Theologie: «Mit Gott kommt alles in den Blick»

LKF: Wie haben Sie als Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich seit 1995 über Gott nachgedacht und gelehrt?
Ingolf U. Dalferth:
Immer wenn ich gefragt oder auch nicht gefragt wurde, versuchte ich zum Ausdruck zu bringen, dass die Theologie gut beraten ist, von Gott zu reden. Sie hat das Gottesthema, den Gottesglauben und das Verständnis von Gott – durchaus in der Vielfalt der Verständnisse – als Fokus und Horizont ihrer Arbeit herauszustellen.

Wenn man das Gottesthema meidet oder auf etwas anderes umstellt, verliert die Theologie ihre raison d’être. Sie verliert ihren Grundbezugspunkt. Weil das Gottesthema anders ist als alle anderen Themen der Universität, unterscheidet sich die Theologie von allen anderen Fächern. Sie wird nie richtig verstanden, wenn man sie bloss als eine Wissenschaft unter andern versteht.

Wie muss Theologie denn verstanden werden?
Evangelische Theologie hat ein eigentümliches Themenfeld (die Weisen der Gegenwart Gottes und ihre Resonanzen im Leben der Geschöpfe), einen spezifischen Zugang zu ihm (die reformatorische Tradition) und besondere Bildungsaufgaben in Staat und Gesellschaft (Kirche und Schule). Wie Medizin oder Jurisprudenz ist sie kein Einzelfach, sondern bearbeitet in einer komplexen Vielzahl von Fächern ein Feld von Fragen, die sich unter ihrer thematischen Perspektive in spezifischen Praxisfeldern der Gesellschaft stellen.

Dieses Fragenfeld wurde im Lauf der Geschichte verschieden definiert: in der Ausrichtung auf Gott, die Kirche oder die Religion. Jede dieser thematischen Grundorientierungen wurde in unterschiedlichen Entwürfen auf mehr als eine Weise ausgearbeitet und vor dem Forum wissenschaftlicher Forschung kritisch diskutiert.

Wie bewerten Sie das Resultat dieser Entwürfe?
Keine andere Glaubenstradition hat so konsequent den Weg in die wissenschaftliche Reflexion gesucht wie das Christentum. Nirgendwo sonst ist es zur Ausbildung einer wissenschaftlich so durchgebildeten Theologie gekommen. Keine hat sich und ihre eigene Tradition so permanent der Kritik unterzogen wie die christliche Theologie. Und niemand aus dem Kreis ihrer Alternativen und Konkurrenten hat die wissenschaftlichen Herausforderungen und Umbrüche der Moderne und Nachmoderne so intensiv aufgenommen und mitvollzogen wie sie.

Und was ist dabei aus der Theologie selbst geworden?
Blickt man auf ihre lange und wechselhafte Geschichte an europäischen Universitäten, dann wird eines deutlich: Theologie unterscheidet sich von anderen Fächern nicht aufgrund ihrer Methoden oder der Phänomene, die sie studiert, sondern wonach und von wo aus sie fragt. Sie unterscheidet sich weiter dadurch, wie sie das thematisiert, was sie untersucht. Sie hat es mit den fundamentalen menschlichen Orientierungsweisen im Leben und damit in spezifischer Weise mit dem Sinn von Sein in Natur und Kultur zu tun. Es gibt nichts, was in diesem Horizont nicht in ihren Bereich fiele – auch wenn nicht alles in derselben Weise relevant ist für das, was sie erkundet.

Die Theologie hat aber auch keine Methoden, die sie allein besässe und die nicht auch von anderen Disziplinen praktiziert würden. Wirklich eigenständig ist Theologie daher nur, wo sie sich nicht nur als eine Disziplin unter anderen auf ein Themenfeld neben anderen bezieht, sondern auf alles in einer eigentümlichen Weise, die in keiner anderen Disziplin oder Fakultät zur Geltung kommt. Das ist dort der Fall, wo sie sich systematisch an der Gottesfrage orientiert.

Was meinen Sie damit?
Mit Gott kommt kein Thema neben anderen in den Blick, sondern alles Wirkliche und Mögliche in spezifischer Weise: als Schöpfung des Schöpfers, die nicht so ist, wie sie sein könnte, und deshalb anders (neu, besser, freier, gerechter) werden sollte und durch Gottes Selbstvergegenwärtigung auch wird.

Als Disziplinengefüge zur Ausbildung für den kirchlichen Dienst oder zur Erforschung von Religion und Religionen in der Vielfalt der Kulturen ist Theologie unterbestimmt und beschränkt sich darauf, einen Teilaspekt der gesellschaftlichen und kulturellen Wirklichkeit zu erforschen und Kompetenzen für bestimmte Funktionen und Aufgaben in einer bestimmten Tradition und Glaubenspraxis zu vermitteln.

Das ist zweifellos wichtig. Aber ohne Ausrichtung an der Gottesthematik ist es kein Grund, ihr universitär den Status einer eigenständigen, von der klassischen Philosophischen Fakultät unterschiedenen Fakultät zuzugestehen. Ihre theo-logische Grundorientierung im Umgang mit allem zeichnet sie anderen Disziplinen gegenüber aus. Das ist es, was sie für andere in der Universität und darüber hinaus interessant macht, und nicht, dass sie methodisch und inhaltlich das gleiche will und macht wie andere Fächer.

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