«Signalisieren, dass wir miteinander Kirche sind»
Die drei Kandidaten fürs Ratspräsidium des Kirchenbundes SEK unterscheiden sich deutlich – auch wenn sie am öffentlichen Hearing in Olten am 8. Mai polierte Konzilianz hervorkehrten. Mit der laufenden Verfassungsrevision und sechs Neuwahlen in diesem Jahr stellen die Reformierten Weichen für die Zukunft.
Vor kurzem wurde der Rücktritt von Lucien Boder (BE) aus dem Rat des SEK auf Ende 2010 bekannt; damit sind neben den Bisherigen Kristin Rossier Buri (VD) und Peter Schmid (BL) fünf neue Mitglieder in den verkleinerten Rat zu wählen. Das Präsidium wird im Juni bestimmt; die übrigen Ratsmitglieder wählen die Abgeordneten der Mitgliedkirchen im November. Zudem haben sie die Nachfolge von Theo Schaad an der Spitze der SEK-Geschäftsstelle zu regeln.
Wohin steuert der Schweizer Protestantismus? Die kürzlich veröffentlichte soziologische Analyse zur Entwicklung der Schweizer Reformierten in den nächsten Jahrzehnten blieb während der zweistündigen Veranstaltung in Olten mit David A. Weiss (LU), Gottfried Locher (BE) und Didier Halter (VS) - im Bild von rechts - bis am Schluss im Hintergrund. So fiel es den drei von ihren Kantonalkirchen nominierten Pfarrern leichter, ihre Prägungen, Schwerpunkte und Absichten darzulegen.
Drei Kandidaten
Didier Halter (46), Pfarrer in Sitten, kommt von der Peripherie. Im Elsass lutherisch und zweisprachig aufgewachsen, war er Pfarrer in Genf. Er leitete den Synodalrat der kleinen reformierten Kirche im Wallis und präsidiert nun die Abgeordnetenversammlung des SEK. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Halter wurde in der Jugend vom Pfarrer seiner Gemeinde motiviert, die Welt der Bibel zu studieren. Diese fasziniere ihn immer noch mehr als die Dogmatik, sagte er in Olten. Halter markierte Distanz zu theologischen Systemen. Er schätze die Fragen der liberalen Theologie, doch ihre Antworten (wie auch jene des Pietismus) stellten ihn nicht zufrieden. „Anderseits fühle ich mich zu Hause in einem pietistischen ‚way of life‘“, dazu gehörten gemeinsames Singen, regelmässiges Beten und Gemeinschaft im Glauben.
Gottfried Locher (43), Mitglied des Berner Synodalrats und Leiter des Instituts für ökumenische Studien der Universität Freiburg, erwähnte seine Freude an der Theologie. Zum Pfarrer gereift sei er erst durch die seelsorgerlichen Aufgaben in der reformierten Gemeinde in London, die er sechs Jahre betreute. „Am Sterbebett genügte Ekklesiologie nicht; da ist zu sagen, wo es hingeht und was Glaube ist.“ Locher hat einen M.B.A. erlangt; er wirkt seit seiner Tätigkeit als Ökumene-Beauftragter des SEK im Reformierten Weltbund leitend mit. Im Unterschied zur Schweiz seien die meisten Reformierten auf dem Globus eine Minderheit – und arm. Locher ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Seine Ausrichtung bezeichnete der Berner als „reformationstheologisch“. Die Aussagen der Reformatoren – übertrage man sie auf heute – ergäben „ein ausgezeichnetes Profil“ für die Reformierten im 21. Jahrhundert. Auf reformatorischer Grundlage könne man sich mit allen neueren Theologien und geistigen Strömungen auseinandersetzen – und bei deren Vielfalt Lösungen erarbeiten. Dies habe sich in der Berner Kirche gezeigt.
David A. Weiss (54) arbeitet auch in der Diaspora. Er gehörte bereits 1999-2005 dem Rat des SEK an und trat zurück, um sich seinen Aufgaben als Stadtpfarrer in Luzern und Präsident der Reformierten des Kantons zu widmen. Der Rat des SEK habe damals „auch Fehler gemacht, wir wollten mit dem Kopf durch die Wand und den Kirchen unsere Strategie überstülpen. Wir hatten zu wenig Sensibilität.“ Weiss, der laut Unterlagen „in langjähriger Partnerschaft lebt“, stellte sich in Olten als von vielen Einflüssen geprägten Theologen vor. „Die Bibel ist die Quelle meines Glaubens, auch das Schöne.“ In der Landeskirche sollten verschiedene theologische Positionen Platz haben. „Nur so wird die Vielfalt des Glaubens ausgedrückt.“
Was soll der Kirchenbund?
Im Zentrum des Hearings stand die Stellung der Kandidaten zum Kirchenbund, der die 25 reformierten Kirchen der Schweizer Kantone und die Methodisten verbindet und durch eine Verfassungsrevision für aktuelle Herausforderungen fit gemacht werden soll. In einem Bericht hat der amtierende Rat des SEK drei Modelle entworfen: „starker Bund“, das heisst Status quo mit verbesserter Zusammenarbeit (Modell 1), „umfassender Bund“, der kantonsübergreifende Aufgaben wahrnimmt und z.B. die Pfarrerausbildung koordiniert (Modell 2) und „Evangelische Kirche Schweiz“, als deren Teile sich die kantonalen Kirchen verstehen (Modell 3). Die Kandidaten bemerkten, dass diese drei Modelle die Diskussion um die Zukunft des Kirchenbunds verengen, und nahmen differenziert Stellung.
David A. Weiss outete sich als Pragmatiker: Allein das Modell 1 lasse sich realisieren; in ihm sehe er die Wünsche der Kirchen aufgenommen. Die bisherige Zusammenarbeit im SEK könne und sollte optimiert werden. Einzelne Kirchen mit besonderen Kompetenzen könnten an der Stelle des SEK arbeiten (Vorortsprinzip); dies ergäbe Synergien. Die Integration aller kantonsübergreifenden Aufgaben in den SEK bezeichnete Weiss als Jahrhundertaufgabe. Ein nationales Kommunikationskonzept (Weiss präsidiert die Reformierten Medien) sei auch unter Modell 1 machbar.
National ohne Profil
Wie der Luzerner plädierte Locher für eine erweiterte Diskussion und das Vorortsprinzip. „Die Mitgliedkirchen sind autonom – da ist nichts zu verhandeln“, hielt der Berner Kandidat die Position nicht nur seiner Kirche fest. Doch könne der Kirchenbund diverse Bereiche integrieren (Medienarbeit, Hilfswerke, Liturgie- und Gesangbuchkommission…). Locher sprach darüber hinaus von der Notwendigkeit, den künftigen Weg vertieft zu diskutieren. „Wir müssen über unser Profil nachdenken.“ Der Kirchenbund bestehe aus autonomen Kirchen – „aber irgendwann müssen wir das Signal schon geben, dass wir miteinander Kirche sind, auch in der Gesellschaft.“ Für Locher ist es „dramatisch“, dass nach aussen nicht klar ist, wofür die Reformierten stehen. Er will daran arbeiten, dass „klarer herauskommt, wie wir evangelisch Kirche sein können“.
Didier Halter ordnete sich zwischen den Mitbewerbern ein. Auch er relativierte die Modelle, denn es gebe Wichtigeres als Strukturen. „Sind wir uns einig, welches Ziel wir für den SEK wollen?“ Diese Frage gelte es zuerst zu beantworten, daran vor allem zu arbeiten. Der Rat sei „auch Diener der Mitgliedkirchen“. Die Abgeordnetenversammlung (AV) habe eine wichtige Rolle zu spielen und Prioritäten zu setzen. Laut Halter hat sie ihre Rolle in den vergangenen Jahren wohl nicht ernst genug genommen, „den Rat zu wenig gefordert“ (die AV tritt jährlich zweimal zusammen). Die Stärke einer Kirche liegt für Halter darin, dass sie das Evangelium glaubwürdig verkündigt.
Ökumenisches Regenwetter
Die drei Kandidaten hatten auch zur Entwicklung der Ökumene Stellung zu nehmen. Didier Halter befand, bei Regen suche man mit dem Freund einen Unterschlupf und warte – „damit wir bei besserem Wetter wieder Schritte tun können“. Er sprach zudem die innerprotestantischen Verhältnisse an. „Mit der evangelikalen Bewegung ist auch noch etwas aufzubauen, das wichtig ist für unsere Zukunft.“
David A. Weiss benannte zahlreiche Facetten des Nebeneinanders der Kirchen vor Ort und sprach sich dafür aus, die Bischofskonferenz mit ihnen zu konfrontieren. Gottfried Locher wies auf die globale „Kontinentalplattenverschiebung“ hin: Rom und die Orthodoxen nähern sich einander an und kehren sich vom Westen ab. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht über den Rand hinunterfallen… Rom nennt uns nicht Kirche. Wir haben ein Definitionsproblem, wenn wir nicht sagen können, wie wir Kirche sind.“ Doch auch künftig, betonte Locher, auch bei einer weiteren Schrumpfung werde es in der Schweiz noch zwei Millionen Reformierte geben. „Sie haben dieses Land gestaltet – sie sollen es weiterhin tun.“
Entscheid am 14. Juni
Moderator Philippe Dätwyler liess die drei Kandidaten zu verschiedenen Stichworten staccato-artig Stellung nehmen. An Bonhoeffer schätzt Halter die Balance von theologisch-liberalem Fragen und einer praktischen Frömmigkeit. Gottfried Locher hat vom deutschen Märtyrer gelernt, Theologie im Angesicht des Todes zu betreiben. David A. Weiss meinte zu Bonhoeffer, er habe Glauben und Lebensvollzug verbunden und spreche ein breites Spektrum christlicher Kirchen an.
Zum Stichwort Burka sagte Halter, das Zusammenleben mit Muslimen in der Schweiz sei ernstzunehmen. Für Locher ist die Burka frauenverachtend. „Wir haben eine andere Kultur. Wir sollten nicht akzeptieren, dass Frauen so verschleiert herumgehen müssen.“ Weiss meinte, hier werde eine Stellvertreterdiskussion geführt.
Auf Teilnehmerfragen hin äusserten sich die Kandidaten zu diversen Themen. Gottfried Locher nahm insgesamt am pointiertesten Stellung, herzhaft motiviert durch die reformierte Tradition. Didier Halter erwies sich als beweglicher Theologe, mit „Sorge um die Wirklichkeit an der Basis“, David A. Weiss stellte sich als erfahrenen, mit vielen Wassern gewaschenen Pragmatiker dar. Nun läuft die heisse Phase des Werbens, da die grössten drei Kirchen (ZH, BE, VD) zusammen nur ein Drittel der Stimmen in der AV haben. Dass die Abgeordneten kantonal geschlossen stimmen, ist nicht anzunehmen. Am 14. Juni fällt der Entscheid.