Würde und Gleichheit der Menschen: biblische Quellen
In einem Symposium am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie der Uni Zürich referierte Tine Stein, Professorin für Politische Theorie an der Universität Göttingen, am 12. April Aspekte ihrer Habilitation. Darin plädiert sie dafür, den christlichen Anteil an zentralen Begriffen des freiheitlichen Rechtsstaats wie Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit wahrzunehmen. Die Gehalte seien in der Bibel vorgebildet, sagte Stein.
Für den modernen Verfassungsstaat grundlegend ist ein Bild des Menschen, der Würde hat, frei und gleich ist. Tine Stein zeichnete in Zürich die Geschichte des Begriffs der Menschenwürde nach (1). In den altrömischen Status-Begriff der dignitas (Ansehen aufgrund von Leistungen fürs Vaterland, von der res publica verliehen) wanderten später christliche Gehalte ein, denen die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die Geschichte Israels, das Vorbild Jesu und apostolische Lehre zugrunde liegen. Erst seit wenigen Jahrzehnten findet sich die Menschenwürde in den Verfassungen.
Als Apologie einer christlichen Leitkultur sei ihre Arbeit jedoch nicht zu verstehen, sagte Stein in Zürich. Sie wolle nicht verneinen, dass Menschenwürde ausserchristlich begründet werden könne. Doch habe die christliche Denktradition daran besonderen Anteil – und man könne prüfen, ob diesem Anteil ein dauernder Geltungsanspruch zukomme.
Die liberale Politiktheorie blendet diese Quellen in der Regel aus; so sind aber laut Stein viele klassische Texte über den Staat – etwa Thomas Hobbes‘ Leviathan – gar nicht zu verstehen. Die Theorie dürfe den Menschen nicht als rein empirisches Wesen verstehe. Auch im Politischen gebe es Aspekte des Unverfügbaren, Unbedingten, sagte Stein, die ihr Buch angesichts bioethischer Fragestellungen schrieb.
Die Erzählung vom Sündenfall liest Tine Stein als Geschichte vom Erkenntnisgewinn des Menschen, der seine Freiheit realisierte. «Neben Gottesrecht gibt es die freie Entscheidung, sein Gebot anzunehmen oder nicht, die Möglichkeit, zu Gott Nein zu sagen.» Die ersten Kapitel der Bibel zeigen Freiheit, Schuld und Verantwortung des Menschen. Und Gott schützt Kain nach dem Brudermord.
Damit wird deutlich: Würde ist unabhängig von den Taten und den Eigenschaften des Individuums, auch nicht von Anerkennung durch Gemeinschaft, von individuellen Fähigkeiten und sozialem Rang.
Im weiteren führte Tine Stein aus, wie das moderne Konzept der Gleichheit aller Menschen auf dem Geschaffen-Sein durch einen Schöpfer basiert (vgl. Galater 3,28, 1. Korinther 12,13). Aristoteles habe bloss die Gleichheit der Bürger der Polis gekannt. Wie Francesco Papagni in seiner Replik erwähnte, sind die Menschen gemäss dem babylonischen Mythos von den Göttern erschaffen worden, um ihnen zu dienen.
(1) Habilitation von Tine Stein: Himmlische Quellen und irdisches Recht. Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates, Campus, 2007, ISBN 978-3-59338-3385