Zürcher Kirche: Gemeinden sollen zusammengehen

Die Landeskirche will den Zusammenschluss von Gemeinden bewirken, um neuen Handlungsspielraum zu gewinnen. Am 18. September nahm die Kirchensynode einen Bericht des Kirchenrats nach langer Debatte zustimmend zur Kenntnis. Die nüchterne Wahrnehmung der Schwäche kleiner Gemeinden paarte sich mit Hoffnung auf positive Impulse bei geweiteten Grenzen.

Der Kirchenrat reagierte auf ein Postulat aus der Synode, das auf die Zusammenarbeit und Stärkung kleiner Kirchgemeinden abzielte, und nahm es zum Anlass, eine weitreichende Strukturreform vorzuschlagen. Die Zürcher Landeskirche ist seit 1970 von 625'‘000 auf 475‘'000 Mitglieder geschrumpft. Um für eine langfristig wirksame Arbeit vor Ort bessere Voraussetzungen zu schaffen, bevorzugt der Kirchenrat Fusionen gegenüber Kooperationen und Zweckverbänden. Der heutige Bestand von 179 Kirchgemeinden soll auf die Hälfte bis einen Drittel sinken, die Gemeinden ab 2018 5‘'000-7'‘000 Mitglieder haben. Dabei will man das «Feinverteilnetz», die kleinräumige kirchliche Präsenz, erhalten.

Der Bericht des Kirchenrats zum Postulat, im Juli publik geworden, löste an der Basis Betroffenheit und heftige Diskussionen aus. In der 120-köpfigen Kirchensynode wurde der Bericht kontrovers erörtert. Nach vierstündiger Debatte im Zürcher Rathaus versagten 22 Synodale dem Papier ihre Zustimmung.

Unausweichliche Veränderungen
Dabei sind tiefgreifende Veränderungen unausweichlich. Thomas Maurer, Präsident der vorberatenden Kommission, sprach vom „"Wegbrechen der mittleren und jüngeren Generation"“ und "„dem prognostizierten Pfarrmangel"“. Es gehe um "„zeitgemässe Strukturen und adäquate Inhalte für heute und morgen“" und um einen Aufbruch, dies auch im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2019. In den Reformvorschlägen gehe es um „"vielfältige, lebendige Gemeinden"“.

Kirchenratspräsident Michel Müller plädierte dafür, das Territorialprinzip (Kirchgemeindegrenzen in der Regel identisch mit jenen politischer Gemeinden) grundsätzlich beizubehalten, aber anzupassen. "„Wenn das Leben unsere Struktur überfordert, dann begrenzen wir nicht das Leben, sondern verändern unsere Struktur".“

Die KIrche von Herrliberg am Zürichsee.

Ende der flächendeckenden Präsenz
Die Sprecher der vier Fraktionen des Kirchenparlaments kommentierten die Stossrichtung positiv, mahnten aber auch zur Umsicht. Willi Honegger (Evangelisch-kirchliche Fraktion) sah im Papier einen "„befreienden Blick auf die Realität"“. Die flächendeckende Präsenz der Landeskirche „"mit regelmässiger kirchlicher Tätigkeit in beinahe jedem Dorf unseres Kantons"“ werde aufgegeben –- das sei ein schmerzhaftes Not-Programm.

"Zeichen des Neuanfangs"“
Honegger wertete das blosse Eingeständnis der Not als „"ermutigendes Zeichen des Neuanfangs"“. Eine sich stark und vital fühlende Kirche würde nicht „"nach der erneuernden Kraft des Heiligen Geistes suchen"“. Mit dem Prozess könne die Landeskirche sich neu ausrichten -– auch wenn er keine Garantie biete für eine geistliche Erneuerung. Der Paradigmenwechsel verunsichere, doch könnten dadurch, so Honegger, in vielen Kirchgemeinden „"die besten Kräfte geweckt werden"“. Er traue dem Kirchenrat zu, "„dass er alles stärkt, was in den Gemeinden lebt und gedeiht"“.

Miteinander Kirche sein
Laut Wilma Willi-Bester (Synodalverein) erfordern die Ängste, welche solche Veränderungen auslösen, Sorgfalt in Planung und Kommunikation. Thomas Grossenbacher (Liberale Fraktion) gab sich angstfrei und unterstrich, nur miteinander seien die Gemeinden Kirche. Es müsse im Prozess immer um die Inhalte gehen. Zur angepeilten Gemeindegrösse meinte Grossenbacher, die Zahl 5'000 allein garantiere noch nicht Lebendigkeit und Stärke. Die Strukturreform habe von unten nach oben zu geschehen, aber sei von oben zu leiten.

Matthias Reuter (Religiös-soziale Fraktion) rief dazu auf, an geistigen Barrieren zu arbeiten. Schon lange gehörten Fahrten in regionale Einkaufszentrum zum Alltag. Reuter wie Honegger forderten, dass der Kirchenrat die Synode in allen Phasen des auf zehn Jahre angelegten Prozesses befragt. (Schon ab 2014 sollen Kirchgemeinden „"Weichen für ihre Partnerschaften stellen"“.)

"Mehr Anonymität“"
Alfred Vogel aus der Weinländer Kirchgemeinde Marthalen sprach sich entschieden gegen das Vorhaben aus. „"In welchen Gemeinden laufen die Menschen davon - in der Agglomeration oder dort, wo die Kirche noch im Dorf ist"?“ Kirche habe mit persönlichen Begegnungen und Beziehungen zu tun. "„Je grösser die Institution, desto mehr breitet sich Anonymität aus".“ Für die Zusammenarbeit von Gemeinden brauchten ihre Strukturen nicht zerschlagen zu werden. Das „"Grossraumdenken"“ des Kirchenrats lehnte Vogel ab. Ins gleiche Horn stiess Huldrych Thomann. Mit dem schematischen Vorschlag werde die Vielfalt der Gemeinden im Kanton aufgegeben. Zudem gefährde das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Status der Landeskirche. „"Wenn wir Kirche herauslösen aus gewachsenen politischen Strukturen, dann schwächen wir sie".“

Lebendige Gemeinden nicht gefährden
Auch Gemeindepfarrer äusserten sich kritisch: Theddy Probst fragte, wie Gemeindeaufbau durch Gemeindeabbau erreicht werden solle. Michael Wiesmann vermisste eine seelsorgerliche Perspektive. Christof Menzi warnte davor, funktionierende Gemeinden zu gefährden. Matthias Rüsch kritisierte das „"mechanistische Denken“" des Kirchenrats und forderte, grundsätzlich über Kirche am Ort nachzudenken. Ein Synodale wies darauf hin, dass die Bereitschaft für Behördentätigkeit und freiwilliges Engagement abnehmen könnte, wenn die Kirchgemeinde überörtlich organisiert wird.

Die vorbereitende Kommission wünschte eine professionelle, den Prozess begleitende Kommunikation und ein Argumentarium für Kirchenpflegen und Pfarrpersonen. Der Kirchenrat soll die Synode über weitere Schritte Ende 2013 informieren, so dass sie weiter mitreden kann.