Eine bessere Welt ohne Gott?
Religiöse Wahrheitsansprüche sind in der Postmoderne Attacken ausgesetzt – sie seien unzeitgemäss, polarisierend, Gewalt verursachend … Doch was ist gewonnen, wenn Christen ihren Wahrheitsanspruch aufgeben? Und wie viel wert ist, was gegen ihn ins Feld geführt wird? An den VBG-Studientagen «begründet glauben» in Männedorf nahm Christian Hofreiter Atheisten, Agnostiker und Relativisten unter die Lupe.
Atheisten machen es sich zu einfach, wenn sie mit ihrer Prämisse (es gibt keinen Gott) religiöse Wahrheitsansprüche generell erledigt zu haben meinen. Sie beweisen laut Hofreiter bloss, was sie voraussetzen. Dagegen spricht schon die conventional wisdom: Die Menschen waren, wie der deutsche Philosoph Robert Spaemann bemerkt hat, als Vernunftwesen in ihrer überwältigenden Mehrheit über Hunderte von Generationen religiös.
Die Religion der Despoten
Gegen die atheistische These spricht zudem die Geschichte der Freiheit in der Neuzeit. Der Theologe Dr. Christian Hofreiter, Direktor des Zacharias Instituts für Wissenschaft, Kultur und Glaube in Wien, erwähnte den britischen Atheisten John Gray, Professor an der London School of Economics. Gray räume ein, dass es keine tragfähigen Verbindungen zwischen Atheismus und liberalen Werten, der freiheitlichen Gesellschaft, gebe. Die Geschichte zeigt: Gottlosigkeit war und ist die Sache despotischer Regime. Mit der Annahme des Atheimus wäre überhaupt nicht klar, wie liberale Werte begründet werden können. In Europa wurden sie von protestantisch geprägten Denkern formuliert.
Dass der Schöpfer sich offenbart – unmöglich?
Viele Zeitgenossen scheuen die kalte Härte des Atheismus und richten sich im Agnostizismus ein, der letzte Fragen offen lässt. Von dieser Denkrichtung können verschiedene Grade unterschieden werden: Hochprozentige Agnostiker behaupten, es sei Menschen grundsätzlich unmöglich, über Gott etwas zu wissen. Laut Christian Hofreiter müsste man aber sehr viel wissen, um dies behaupten zu können. Es ist kühn zu behaupten: Falls es einen Schöpfer gäbe, wäre es unmöglich, dass er sich offenbart. Gemässigte Agnostiker wollen daher nicht ausschliessen, dass Gott sich offenbart. Sie führen aber die widersprüchliche Vielfalt der Religionen ins Feld: Existierte Gott, hätte er sich klarer zu erkennen gegeben.
Nach Ansicht des Referenten sollten Christen diesem Gedankengang mit Demut begegnen. Dass Gott sich endgültig in Jesus Christus offenbart hat, «ist eine gewaltige Aussage, eine enorme Behauptung – aber es lohnt sich, ihr auf den Grund zu gehen». Dem Agnostiker dürfen Christen die Frage stellen, ob er die Sache gebührend ernst nimmt. Wird der Unterschied wahrgenommen: Du bist Zufallsprodukt eines kalten Universums – oder aber «geschaffen von einem persönlichen Gott, der dir seine Liebe anbietet?»
Der Elefant, die Blinden und der Seher
Sehr populär ist derzeit der Relativismus, wonach die Religionen alle auf eine letzte Realität bezogen sind, über die wir nichts aussagen können. Das Gleichnis von den Blinden, die den Elefanten betasten und je anderes beschreiben, leuchtet auf den ersten Blick ein und klingt bescheiden. Aber die Sache hat einen Haken: Es muss, so Christian Hofreiter, mindestens eine Person geben, die sehen und sagen kann, dass alle diese Aspekte Teile des Elefanten sind. Der Relativist wirft sich in Pose als der Überblickende, der sieht, wo die andern im Dunkeln tappen, der sieht, wo Mose, Buddha und die Weisen aller Religionen letztlich blind waren ...
Dazu kommt, dass im pluralistischen Denken, das alle historischen Religionen derart relativiert, alles relevant ist, was gleich macht bzw. zu einem harmonischen Gesamtbild beiträgt. Anderes wird ausgeblendet. Relativisten transzendieren die Gegensätze zwischen den Religionen nicht; sie dringen als Künder ihrer eigenen Religion darauf, dass alle sich zu ihr bekehren. Oder sie reduzieren Religion – wie Lessings Nathan – auf Ethik. Dabei besteht aber keine Einigkeit darüber, was das Gute ist, sagte Hofreiter und verwies auf die Gegensätze zwischen Kapitalisten und Sozialisten. Fazit: «Nicht viele Relativisten denken den Relativismus zu Ende.»
Religion ideologisch manipuliert
In der Öffentlichkeit scheinen all diese Argumente derzeit wenig auszurichten gegen die These von Jan Assmann und anderen, monotheistische Religionen führten zu Intoleranz und Gewalt. Christian Hofreiter räumte ein, dass es religiös motivierte Gewalt gibt. Doch regelmässig ist eine Ideologie die treibende Kraft: Religiöse Motive werden manipulativ herangezogen, um Identität zu befestigen und zum Kampf gegen andere aufzurufen.
Eine Sache des Herzens
Alexandr Solschenizyn hilft laut Hofreiter an diesem Punkt weiter mit der Bemerkung, dass Gutes und Böses im Herzen des Menschen nicht zu trennen ist. «Nicht die Ideologie als solche ist das Problem, sondern dass sie sich so leicht im menschlichen Herzen verfängt!» Vor diesem Hintergrund leuchtet die christliche Botschaft, die darauf zielt, dass Menschen ein neues Herz bekommen. Das Fazit Hofreiters: «Wenn Christen religiös legitimierte Gewalt begehen, tun sie das nicht, weil sie Jesus zu ernst nehmen, sondern weil sie ihn nicht ernst genug nehmen.»
Weiterer Bericht von den Studientagen: Glaube auf der Höhe der Zeit
Nächster VBG-Studientag: Nur eine Wahrheit? Christsein in einer pluralen Gesellschaft, Samstag, 5. November 2016, Bern
Bild oben: Christian Hofreiter (2. von links) mit Dieter Bösser, Ruth Maria Michel und Felix Ruther von den VBG.