KirchGemeindePlus in der Zürcher Kirchensynode

Die Kirchensynode hat am 4. Juli den Bericht des Kirchenrats über die Vernehmlassung zu KirchGemeindePlus zur Kenntnis genommen. Für die Darstellung der Ergebnisse erntete er Kritik. Der Kirchenrat setzt nun auf «regionale, in zweckmässige Bahnen geleitete Prozesse», die zu Zusammenschlüssen führen. Laut dem Jahresbericht der Landeskirche ist der Anteil der Reformierten an der Zürcher Bevölkerung 2016 unter 30 Prozent gesunken.

Das Vorgehen des Kirchenrates brachte die Mehrheit der vorberatenden Synodekommission dazu, die ablehnende Kenntnisnahme des Berichts zu beantragen. Ihr Präsident Urs-Christoph Dieterle (Uster) hielt die Hauptergebnisse der Vernehmlassung fest: Die vom Kirchenrat 2016 entworfene Übersichtskarte und sein Zeitplan (vier Zeitfenster für Fusionen 2017-23) wurden klar verworfen. Von 134 Kirchgemeinden ausserhalb der Stadt Zürich wollen 58 einen Zusammenarbeitsvertrag und bloss 46 einen Zusammenschluss anstreben – obwohl der Kirchenrat letzterem deutlich den Vorzug gab.

«Verbreitete Skepsis gegenüber Fusionen»
Dieterle sagte, dass der Kirchenrat «allzu grosszügig über die verbreitete Skepsis gegenüber Fusionen und teilweise sogar gegenüber Zusammenarbeit hinwegsieht». Zudem bringe der Kirchenrat manches aus den Antworten nicht zur Sprache: Nicht wenige Kirchgemeinden hätten «Angst, dass ihr pragmatisches Vorgehen im Rahmen des sogenannten Reformprojektes (d.h. Zusammenarbeit erproben und dort zusammenwachsen, wo, wie und wann man will) bestraft wird».

Laut Dieterle spüren Kirchgemeinden «den Druck von oben, befürchten den Verlust von Nähe und finden auch keine vermittelbare Begründung für eine Fusion». Wer sich nicht zum Zusammenschluss entscheiden wolle, könne im Gegensatz zu den Fusionsgemeinden nicht mit finanzieller und personeller Unterstützung rechnen. «Der Mehrheit der Gemeinden, die eine engere Zusammenarbeit anstreben, werden einengende Rahmenbedingungen in Aussicht gestellt.» Die Kommissionsmehrheit könne die Auswertung des Kirchenrats nicht absegnen.

Mehrheit will nicht fusionieren: Urs-Christoph Dieterle

Der Sprecher der Kommissionsminderheit sagte, man wolle trotzdem ein für den Prozess günstiges Signal senden. Dieser solle nicht weiter verzögert, behindert und immer wieder in Frage gestellt werden. Die Gemeindeverantwortlichen sollten Strukturen bereinigen, um sich wieder anderen Fragen zuwenden zu können. Sie bräuchten Sicherheit.

Ernüchternde Erfahrungen in deutschen Landeskirchen
Synodepräsident Kurt Stäheli gab dem Vertreter der Theologischen Fakultät, Professor Ralph Kunz, das Wort. Dieser fasste Erkenntnisse aus deutschen Reformprozessen zusammen. Regelmässig habe sich das ursprüngliche Sparziel als illusorisch erwiesen; «geblieben ist der Wille, die Strukturen zu verschlanken, um die Steuerbarkeit zu erhöhen». Als Ausweg aus dem Konflikt zwischen Zentralisierungswillen und Eigenständigkeitsstreben habe man auf Regionalisierung gesetzt.

In einigen Landeskirchen würden Fusionen und Zusammenschlüsse von den Verantwortlichen im Nachhinein als problematisch beurteilt, sagte Kunz. Er zitierte erste Ergebnisse einer grossangelegten interdisziplinären Untersuchung, wonach «Regionalisierung und Gemeindefusionen nicht ohne Verluste möglich sind. Viele Menschen verlassen im Zusammenhang einer Fusion die Kirche bzw. halten sich von ihr fern, wenn sie sich vorher engagiert haben.» Grössere Einheiten hätten den Erosionsprozess der Kirche gefördert, statt ihn einzudämmen.

Installation zur Umweltproblematik an der Reformationsausstellung in Wittenberg

Es sei «sehr genau zu überlegen, welche Fusion unumgänglich ist und wo und wie die dezentralen Strukturen und die kirchliche Präsenz vor Ort gesichert werden können», zitierte Kunz die Zusammenfassung durch die Theologin Isolde Karle. Aus den Erfahrungen in Deutschland sei nicht eine Strategie abzuleiten. Der Gemeindeforscher Michael Herbst warne vor dem «fatalen Verlust von Nähe durch sich immer mehr dehnende Zuständigkeitsbereiche»; er plädiere für die Stärkung vitaler lokaler Gemeinschaften.

Kirchenrat will regionale Prozesse
Daniel Reuter, Sprecher des Kirchenrates, betonte, dieser sei bereit, auf Ängste, Nöte und Missverständnisse einzugehen. Die Haltung des Kirchenrats sei im Prozess gewachsen. Wenn dem Kirchenrat früher der Zusammenschluss als einziger guter Weg gegolten habe, sehe er das jetzt anders. Doch bleibe er dabei: «Für Zusammenschlüsse gibt’s Geld, für Zusammenarbeit nicht.» Der Fusionszwang könne nur eine allerletzte Option sein. «Der Kirchenrat will regionale, in zweckmässige Bahnen geleitete Prozesse.»

Der Synodalverein und die Religiös-Soziale Fraktion der Synode stellten sich hinter den Kirchenrat, während Vertreter der Liberalen und der Evangelisch-kirchlichen Fraktion Bedenken zur Sprache brachten. Im Weinland, so Adrian Honegger aus Flaach, werde ein Kahlschlag der Seelsorge befürchtet. Theddy Probst, Pfarrer in Wildberg, wandte sich gegen die Absicht, kleine Gemeinden grundsätzlich abzuschaffen, ohne auf ihre Vitalität zu achten. Laut Christine Diezi, Pfarrerin in Dorf, sind kleine Gemeinden am Sterben. «Uns gehen die Kinder und Jugendlichen aus.» Die Abstimmung ergab 68 Stimmen für Kenntnisnahme und 28 Stimmen für ablehnende Kenntnisnahme, bei drei Enthaltungen. Der Synodepräsident Kurt Stäheli kommentierte, KirchGemeindePlus werde «grundsätzlich getragen». Der Prozess werde weiterlaufen.

Keine Lust auf Experimente
Dem Zürcher Kirchenparlament lagen vier Motionen vor, davon drei aus der Evangelisch-kirchlichen Fraktion. Philipp Nussbaumer plädierte für einen Experimentierartikel in der Kirchenordnung. «Wenn wir Neues entstehen lassen wollen, müssen wir Experimente wagen.» Dies solle auch unabhängig von den bestehenden Kirchgemeinden möglich sein. Der Kirchenrat wollte dies nicht. Mit einem bestehenden und einem neuen Artikel in der Kirchenordnung sei genug möglich, sagte sein Sprecher Andrea Bianca.

Die Mehrheit der Synodalen folgte ihm und überwies auch einen zweiten Vorstoss nicht, der auf die Förderung von Musical-Projekten mit Jugendlichen abzielte. Hier wünschte der Kirchenrat, Populärmusik insgesamt zu thematisieren – und nicht nur für die eine Altersgruppe. Zwei weitere Motionen wurden in Form von Postulaten (kein bindender Auftrag für den Kirchenrat) überwiesen: Die Mittel aus dem Finanzausgleich sollen gezielter eingesetzt werden. Ob und wie religionspädagogische Angebote als Voraussetzung für die Konfirmation obligatorisch sind, wird überprüft.

Anspiel im Gottesdienst an der Zürcher Oberland Messe, 2015

Alarmierender Rückgang der Taufen
Am Vormittag hatte die Kirchensynode den Jahresbericht des Kirchenrats und die Jahresrechnung der Zentralkasse besprochen und ohne Gegenstimmen genehmigt. 2016 ist der Anteil der Reformierten an der Zürcher Kantonsbevölkerung unter 30 Prozent gesunken (v.a. Austritte und Sterbeüberschuss). Es wurden 8 Prozent weniger Personen getauft, konfirmiert und getraut als im Vorjahr.

Seit 1986 hat die Zahl der Kirchenmitglieder um 25 Prozent abgenommen, die Zahl der Taufen, Konfirmationen und Trauungen jedoch um 50, 56 und 70 Prozent. Dies seien schmerzhafte «Indizien eines sich anbahnenden Sterbens der volkskirchlichen Formen», sagte Willi Honegger, Pfarrer in Bauma. Er rief auf zum «Beten gegen den Trend» im Vertrauen auf Gott, der Neues schaffen kann. «Ob die Landeskirche in ihrer jetzigen Form überlebt, weiss ich nicht. Eine betende Gemeinde überlebt.»