Zürcher Sinus-Studie: Glauben in Lebenswelten

Die Zürcher reformierte Landeskirche blickt genauer hin auf die Vielfalt der Lebensweisen und Lebensumstände, der Werte, Glücks- und Glaubensvorstellungen ihrer Mitglieder. Zusammen mit den Stadtzürcher Kirchgemeinden hat sie dazu eine Studie erstellen lassen. Sie wurde am 23. November vorgestellt.

Gleichgesinnte leben ähnlich; Soziologen sprechen von Milieus. Die Volkskirche ist in vielen dieser Lebenswelten nur noch am Rand präsent. „"Religion hat eigentlichen keinen bestimmten Platz in meinem Alltag"“, sagt eine Befragte. Die Studie hält fest: "„Will die Reformierte Kirche…... eine Volkskirche sein, muss sie die Menschen, ihre Wertprioritäten, Einstellungen und Befindlichkeiten verstehen, um sie kommunikativ zu erreichen".“

Von traditionell bis postmodern
Nach dem 2005 erstmals auf Kirche angewandten Modell von Sinus Markt- und Sozialforschung (Heidelberg) gibt es auch in der Schweiz zehn Milieus. Sie unterscheiden sich nach ihrer sozialen Lage (gemessen an Bildung und Einkommen) und nach der Grundorientierung (von traditionell über modern bis postmodern-experimentell). Die Zürcher Studie, die auf 60 Einzelgesprächen und fünf Gesprächen mit Achtergruppen basiert, zeigt markante Unterschiede im Verhältnis zum Glauben, zu Religion und Kirche.

Gottesbilder
Schweizer in traditionellen Milieus neigen zu einem Bild von Gott als Kraftspender und Beschützer. In der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft herrschen alltagsnahe Bilder vor: Gott ist wie ein Freund; er hört zu und begleitet -– aber ein hoher Geltungsanspruch (Gott als König, Richter oder Hirte) wird abgelehnt. In den postmodernen Milieus wird Gott laut der Studie wenig mehr als Person verstanden. Viel eher meint man damit eine Kraft, Feuer, Inspiration oder mentales Vermögen oder einen "„Traum in den Herzen der Menschen"“. Aus diesen Unterschieden ergeben sich auch verschiedene Zugänge zur Kirche.

Theologisch besonnen umsetzen
Im Haus der reformierten Landeskirche in Zürich verfolgten am 23. November über 100 Kirchenverantwortliche aus der ganzen Schweiz die Präsentation der Studie und erste Zürcher Reaktionen. Bis im Frühjahr 2012 soll ein Handbuch für die Arbeit in den Kirchgemeinden erstellt werden. Der Zürcher Projektleiter Matthias Krieg äusserte die Erwartung, dass die Kirche näher zu den Leuten kommt und mit der Vielfalt ihrer Mitglieder kreativer umgeht. Kirchenratspräsident Michel Müller mahnte, nicht in Aktionismus zu verfallen, und rief zu einer theologisch durchdachten Umsetzung in den nächsten zehn Jahren auf.

Sensibles Thema für Schweizer
Silke Borgstedt, Leiterin der Sozialforschung im Sinus-Institut, betonte bei der Präsentation der Studie, es sei darum gegangen, „"aus den Vorstellungen der Menschen selbst zu verstehen, was sie bewegt"“. Das Thema Kirche sei sensibel: „"Die Menschen sind sich bewusst, dass ihre Einstellungen zu Glauben und Kirche als wichtige Indikatoren für die persönliche Lebenshaltung gelesen werden".“ Die Forscher unterscheiden Glaube, Kirche, Religion und Spiritualität. Je nach Milieu wird das Wochenende mit dem Sonntag anders gelebt, wird Kirche als moralische Instanz geachtet, von der Familie besucht, als irrelevant oder vor allem als soziale Institution gesehen.

"Auch in anderen Milieus Kirche sein"“
Auf Borgstedt folgten Zürcher Theologen. Pfr. Roland Diethelm plädierte dafür, mit den Erkenntnissen der Studie in der Stadt Zürich im Zuge einer Kirchgemeinde-Reform "„stimmige Vielfalt"“ zu gestalten. „"Wie kann Kirche sein, damit sie auch in den anderen Milieus Kirche ist"?“ Manche Junge sähen die Kirche als Kirche der Grosseltern. Andere Formen von Gemeinschaft seien zu fördern und „"in sieben bis acht Milieus Beteiligungsformen"“ zu entwickeln.

Pfr. Thomas Schaufelberger, verantwortlich für die Pfarrerausbildung, sieht in der Studie Hinweise darauf, wie künftig Kompetenzen der Pfarrerinnen und Pfarrer entwickelt werden sollten. Sie könne als "„Nachtsichtgerät"“ dienen und die Sensibilität für Milieus erhöhen. Die Theologen täten gut daran, selbstkritischer mit ihren Inhalten umzugehen. Anglikaner in England machen laut Schaufelberger vor, wie man sich auf die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort ganz neu einlassen kann. Thomas Schlag, Theologieprofessor an der Universität, wertete die Studie als Einladung zu neuen Seelsorgekonzepten. Sie erweitere "„die Farbpalette, wie und von wem Kirche künftig gezeichnet werden soll"“. Eine Kirche, "„näher bei den Menschen"“, glaubwürdiger und sichtbar.