In der Synode diskutieren wir zurzeit ein ambitiöses Konzept zur „Geistlichen Begleitung von Kindern und Jugendlichen“. Es basiert auf den vier Säulen „Feiern – Bilden – Begleiten – Erleben“, wobei das Erleben künftig einen deutlich höheren Stellenwert erhalten soll. Junge Menschen sollen schrittweise und ganzheitlich zu einem stimmigen Glaubens-, Gottesdienst- und Gemeindeleben hingeführt werden.
Wie kam es dazu, dass die St. Galler Kantonalkirche solche Arbeiten und damit den Gemeindeaufbau insgesamt fördert?
Bei meinem Amtsantritt 2000 war ich erstaunt zu sehen, dass sich unsere Kirche nicht wirklich fragte: Wer wollen wir sein und in welche Richtung wollen wir gehen? Die Welt verändert sich aber rasch und radikal. In dieser Situation muss man klar wissen und formulieren, wer man ist und wie man dorthin kommt, wo man hin will. Der Kirchenrat stellte sich der Herausforderung und startete das Projekt ‚St. Galler Kirche 2010‘. Entscheidend war ein partizipativer Prozess mit allen Kirchenvorsteherschaften und allen kirchlichen Berufsgruppen, gipfelnd in durch die Synode beschlossenen Leitzielen 2010.
Als Kernpunkt kristallisierte sich die Vision einer Kirche „nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“ heraus. Wir wollen eine Kirche mit klarer Identität sein, in der es um Gott, um Christus, um eine klare Glaubensbeziehung geht. Und wir wollen nahe bei den Menschen sein, wie sie eben leben. Das eine ist im christlichen Glauben nicht vom anderen zu trennen – wie zwei Brennpunkte einer Ellipse. Sie können einen Menschen nur wirklich verstehen, wenn Sie ihn im Licht Gottes sehen: dass er geliebt ist und Vergebung braucht und trotz seines Fehlgehens angenommen ist. Und Sie gehen an Gott vorbei, wenn Sie ihn nicht in seiner Liebe, mit seinem Verlangen nach einer Beziehung mit den Menschen und im Engagement für sie verstehen. Dass wir als Kantonalkirche diese Grundausrichtung gemeinsam bestimmt haben, bis auf Stufe Kirchenvorsteherschaften und Kirchgemeinden, ist unerhört wichtig. Sie prägt unsere Kirche und gibt ihr programmatische Kraft.
Wie setzen Sie diese Grundausrichtung um?
Wir setzten mit den Leitzielen 2010 Schwerpunkte und schufen zur Umsetzung neue Arbeitsstellen in den Bereichen „Familien und Kinder“ und „Pastorales“. Diese unterstützt Pfarrpersonen in der Gestaltung und Entwicklung von Gottesdiensten. Ein Netzwerk und eine neue Arbeitsstelle Junge Erwachsene entstanden. Um nahe bei den Menschen zu sein, fördern wir neben der klassischen Kirchenmusik verschiedene Musikstile, von Alpsteinkultur bis zu Rock und Pop. Dazu wurde eine neue Arbeitsstelle populäre Musik mit einem Jazzmusiker geschaffen.
An unserer Kirchenmusikschule etablierten wir einen neuen Lehrgang mit dem Schwerpunkt populäre Musik – die erste staatlich anerkannte Ausbildung für populäre Kirchenmusik in der Schweiz. In der Zwischenzeit konnten wir für erfolgreiche Absolventen bereits einen weiterführenden Zweijahreslehrgang starten. Begleitend haben wir ein neues Kirchenmusikreglement eingeführt. Es wertet die Kirchenmusik deutlich auf, setzt Qualitätsstandards und fordert von unseren Kirchgemeinden die Förderung einer breiten Palette von kirchenmusikalischen Stilrichtungen.
Prüfen Sie, ob das alles erfolgreich ist? Korrigieren Sie Ziele auch?
2005 bis 2007 stand nach dem Willen der Synode eine Evaluation an, kombiniert mit der bei uns alle 10 Jahre durchzuführenden Visitation aller Gemeinden. Eine Umfrage, die quantitativ ausgewertet wurde, viele Statistiken und Gespräche mit sämtlichen Kirchenvorsteherschaften, mit Mitarbeitenden und Berufsgruppen führten zu einem umfassenden Visitationsbericht, der in einer Aussprachesynode diskutiert wurde. Auf der Basis dieser Situationsanalyse beschloss die Synode unter dem Titel ‚St. Galler Kirche 2015‘ neue Leitziele unter den drei Schwerpunkten: a) Auftrag und Vision vertiefen, b) Programmarbeit stärken: Qualität, Vielfalt und Innovation, c) Lebendige Kirchgemeinden fördern, namentlich durch Gemeindeentwicklung und Mitarbeiterförderung. In diesen Gebieten müssen wir eindeutig noch besser werden.
Gemeindeentwicklung meint ein systematisches, zielorientiertes Schaffen im Gemeindeaufbau und die Bildung von regionalen Kirchgemeinden in Gebieten mit vielen Einzelgemeinden. Es geht primär um Programme und optimalen Personaleinsatz, erst sekundär um Finanzen: Kleine Kirchgemeinden sind eingeschränkt auf klassische Kirchgemeindearbeit (das konnte man empirisch zeigen); sie können viel Notwendiges nicht tun, weil ihr Fischteich zu klein ist. Zweitens können wir mit Personalpools Mitarbeitende viel flexibler, interdisziplinärer und gabenorientierter einsetzen.