Welche Nachfrage hat Nachfolge?
Jesus will keine Follower, die ihn liken, sagte Professor Ralph Kunz an der ersten Tagung des Vereins reformiertbewegt in der Zürcher Wasserkirche. Er und Claudia Kohli Reichenbach umkreisten in Vorträgen das Wesen der Nachfolge; sie sprachen von Bindung, Weg, Umgestaltung, Heiligung und Hoffnung, von radikalen Anfängen und Versäumtem – und von Christus, der vor uns steht.
Claudia Kohli Reichenbach durchwandert in ihrem Vortrag die Landschaft der Nachfolge mit Worten von Dietrich Bonhoeffer, der 1937 ein Buch so betitelte. Sie schlägt einen Bogen zum entkirchlichten Quartier in der Stadt Bern, in dem sie lebt. Darauf bezieht sie Bonhoeffers Fragen: «Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns? Wie hilft er uns dazu, heute treue Christen zu sein?» Der deutsche Theologe und Märtyrer sprach vom «Suchen und Fragen nach dem, um den es allein geht».
Auffällig ist, dass viele Sprachen «Nachfolge» als Substantiv nicht kennen; auch die Evangelien kennen nur das Verb. Claudia Kohli Reichenbach: «Wer nachfolgt, ist nicht Besitzerin der Wahrheit, sondern ist bewegt von der Wahrheit.» Nachfolge Christi heisst in der Spur Bonhoeffers Bindung an Christus. Die Referentin weist darauf hin, dass Jesus «auffällig oft Gast war», sich einliess auf neue Situationen bei Fremden.
Das umgestaltende Bild Christi
Nachfolge ist ein Weg. Wer ihn, von Christus berufen, beschreitet, wandelt sich im Zeichen der Verheissung, dass er Christus gleich werden soll. Bonhoeffer: «Das Bild Jesu Christi, das der Nachfolgende immer vor Augen hat, vor dem ihm alle anderen Bilder entschwinden, dringt in ihn ein, erfüllt ihn, gestaltet ihn um, dass der Jünger dem Meister ähnlich, ja gleich wird.» Für Claudia Kohli Reichenbach ist diese Umgestaltung der Kernprozess der Nachfolge, auch im «spirituell bunter gewordenen Kontext» von heute. Andere Bilder müssen weichen – «Bilder von uns, die uns klein machen oder auf einen Sockel stellen».
Gebet und Politik
Vor und nach der Mittagspause finden ein gutes Dutzend Ateliers statt. Sie decken – entsprechend dem Bestreben des Vereins reformiertbewegt, verschiedene Glaubensformen aufeinander zu beziehen – ein breites Spektrum ab, von persönlicher Nachfolge über Fragen christlicher Gemeinschaft bis zu politischem Engagement.
Zu letzterem diskutiert Stefan Jütte mit einer Gruppe Thesen. Er betont, wo Kirche betend für die Gesellschaft eintrete, würden ihre Glieder frei sein für die Gesellschaft und als freie erkannt werden. «Indem wir beten, verändern wir uns so, dass wir in der Gesellschaft einen Unterschied machen.» Nicht als Wächter könne die Kirche mehr auftreten – eher als Sauerteig zu wirken versuchen, unter den Bedingungen der säkularen Umgebung, aber mit einer bestimmten Hoffnung.
Fragen über Fragen
Bevor sich die 140 Teilnehmenden zum abschliessenden Abendmahlsgottesdienst ins Grossmünster zurückbegeben (wo die Tagung begonnen hat), skizziert Ralph Kunz, Professor an der Uni Zürich, in der Wasserkirche ein Profil der Nachfolge auf dem aktuellen religiösen Markt. Und wehrt einer Illusion: «Die Nachfrage nach Religiosität und Spiritualität ist kein hinreichender Ansatz für Nachfolge.» Denn es geht um Heiligung. Aber: «Was ist das: Gemeinschaft der Heiligen? Was ist unser Ruf heute in der Gesellschaft?»
Ralph Kunz erinnert an die «Imitatio Christi» von Thomas von Kempten: «Für das Ganze musst du dich auch ganz geben.» Ist diese Nachfolge noch gefragt? Ja. Die Welt rast auf einen Kollaps zu, wie Kunz formuliert – sie braucht das Evangelium. Die Hoffnung der Christen auf die Heilung der Völker –«das ist, was uns heiligt». Der Referent wendet sich gegen Trägheit und Resignation, nennt die Losung von Frère Roger: Kampf und Kontemplation. Nachfolge sei zu befreien «aus einer allzu eng gestrickten Stubenhocker-Frömmigkeit».
Von Beginn an Irritation
Christen sollen in der Schatztruhe des Glaubens wühlen und sich beschenken lassen. Nachfolge ist «lebendige und tätige Hoffnung», sagt Kunz. «Wir verdanken unsere Nachfolge den ersten Mitläufern.» Nachfolge sei allerdings von Beginn weg von Irritation begleitet worden. «Man muss sich für sie entscheiden – sie fällt einem nicht in den Schoss.»
Ralph Kunz wirbt dafür, das Faszinierende wie auch das Irritierende, Überfordernde der Nachfolge in den Blick zu nehmen. Ein Grund dafür: sie macht Durst nach Gerechtigkeit. Sie ist kein abstraktes Prinzip und kein Programm. Sie fasziniert, «weil Jesus von Nazareth so greifbar und so verletzlich vor uns steht», als einer, der es wagt, ganz auf Gott zu vertrauen. Keine Religion biete so viel Menschlichkeit wie die christliche, bei keinem anderen Religionsstifter seien Person und Botschaft derart miteinander verbunden.
Person und Botschaft
Kunz zitiert Milan Machovec: Jesus sei mit seinem Programm identisch gewesen; deswegen habe seine Lehre die Welt in Brand gesetzt. Und fragt: Wenn Jesus weiterhin so viel Ansehen geniesst, gilt das auch für seine Einladung zur Nachfolge? Klar ist: «Jesus wollte keine Follower, die ihn liken.»
2000 Jahre später gibt es Nachfolge nicht ohne die zwiespältige Schuld-Geschichte der Nachfolger. So mahnt Ralph Kunz, Rechenschaft zu geben ohne Rechthaberei. Und hält fest, dass sich das Vertrauen in Jesus, den Menschenfreund, nicht vom Glauben an Jesus Christus, den Erlöser, trennen lässt. «Der Jesus ohne Christus läuft ins Abseits, Christus ohne Jesus ist eine leere Hülle.»
Flyer der Tagung mit den Ateliers
Website des Vereins reformiertbewegt