Gemeinde geistlich leiten

Wie entstehen Gemeinschaften, die etwas wollen und viele mitnehmen? Der Leitungsstil trägt wesentlich zum Gelingen der Gemeindeentwicklung bei – Management genügt nicht. Was zum geistlichen Leiten gehört, erschloss die LKF-Tagung «Leiten mit Inspiration» am 28. Oktober 2017 in Bern. Martin Reppenhagen nahm die aktuellen Herausforderungen für Leiter auf. Claudia Bandixen warf Schlaglichter auf Afrika.

Was heisst Leiten in der Kirche, wenn diese sich im Umbruch vermehrt als Organisation versteht? Der Gastreferent Dr. Martin Reppenhagen, Dekan des Kirchenbezirks Karlsruhe-Land der Badischen Kirche, hielt fest, dass es in der Krise der Volkskirche mehr um Bewegung und Gemeinschaft gehen muss. In seinem Vortrag «Leiten, Begleiten &Vernetzen» nahm er in den Blick, was das Pfarramt dazu beiträgt.

Leitende müssten bereit sein, ihre eigenen Bilder von Kirche transparent zu machen und im Gespräch zur Disposition zu stellen. Vor allem hätten sie selbst um die Führung Gottes zu bitten und sich am Evangelium auszurichten. «Leitende und zu Leitende stehen gemeinsam als Schwestern und Brüder unter der Leitung des Heiligen Geistes.»

Führen & Leiten
Führung und Leitung können unterschieden werden: Während Führen danach fragt, wohin es gehen soll, fragt Leiten, wie wir dahin kommen. «In so mancher Gemeinde dominieren die Fragen nach dem Wie, ohne dass die entscheidenden Fragen nach dem Wohin gestellt werden.» Martin Reppenhagen, der 2010-2014 das Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung IEEG in Greifswald mitgeleitet hatte, zitierte Managementlehrer und betonte zugleich das Besondere der Kirche: das Miteinander von Ehren- und Hauptamtlichen, die berufen, gefördert und wertgeschätzt werden wollen. Führen ist da vor allem Beziehungsarbeit.

Dienen und Beziehungen aufbauen: Martin Reppenhagen

«Mit und in der Gemeinde bewegen»
Der Referent fragte die anwesenden Pfarrer, ob sie sich in der Gemeinde auch als Mitarbeitende verstehen – und er deutete an, was werden kann, wenn das Gegenüber von Pfarrperson und Gemeinde aufgelöst wird. «Man ist als Gemeinde gemeinsam unterwegs. In dieser Verbundenheit übernehmen Pfarrerinnen und Pfarrer leitende Verantwortung, um mit und in der Gemeinde zu bewegen. So können Gemeinschaften entstehen, die etwas wollen.» Zum Führen und Leiten gehört Seelsorge: zu ermahnen, zu ermutigen und zu trösten – damit «Christenmenschen und Gemeinden von ihren Selbstbezogenheiten befreit werden».

Drei Dimensionen
Geistliches Leiten bedarf der motivierenden Vision, sorgfältiger theologischer Arbeit und pastoraler Begleitung – sinnvollerweise im Team. Wenn Visionen als Appelle vermittelt werden, droht Erschöpfung, bemerkte Reppenhagen. Pfarrer sollen Coaches sein, Berater, Vernetzer und Ermutiger, damit Menschen sich mit ihren Stärken und Schwächen in der Gemeinde beteiligen, damit sie von Erfahrungen anderer lernen und ihren eigenen Glauben zur Sprache bringen können.

«… damit andere gross werden»
Servant leadership bedeutet, dass Pfarrerinnen und Pfarrer – als Verbi Divini Ministri – «sich klein machen, damit andere gross werden». Wenn Kirche mehrdimensional verstanden wird, ergibt dies für Pfarrerinnen und Pfarrer: «Sie sind Repräsentanten einer Institution, Manager in einer Organisation und servant leaders in einer Bewegung bzw. Gemeinschaft.»

Mann zwischen den Stühlen
Der Gemeindebauexperte schloss seinen Vortrag, indem von der Moderne in die Frühzeit der Kirche sprang und das Profil der apostolischen Gestalt des Barnabas zeichnete. Dieser könne in der aktuellen Situation der Gemeinden zu einem Vorbild für Leitung werden. Als «Person des Umbruchs und Übergangs», zurückhaltend und vorsichtig, als Levit mit der jüdischen und als Zypriote mit der hellenistischen Kultur vertraut, brachte Barnabas als talent scout Saul nach Antiochia und ermutigte ihn. Er vermittelte – und scheiterte – in Konflikten.
 

Verantwortung geben: Intensives Gespräch mit Thomas Bucher

Wer hat die Hosen an?
Die Mittagspause der Tagung bot reichlich Gelegenheit zum Austausch. Vor- und nachher nahmen Workshops aktuelle Spannungsfelder auf: Muss jemand in der Kirchgemeinde die Hosen anhaben? Thomas Bucher (Zürich-Hirzenbach) machte deutlich, dass alle Verantwortung tragen: «jede und jeder auf ihrer/seiner Ebene und so nahe am Geschehen wie möglich».

Wie sind Leitungskulturen zusammenzuführen? Pfr. Rudi Neuberth von der Zürcher Landeskirche plädierte fürs Hören, bevor entschieden wird: Hören auf Gott und auf die Menschen in der Gemeinde, mit Christus im Zentrum.   

Freude am Engagement wecken
Was die Kantonalkirche zur Förderung des Gemeindelebens tun kann, besprach der Thurgauer Kirchenratspräsident Wilfried Bührer. Die Kirche müsse nicht jeden Professionalisierungsschub mitmachen, äusserte er – «wir dürfen ein bisschen hemdsärmelig sein». Wichtig seien kurze Wege - die Gemeinden sollten in einem lebhaften Austausch mit der kantonalen Kirchenleitung sein. Und wichtig ist für Bührer auch, dass den Gemeinden Spielraum gelassen wird, ohne Beharren auf politischer und theologischer Korrektheit und ohne allzu viel Angst, es könne etwas aus dem Ruder laufen.

Thomas Gugger, Diakon in Wil SG, schilderte, wie sich die Freude am Mittun in der Gemeinde auf Jugendliche überträgt. «Sie tun, was sie bei uns beobachtet haben.» Als schönsten Lohn empfand er, als ihm eine freiwillig Engagierte sagte: «Danke, dass ich mitarbeiten darf.»
 

Die Kirchgemeinde Wil beherbergte die LKF-Tagung im September 2016.

Mehrfach gefordert
Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn erhalten durch das neue Landeskirchengesetz die Personalverantwortung für die Pfarrschaft. Wie Synodalratspräsident Andreas Zeller in seinem Grusswort ausführte, gelang es im Reformationsjubiläum, in den Gemeinden viel anzuregen. Das neue rechtliche Kleid und öffentliche Präsenz reichen nicht hin: Die in einem mehrjährigen Prozess erarbeitete Vision Kirche 21 soll die grösste Landeskirche der Schweiz in die nächsten Jahre leiten.

Leiten in Afrika
Schlaglichter auf Leitung im globalen Süden – Migrationskirchen sind davon beeinflusst – warf Claudia Bandixen, Direktorin von mission 21. Sie schilderte, wie Boko Haram die Partner-Kirche in Nordnigeria quält )der Bischof von Ibadan wurde abgewählt, weil er als Anwalt der Opfer viel ins Ausland gereist war). In Kinshasa bringt der Hexenglaube Pastoren auf Abwege. mission 21 will den Nöten abhelfen; das Werk wird von den Mitgliedkirchen auf allen Kontinenten miteinander geleitet.

Lieben und ermächtigen
Zum Abschluss der Tagung wurde Wegweisendes zusammengetragen – mit dem Wunsch nach einer «Kultur der geistlichen Inspiration», die die Gemeinde durchweht. Alfred Aeppli vom Vorbereitungsteam bündelte die Resumés der Workshops. Er verband sie mit dem einen grossen Gebot von Jesus: Management ist Teil des Leitens, vor allem aber erfordert es das ständige Hören auf den Heiligen Geist – und dass wir Menschen lieben.

Leiten, Begleiten & Vernetzen: Der Vortrag von Martin Reppenhagen
Leitungskulturen zusammenführen: Die Präsentation von Rudi Neuberth