• Der Gegenwart Christi auf die Spur kommen

    Wie schenkt sich Christus der Auferstandene im Abendmahl? Wie ist es im 21. Jahrhundert würdig zu feiern –- und helfen uns die Reformatoren mit ihren Überlegungen noch? Pfrn Silvianne Bürki, die an einer Dissertation übers Abendmahl schreibt, ist überzeugt: Um dem Geheimnis der Auferstandenen auf die Spur zu kommen müssen wir geformt werden von der Erfahrung des Abendmahls. Und: Von der Christuszentriertheit der Reformation ist noch zu lernen. Gedanken von Silvianne Bürki, Referentin an der LKF-Tagung zum Abendmahl am 5. März 2016 in Basel.

    Die Reformationsjubiläen der nächsten Jahre werden uns eine Rückbesinnung auf die Theologie der Reformatoren bringen. Das ist wünschenswert: Die Reformation hat uns in ihrer Christus-Zentriertheit viel zu lehren. Im Bezug aufs Abendmahl müssen wir allerdings bedenken, wie sehr die entsprechenden reformatorischen Texte von Polemik geprägt sind. Erst jenseits einer Wiederholung der Polemik der Reformation entdecken wir, wie prophetisch das Abendmahl heute ist.

    Die Polemik der Reformatoren...
    Kurz gesagt hatten die Reformatoren in Bezug aufs Abendmahl zwei «Fronten» der Polemik: die Transsubstantiation und das Verständnis des Abendmahls als Sühnopfer. In ihren Schriften zum Abendmahl geht es darum sehr oft darum, ob sich das Brot im Feiern des Abendmahls so in den Leib Christi verwandelt, dass das Brot nach der Einsetzung nur noch den äusserlichen Merkmalen nach Brot ist. Oder darum, ob das Abendmahl eine Art von Wiederholung von Christi Tod am Kreuz ist. Die Reformatoren beantworteten beide Fragen mit einem feurigen Nein.

    Diese beiden Fragen, die sich in der Reformationszeit stellten, sind relativ eng umrissen. Wenn wir uns in einer Rückbesinnung auf die Reformation heute darauf beschränken, dieselben Fragen zu stellen (und das geschieht oft ganz implizit), dann wird unsere Diskussion eingeschränkt bleiben -– und nicht unbedingt das ansprechen, was heute wichtig ist. Zudem fokussieren wir dann vor allem darauf, was das Abendmahl nicht ist, statt darüber zu sprechen, was das Abendmahl ausmacht.

    ...und ihre Grenzen
    Es gibt noch weitere Gründe, warum wir gut daran tun, nicht einfach die reformatorische Ablehnung der Transsubstantiation zu wiederholen. Einerseits hatten viele Reformatoren ein einseitig negatives Bild der von den «Altgläubigen» verwendeten philosophischen Sprache. Dies hing damit zusammen, dass die Reformatoren die Philosophie allgemein geringschätzten. Diese Geringschätzung hielt in der Geschichte des Protestantismus nicht lange an und ist auch theologisch schwer zu vertreten:

    Der Glaube bedient sich immer gewisser Kategorien, um sich auszudrücken, und hat so eine philosophische Dimension. Wir tun besser daran, an christusgemässen Kategorien zu arbeiten, als die Philosophie rundherum zu diskreditieren. Es ist darum nicht klar, dass es an sich falsch wäre, dem Geheimnis der Gegenwart Christi mit Hilfe der Kategorien «Substanz» und «Akzidenz» auf die Spur kommen zu wollen.

    Andererseits ist die katholische Position missverstanden, wenn wir sie auf eine Art Molekülumwandlung reduzieren. Abendmahlstheologien, welche die Gegenwart Christi auch im Brot und Wein festmachen, werden zu oft durch eine pseudo-naturwissenschaftliche Linse gelesen -– und zwar sowohl im 16. Jahrhundert wie auch heute. Dabei wird ein bestimmtes Weltbild als gegeben angenommen: zum Beispiel, dass nur das real ist, was unter dem Mikroskop beobachtbar ist. Doch dies ist erfahrungsgemäss falsch. Liebe beispielsweise lässt sich nie so festmachen (auch wenn gewisse Strömungen der Neuropsychologie uns genau dies glaubhaft machen wollen).

    Gott in der Geschichte
    Auch in Bezug auf die andere reformatorische Polemik kommen wir nicht weiter mit einer blossen Wiederholung der Ablehnung des «Messopfers». Doch können uns die diesbezüglichen reformatorischen Debatten zu einer Frage führen, die bleibend wichtig ist: Wie wirkt Gott in der Geschichte?

    Als Kirchen bezeugen wir, dass «Golgatha» einmalig und von zentraler Bedeutung war. Doch wenn wir diese Einmaligkeit ernst nehmen, dann müssen Christi Tod und Auferstehung mehr als punktuelle Ereignisse in einem linearen, gleichförmigen Fluss der Zeit sein. Karfreitag und Ostern markieren dann einen Zeitenwechsel in Gottes Zeit. Es ist nicht abwegig, dass Gottes Zeit eine «Tiefendimension» unserer linearen Zeit ausmachen kann -– und es darum Momente in der Geschichte gibt, die näher an Karfreitag und Ostern sind als andere.

    Jenseits der Polemik gibt es darum noch viel zu entdecken: Das Abendmahl hat in unserer Zeit mehr zu sagen, als wir ihm manchmal zutrauen. Es ist eine geistliche Praxis, die in einem zunehmend säkularen Zeitalter prophetische Qualität hat. Und zwar genau als Brennpunkt der Gegenwart des Auferstandenen. Und hier stehen wir auf dem festen Boden des «solus Christus» der Reformation.

    Erkennen als Geformt werden
    Dass das Abendmahl prophetische Qualität hat, fängt damit an, dass es nicht von einem neutralen Standpunkt aus «erklärt» werden kann. Wer sich nicht betreffen lässt vom Abendmahl, wird dem Geheimnis der Gegenwart des Auferstandenen kaum auf die Spur kommen. Das Abendmahl erschliesst sich nur in der Praxis, in einer Art zirkulären Bewegung: Um dem Geheimnis des Auferstandenen auf die Spur zu kommen, müssen wir geformt werden von der Erfahrung des Abendmahls.

    Die Erfahrung, dass sich der Auferstandene uns schenkt, in einer überwältigenden Grosszügigkeit, die wir durch nichts hätten verdienen können -– diese Erfahrung formt uns, macht uns demütig, grossherzig und vergebungsfreudig gegenüber unseren Mitmenschen. Am Tisch des Herrn, in der Gegenwart Christi, werden wir so zu mehr christusförmigen Menschen. Christus im Abendmahl erkennen, heisst darum zunächst von Christus geformt werden. Diese Art der Erkenntnis, die mich als Menschen ganz in Anspruch nimmt, steht prophetisch quer zur Mentalität unserer Zeit, in der Lernen pure, neutrale Informationsaufnahme ist.

    Prophetische Gemeinschaft
    Prophetisch für unsere Zeit ist ebenfalls, dass das Abendmahl die individuelle Erfahrung der Nähe Gottes verknüpft mit einer Gemeinschaftserfahrung. Individualistische Rituale als private Erlebnisse gibt es in unserer Gesellschaft zuhauf. Doch das Abendmahl ist mehr als ein solches Ego-Erlebnis.

    Die «communio sanctorum» formt und erneuert sich am Abendmahlstisch. Die Erfahrung, von Christus beschenkt zu sein, verbindet uns miteinander. Sie macht spürbar, dass unsere Mitmenschen genauso verletzlich und genauso bedürftig sind wie wir selber. So können wir aus dem Um-uns-selber-Kreisen ausbrechen und Schritte aufeinander zu tun. Als Beschenkte werden wir echt beziehungsfähig - und das an sich ist ein prophetisches Zeichen in unserer Zeit.

    Das Wichtige auf den zweiten Blick
    Schliesslich ist das Abendmahl ein Ort, wo wir das sehen lernen, was wirklich wichtig ist. In einem Zeitalter der Informationsflut ist es überlebenswichtig, dass wir unterscheiden, wem wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Auf den ersten Blick scheint das Abendmahl eine unscheinbare, ja eigenartige Angelegenheit. Doch auf den zweiten Blick -– dem Blick, den wir als von Christus und in der Gemeinschaft geformte Menschen erhalten –- sehen wir, dass da mehr ist als Brot, Wein und ein Tisch. Da ist der Auferstandene, und er ist der Gastgeber.