«Wie Christus auf die Mitmenschen schauen»
Gleich dreifach haben sich die Abgeordneten des Kirchenbunds am 2. November mit dem befasst, was ihnen im Gemeinwesen aufgegeben ist: Flüchtlinge, Landes- und Völkerrecht und Reformationsjubiläum.
Der Vormittag stand im Zeichen des Flüchtlingsstromes. SEK-Ratspräsident Gottfried Locher skizzierte das Ausmass der syrischen Tragödie und die anderen Migrationsströme. Europa habe sich auf viel mehr Menschen einzustellen. In dieser Zeit sei nicht nur Bürger-, sondern auch Christensinn gefordert: «Unsere Augen sollen so auf die Mitmenschen schauen, wie es Christus selber getan hat.» Locher nannte drei Punkte: 1. Gott hat Mann und Frau nach seinem Bilde geschaffen. Darum soll in den menschlichen Ordnungen Gottes Wille erkennbar sein. 2. «Wo immer jemand leidet, spricht Christus zu uns.» Christen haben von ihm den Auftrag zu helfen. 3. «Von der Nothilfe gehen wir über in eine neue Zeit des Kirche-Seins.»
Die Kirche ist, so Locher, eine Versöhnungsgemeinschaft. Das Abendmahl drückt die Versöhnung aus, die Christus gestiftet hat. Bei alledem, so Locher, hat die Kirche die berechtigten Fragen und Ängste im Volk aufzunehmen. «Sagen wir Nein zu einem aggressiven Islamismus.» Abendland und Morgenland bekämen es neu miteinander zu tun. «Es gibt keine Versöhnung ohne Wahrheit.»
Ansprache von Gottfried Locher
Flüchtlingsstrom
Was bedeutet die anhaltende Massenmigration für den Staat und die Landeskirchen? Mario Gattiker, Staatsekretär für Migration, skizzierte vor den Abgeordneten des Kirchenbund, wie und mit welchen Zielen der Bund handelt. Neben Hilfe hier und in der Herkunftsregion tue auch der Kampf gegen Menschenhandel und -schmuggel Not. «Primäre Politik muss es sein, Flüchtlinge in der Region zu versorgen, damit die Rückkehrperspektive am Leben bleibt.» Von denen, die in die Schweiz kommen, erhalten derzeit 26 % Asyl und 31 % wird vorläufige Aufnahme gewährt: eine «sehr hohe Schutzquote».
Dem Staat droht Überlast. Gattiker setzt auf den Beitrag nichtstaatlicher Organisationen und Einzelner. Er erinnerte daran, dass Fürsorge lange Zeit Sache privater Hilfswerke gewesen sei (Pfr. Paul Vogt als Pionier). Die Kirchgemeinden könnten auf viele Freiwillige zählen, sagte der Staatssekretär. «Private Unterbringung kann eine Antwort sein, wenn sie eingebettet ist in ein kantonales Konzept», wenn über Verantwortung und Risiken Klarheit herrsche. «Wie gut wir die Herausforderung meistern, hängt im hohen Mass von der Haltung der Bevölkerung ab.»
Weder Panikmache noch Beschönigung helfen weiter, sagte Gattiker. «Negative Klischees lassen sich nicht durch positive Übertreibungen bekämpfen.» Man müsse mit Menschen rechnen, die nicht die erwartete Dankbarkeit zeigen, nicht ohne Fehl und Tadel sind. - Die Frage von Michel Müller, wie die Behörden mit der religiösen Andersartigkeit der Flüchtlinge umgehen, wurde nicht mehr beantwortet; die Versammelten gingen zum Mittagessen.
Strassburg: nicht «fremde Richter»
Der Kirchenbund hat eine Studie «Sorgt für das Recht! Über das Verhältnis von Demokratie und Menschenrechten» erstellt. Die Nordwestschweizer Kirchen hatten angesichts des Streits um Landes- und Völkerrecht vor einem Jahr eine Stellungnahme verlangt. Im 20-seitigen Papier legt der Rat dar, was eine gute Rechtsordnung überhaupt ausmacht: Vertrauen, Legitimität, Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenrechte. Rechtsstaat, Demokratie und Gerechtigkeit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Die Schweiz ist für den SEK-Rat Teil des europäischen Rechtsraums. Die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg sind daher nicht «fremde Richter». Das 20-seitige Papier wurde einerseits als «Staatskunde auf höchstem Niveau» gelobt, andererseits wurde eine leicht verständliche Zusammenfassung verlangt.
Reformationsjubiläum naht
Wie ist in diesen Zeiten das Jubiläum der Reformation zu feiern, ihre Bedeutung in die Öffentlichkeit zu tragen? Christina Aus der Au vom Zürcher Zentrum für Kirchenentwicklung hielt dazu einen Vortrag. Mit Bezug zu Calvin rief sie zur theologischen Arbeit auf. «Wie strahlen wir aus, dass wir nicht nur Gott zum Vater haben, sondern auch die Kirche zur Mutter?» Luther steht für das mutige, kreative Verkündigen des Evangeliums, so dass es gehört wird. Von Zwingli sei das Zusammenleben und -wirken im Blick auf das anbrechende Reich Gottes zu lernen.
Danach beschäftigte sich die Versammlung mit den 13 vom SEK geplanten Jubiläums-Projekten. Angesichts der verbleibenden Zeitspanne - in einem Jahr sollen die ersten starten - hagelte es Kritik am Rat: Die Vorbereitung sei schleppend, der Aufwand zu hoch, das «feu sacré» fehle. Der Sprecher der Innerschweizer rief nach dem starken Mann, der Projekte auch annullieren könne. Der Rat des Kirchenbunds reagierte mit einer Sondersitzung am 4. November.
R(eformation) als Fotorahmen
Freude löste in der Versammlung eine kostenlose Foto-App zum Reformationsjubiläum aus. Die App für iOS und Android legt eine Schablone in Form eines R um die Linse der Smartphone-Kamera. Das R ist das Logo des Reformationsjubiläums in der Schweiz. Die Nutzerinnen und Nutzer füllen die Form des R mit ihren Fotos und machen so aus alltäglichen Momenten R-Momente. Jedes Foto unterstützt vier Ausland-Projekte der evangelischen Hilfswerke. Pro 500 hochgeladene Bildern spendet der Kirchenbund 2000 Franken. Dazu entsteht auf der Internetseite zum Reformationsjubiläum eine Galerie der gespendeten R-Fotos.
Vorlagen und Beschlüsse der Abgeordnetenversammlung
Legislaturziele des SEK-Rats 2015-2018