Diakonie: Kern und Kreise

Wie bildet die Kirche die Liebe Christi im 21. Jahrhundert tätig ab? Diakonie steht in Spannungsfeldern, in Zeiten des Sparens auch unter Verwesentlichungsdruck. Dies zeigt eine Umfrage unter reformierten Diakoniefachleuten. (Die Antworten sind ungekürzt dokumentiert unter «Perspektiven der Diakonie».)

Diakonie entspringt dem Gebot Jesu, Gott und den Nächsten zu lieben, ist „Ausdruck gelebten Glaubens“ (Kirchenordnung ZH, Art. 65). Gott ist daran, die neue Welt von Gerechtigkeit und Heil, Frieden und erfüllter Gemeinschaft zu schaffen. „Armen wird das Evangelium verkündigt“, bezeichnet Jesus die Wirkung seiner messianischen Sendung (Mat 11,5).

Diakonie geht davon aus, „dass jeder Mensch einen einzigartigen Beitrag zum Aufbau christlicher Gemeinschaft leisten kann“, unterstreicht Konrad Meyer, BS. Er ist nicht bloss Hilfsempfänger, sondern berufen zur Teilhabe am Künftigen, das Gott schafft und das in der Gemeinschaft der Kirche schon erahnt und antizipiert werden soll.

Dafür gehen Verkündigung, Seelsorge und Diakonie zusammen – als Dienst am ganzen Menschen, der die Zuwendung Gottes abbildet. Das Dienen nach dem Vorbild Jesu ist allen Christen aufgetragen (Joh 13,15; Eph 4,12) und soll Menschen voraussetzungslos zugutekommen. Diakonie ist eine Lebenshaltung, „nicht das Wichtigste, sondern das Selbstverständliche der Kirche – und ihrer Mitglieder“, betont Andreas Jakob, ZH. Seine langjährige Mitarbeiterin Vreni Burkhard hebt den Zug zur Gegenseitigkeit im Engagement für den Nächsten hervor: Jeder kann etwas tun, jeder braucht einmal Hilfe.

Diakonie braucht Profis
Was in der Kirche professionell mit Einbezug von Erkenntnissen der Geistes- und Sozialwissenschaften getan wird, heisst Sozialdiakonie. Für Astrid Schatzmann, Sozialdiakonin in Birr AG, ist sie „das Amt des Dienens aus von Gott geschenkter Liebe zu ihm – und damit zu den Mitmenschen, welche durch diese Begegnung zu Nächsten werden – im Auftrag der Kirche“. Die Fachleute benutzen Methoden und Werkzeuge der Sozialen Arbeit. Im Zuge reformierter Profilsuche wird Sozialdiakonie indes wieder klarer von der staatlichen Sozialarbeit unterschieden, die aufgrund eines gesetzlichen Auftrags und religionsneutral handelt.

Nach Karl-Fritz Daiber (Hannover) wird Diakonie zur Sozialen Arbeit und ist nicht länger Diakonie, wenn Zweifel an der Einheit von Zeugnis, Dienst und Gebet bestehen. Im Blick auf die Ausbildung folgert der Greifensee-Dozent Bernhard Neyer: „Die persönliche Reflexion und die Erarbeitung eines eigenen Glaubensprofils sind gerade für diesen Beruf zentral.“

Ausgeschlossene einschliessen
Von Jesu Lebensstil und Werten bewegt, zielt Diakonie auf eine gerechtere Gesellschaft. „Wo und wie gilt es, stigmatisierten Gruppen zu ihrem Recht zu verhelfen? Die Kirche soll dafür sorgen, dass Armutserfahrene ihre Stimme gegen Ausschluss erheben können und gehört werden“, fordert Marlise Schiltknecht, SG. Weithin wird Armut im eigenen Land, vor allem der working poor, verdrängt; die Bevölkerung muss sensibilisiert werden (vgl. Editorial). Armut hängt oft mit Migration und Arbeits- und Bildungsproblemen zusammen – simple Auswege gibt es nicht. Die Kirche soll beitragen zum Abbau von Vorurteilen namentlich gegen Menschen, die integriert werden möchten (A. Schatzmann). Angesichts sozialer Notlagen braucht es über das Engagement von Einzelnen hinaus Gemeinden, die sich als diakonisch handelnde verstehen (A. Jakob).

Nachdem die Sozialdiakonie sich auf zahlreiche gesellschaftliche Problemfelder begeben hat, drängt sich die Stärkung von Familien als Priorität zunehmend auf. Zugleich wird die Seniorenarbeit differenziert: Jungrentner sollen ihre Verantwortung wahrnehmen; viele könnten als Freiwillige gewonnen werden (V. Burkhard).

Talente einsetzen…
Was trägt Diakonie zur Gemeindeentwicklung bei? Konkret werden „Talente der Gemeindeglieder in der Diakonie oft angesprochen und über viele Freiwillige eingebracht“ (M. Schiltknecht). Gelebte Solidarität sollte auch über die Landesgrenzen hinaus spielen: „Gemeinsames Unterwegssein verbindet“ (Stephan Schranz, refbejuso). Die Schrumpfung der Kirche in Basel erfordert die Bündelung der Kräfte. Daher hat der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert 2007 dafür plädiert, dass vor Ort Diakonie „vor allem im Sinne von Innerer Mission (Gemeindeaufbau)“ betrieben wird: „Sie ist … auf den Gemeindegottesdienst ausgerichtet und führt Menschen dem Gottesdienst zu mithilfe (ihrer) spezifischen Instrumente.“

…für den Gemeindeaufbau?
Diakonie ist für Kundert an ihren Früchten im Gemeindeaufbau zu messen. „Das bedeutet für Kinder- und Jugendarbeit: Jede Kirchgemeinde stellt eine kirchliche Kinderarbeit vor Ort sicher, die zum Ziel hat, christliche (auch protestantische) Werte zu vermitteln und Kinder und Familien der Gemeinde zuzuführen und sie sozial in die Kirchgemeinde zu vernetzen.“ Es könne nicht mehr angehen, vor allem staatliche Stellen zu entlasten, argumentiert er. „Das Ziel muss neu darin bestehen, verbindliche Gemeinden aufzubauen, in denen Christen sich von Christen getragen wissen und im Notfall sicher sein können, dass ihre Geschwister ihnen durch ihr Beziehungsnetz und ihr Wissen weiter helfen.“

Wie ist Gemeindediakonie zu stärken? Sie braucht Behördenmitglieder, die Nöte wahrnehmen und Verantwortung übernehmen, und „Mitarbeitende mit einem Auftrag für Diakonie im Pflichtenheft, mit den nötigen Zeitressourcen“ (M. Schiltknecht). Als Wesensmerkmal einer Kirche mit Bodenhaftung darf Sozialdiakonie nicht abgekoppelt, als ‚nice to have‘ abgewertet oder weggespart werden.

Mit Freiwilligen unterwegs
„Überprofessionalisiert ist die Diakonie, wenn sie nur noch am Schreibtisch planend stattfindet“, urteilt Schatzmann. Es gilt Freiwillige zu finden, zu motivieren und anzuleiten. „Sie sind an der Basis, sie leben in ihrer Nachbarschaft, ohne sie könnte die Diakonie in einer Kirchgemeinde gar nicht existieren.“ Stephan Schranz vermutet, dass die Bedeutung der Freiwilligenarbeit den Profis zu wenig bewusst ist. Die Koordination der Freiwilligen mit genügend Ressourcen auszurüsten, ist Gebot der Stunde, sonst gehen der Kirche die Akteurinnen und Akteure aus.“

Für Schatzmann drängen sich allerdings auch übergemeindliche professionelle Angebote auf: „Da Sozialdienste und Hausärzte zu wenig Zeit für Gespräche haben und oft nur auf einen Aspekt fokussieren können, braucht es Anlaufstellen, bei denen die Menschen ganzheitlich wahrgenommen, triagiert, vernetzt und mit immaterieller Hilfe unterstützt werden.“ Die Fachleute fordern überdies, das diakonische Tun viel selbstbewusster öffentlich darzustellen und es in Kirchenordnungen und Leitbildern zu verankern.

Die hier zitierten Statements finden sich im Zusammenhang in der Umfrage: Perspektiven der Diakonie