Die beiden Hände Christi
hc. Im Raum der evangelischen Kirchen der Schweiz haben sich verschiedene neue Kommunitäten gebildet. Von diesen Gruppen und ihrem verbindlichen gemeinsamen Leben im Geist des Evangeliums geht Ausstrahlung aus. Sie machen uns bewusst, dass die Reformation radikal mit der Sozialgestalt der Klöster brach, weil man sich von den Auswüchsen trennen wollte. Es wurde ausradiert statt reformiert. Man setzte auf Ortsgemeinde und Familie. (Heute sind beide Institutionen in der Krise.)
Wir fragen: Soll das, was die Reformatoren abschnitten, wieder eingepflanzt werden? Sich dies vorzustellen, erfordert gewiss etwas Phantasie. Einzelne Kantonalkirchen und Kirchgemeinden geben den Kommunitäten Raum und integrieren sie. Ist die Zurückhaltung der anderen darauf zurückzuführen, dass kommunitäres Leben zu radikal ist?
Nach Generationen wieder einpflanzen
In der Tat entwickeln sich Kommunitäten, Bewegungen und Gemeinschaften zu Leuchttürmen in einer Gesellschaft, die nach Orientierung fragt. Kirchenleitungen und Pfarrkonvente sind schlecht beraten, wenn sie die evangelischen Werke mit sichtbarer und gelebter Nachfolge gering achten. Die Diakonie ist nicht Magd einer Kirche des Wortes, sondern beansprucht als die andere Hand Christi einen eigenständigen Platz.
Eine kluge Kirche wird die Gemeinschaften und Bewegungen einladen, unter ihrem Dach solidarisches Leben zu verwirklichen, um miteinander einer verwilderten Gesellschaft Orientierung zu bieten. Sie braucht Kommunitäten und Bewegungen als sichtbare Orte der Gottesliebe und des Gebets. Nur beide Hände zusammen führen die Kirche Christi zurück zu Schönheit und Präsenz: Schönheit in einer neu zu erlernenden leiturgia der gottesdienstlichen Feier und koinonia im Gottesdienst des Alltags.
Persönlichkeit entwickeln
Das gemeinsame Leben ist verbunden mit Opfer und Verzicht und setzt dem Individualismus Grenzen. Es geht nicht ohne den Willen zur Veränderung und charakterlichen Reifung. Heutige Kommunitäten setzen ihre Akzente gemäss den ihnen verliehenen Charismen. Das befähigt sie zu einem kompetenten – und fragilen – Zeugnis in der Gesellschaft.
Die Verherrlichung des autonomen Menschen in den westlichen Gesellschaften führt vielfach zu Beziehungsunfähigkeit und Überdruss. Als reformierte Kirche werden wir heute einen Weg zwischen Kollektiv und Individuum suchen. Dabei bleiben wir auf ein lebendiges Mit- und Ineinander von Institution und Bewegung angewiesen.