SEK: «Wir wissen noch nicht, was Christus mit uns vorhat»

Die Abgeordnetenversammlung des Kirchenbundes vom 19.-21. Juni in der Kartause Ittingen stand im Zeichen des nahenden Reformationsjubiläums. Zu seiner Vorbereitung legte Ratspräsident Gottfried Locher die reformatorische Formel «Solus Christus» (Christus allein) aus. Er betonte, dass die Kirche über Christus nicht verfügt – und dass seine Nachfolger doch für ihn in der Welt stehen und ihn vertreten können.

Jesus Christus ist unverfügbar – er «allein sagt, was christlich ist». Doch, so Gottfried Locher, «wir Getauften repräsentieren Christus in unserem Handeln, je einzeln und kirchlich gemeinsam dort, wo unser Nachfolge erkennbar wird – und nur dort».

Blick zurück in den Tunnel

Zu Beginn seiner Ansprache resümierte der SEK-Ratspräsident auf die Gotthardtunnel-Kontroverse um die Vertretung der Protestanten. Die schliesslich gefundene Regelung sei glücklich gewesen: die Pfarrerin und der Mönch hätten die Christen gemeinsam vertreten, sie hätten «Einheit in Vielfalt» repräsentiert. «Denn die eine Stimme ist nicht die Stimme der einen Konfession, sondern des einen Evangeliums.»

Christus selbst könne nicht so unmittelbar repräsentiert werden wie eine Konfession, sagte Locher vor den Abgeordneten. «Gegenüber den vielen menschlichen Versuchen, ihn verbindlich zu repräsentieren, bleibt Christus frei, souverän.» Es verhalte sich gerade umgekehrt: «Christus repräsentiert uns Christinnen und Christen. Er vermittelt – und nur er.»

Innigkeit und Autorität

Jesus Christus ist der Mittler. Das «Solus Christus» erschliesst sich laut Locher dem, der nach umfassender Freiheit, nach Erlösung verlangt. Dies hätten die Menschen der Reformationszeit getan. Sie seien in der Begegnung mit Christus gewiss geworden, dass Gott sie angenommen habe. Für Zwingli sei Christus der gute Hirt und der Wagenlenker gewesen.

«Solus Christus» verweist auf Innigkeit und Autorität, sagte Locher in der Kartause in Ittingen: «Evangelische Frömmigkeit ist Leben im Vertrauen auf Christus allein, immer wieder Begegnung mit der Menschlichkeit Gottes in Jesus Christus.» Und: «Als Herr der Kirche im Gegenüber zur Kirche ist Christus vor allem einende Kraft» – wider Fraktionsdenken und Lobbying. «Christus ist gegenwärtig, mit ihm ist zu rechnen, er wirkt unter uns, eint uns und leitet uns mit seiner Autorität.»

Christus: der Kirche gegenüber …

Im weiteren betonte Gottfried Locher, dass Christus nicht in der Institution Kirche aufgeht. Vielmehr ist er ein «personales Vis-à-vis der Kirche», «begegnet ihr von anderswo her, von Gott her, als Zuspruch und Anspruch, als aufrichtende und als kritische Instanz». Alle könnten durch bestimmte Handlungen zu Stellvertreterinnen Christi werden – alle, die ihm nachfolgen.

Daraus ergebe sich der protestantische Beitrag zur weltweiten Kirche: «Protestantisch Kirche sein in der Ökumene heisst: als Emmausjünger andere Emmausjünger auf einen gemeinsamen Weg einladen, und dann unversehens die Erfahrung machen: Er, Christus, kommt auf uns zu, schliesst sich uns an, führt uns zur gemeinsamen Erfahrung von Auferstehung.» Protestanten wissen nach Locher «noch nicht, was Christus mit uns vorhat … wir lassen uns beschenken so, wie der Auferstandene uns beschenken will; wir sind offen für das, was ihm mit uns einfällt.» Von daher sei Kirchengeschichte zu verstehen: «nicht was droht, sondern was ermutigt, was erbaut, was neue Wege eröffnet».

… und in ihr am Werk

Locher fügte an, dass Christus sich dabei auch «verlässlich gebunden hat an das, was er gestiftet hat … (Er) steht der Kirche nicht nur gegenüber, sondern handelt ebenso verbindlich durch die Kirche.» Daher sei in ihr mehr Vertrauen geboten. Der Ökumeniker Locher beschloss diese Überlegungen mahnend: eine reformierte Perspektive im 500-Jahr-Jubiläum sei nur eine Perspektive, «wenn sie über sich hinausschaut».

Muslimen begegnen

Was bedeutet «Solus Christus» für den Umgang mit dem Islam? Gottfried Locher konstatierte grosse Unterschiede: «Zwar sind die Überlieferungen teilweise gemeinsam, aber die Art, wie unser Glaube an dem Fleisch gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus hängt, an seiner Person, ist dem Islam fremd.» Trotzdem könnten sich Christen und Muslime begegnen und sich näherkommen. «Das hebt die Unterschiede nicht auf, aber es lässt Gott Gott sein: anders, grösser, überwältigender, auch weiter und verblüffender, als es unserem Bild von Gott je entspricht.» Hoffnung fürs interreligiöse Miteinander liege darin, «dass die Menschennähe und Gottesweite in Christus ansteckend wirkt».

«Glaubensbasistunnel»

Endlich kam der SEK-Ratspräsident zum Gotthard zurück: Wie beim Tunnel müsse man auch beim «Solus Christus» durch, müsse man auf andere Heilswege verzichten, um etwas wirklich Neues zu sehen. «Christus allein» sei ein Angebot, «den eigenen Glaubensweg zu fokussieren und so Hindernisse zu überwinden». In einer Gesellschaft, wo Pluralität und Beliebigkeit nicht leicht zu trennen seien, brauche das Bekenntnis zum «Solus» Mut. Diesen wünschte Locher den Delegierten fürs Jubiläum.

Kommt der Papst nach Bern?

Bekannt wurde in der Kartause, dass der SEK sondiert, ob Papst Franziskus im Juni 2017 nach Bern eingeladen werden kann. Auf kritische Rückfragen hin meinte Gottfried Locher, man könne das Reformationsjubiläum auch ohne den Papst feiern. Doch habe Franziskus die Waldenser besucht und das sei gut gegangen. «Wir sollten nicht nein sagen zu Gästen anderer Konfessionen.» Im Juni 2017 anwesend sein wird Erzbischof Justin Welby, das Oberhaupt der Anglikanischen Weltgemeinschaft.

«quer denken – frei handeln – neu glauben»

Die Projekte zum Reformationsjubiläum – nach Kritik im letzten Jahr wurde eine Kommunikationsagentur beigezogen – wurden von Bettina Beer-Aebi vorgestellt. Der Slogan zum Jubiläum lautet «quer denken – frei handeln – neu glauben».

Was sagen die Reformierten zur Ehe?

Die SEK-Abgeordneten wählten in der Kartause den Glarner Kirchenratspräsidenten Pfr. Ulrich Knoepfel in den Rat. Er ersetzt die Bündnerin Lini Sutter-Ambühl. Die Vertreter der Mitgliedkirchen besprachen zudem ein Papier des Ökumenischen Weltkirchenrats (ÖRK) über das gemeinsame Kirchenbild von ÖRK-Mitgliedern und Katholiken. Aufgrund einer Motion der St. Galler Kirche wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die angesichts der politischen Debatten bis 2019 einen Bericht «Familie – Ehe – Partnerschaft – Sexualität aus evangelisch-reformierter Sicht» erstellt.

Alle Infos und Dokumente zur SEK-Abgeordnetenversammlung

Bild: Gottfried Locher bei der Ansprache - SEK/Anja Graf