Sorgfältiges Hören – auch auf Kirchenferne – und lernendes Miteinander verhelfen zu einer neuen Sprache des Glaubens, zu neuen Bildern für die Botschaft des Evangeliums, zu neuen Formen christlicher Spiritualität.“ Denn – so die Mahnung des Berner Theologen: „Die Stärke vergangener Glaubensauffassungen erweist sich im Rückblick als eine ihrer entscheidenden Schwächen.“ Neues gelte es in Gottes Namen mutig auszuprobieren. Alex Kurz schliesst mit der Skizze einer „Projektkirche“.

    Alex Kurz
    Zeitgemäss Kirche denken
    Analysen und Reflexionen zu einer postmodernen kirchlichen Erwachsenenbildung
    Kohlhammer, Stuttgart, 2007, 978-3-17-019877-7

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