Eine «schwache Theologie» für die Postmoderne
Kommt Gott neu zum Zug, nachdem die Kirchen in der Gesellschaft an Autorität eingebüsst haben? Wie sind die biblischen Aussagen von Gottes Allmacht und Gewalt und vom auf Gewalt verzichtenden Handeln Jesu heute zu lesen? Die Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT) suchte in Olten Chancen in der postmodernen Schwäche der Institutionen.
„Vielleicht ist die Autoritätskrise von Theologie und Kirche im Westen heilsam und hilfreich.“ Heinzpeter Hempelmann, Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg, machte am AfbeT-Studientag zum Thema „Abgeschaffte Autorität“ am 21. Januar 2012 in Olten keinen Hehl aus dem Zerbruch alter Gewissheiten und Ansprüche. Theologie und Kirche würden von der Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr als „präsent und relevant“ wahrgenommen. Aber in der Postmoderne werden nicht nur traditioneller Glaube und Kirchlichkeit, sondern auch die Vernunftgläubigkeit moderner Menschen in Frage gestellt.
Vielleicht, so Hempelmann, gelingt es, die christliche Botschaft unter diesen Verhältnissen in einer „immer stärker säkularisierten Gesellschaft“ neu zu vermitteln, in Schwäche allerdings, ohne Rechthaberei und staatliche Stützung. „Hoch, vielleicht zu hoch“ sei der Preis gewesen, den Europas Christen für die Etablierung als Leitkultur gezahlt hätten. Die Kirchen hätten sich mit den Eliten verbunden, der Glaube habe seine Unabhängigkeit verloren und Christen seien mitverantwortlich für Unterdrückung geworden.
Gegensätzliche Einstellungen
Nicht nur Institutionen, die Autorität beanspruchten, sondern Autorität an sich wird heute zunehmend abgelehnt. Der Autoritätsverlust des Christentums stellt sich laut Hempelmann unterschiedlich dar: Vormodern denkende Menschen akzeptieren Institutionen weiterhin als Autorität. Für sie kann Kirche Autorität gar nicht wirklich verlieren. Modern geprägte Menschen hingegen fordern von ihr, dass sie sich der Kritik stellt und so ihre Autorität unter Beweis stellt bzw. gewinnt. Für postmodern Empfindende, die dem Bunten und Widersprüchlichen huldigen, kann es Autoritäten im herkömmlichen Sinn nicht geben. „Autoritäten sind der Inbegriff dessen, was die Postmoderne ablehnt.“
Der Referent forderte ein Eingehen auf alle drei Haltungen: „Kirche und Theologie dürfen die Einstellungen und Anliegen einer vormodernen, modernen oder postmodernen Mentalität weder übergehen noch zur Norm machen.“ Es gelte den gewaltlosen Weg von Jesus, der ans Kreuz führte, neu ernst zu nehmen. Dem entspreche „eine demütige, schwache Theologie für die Postmoderne“. Zu diesen Fragen hat Hempelmann, der auch als theologischer Referent des EKD-Zentrums ‚Mission in der Region‘ arbeitet, mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze verfasst.
Gesucht: eine „schwache Theologie“
Laut der in Olten vorgelegten Skizze ist eine „schwache Theologie weder schwächlich noch schwachsinnig. Sie hat gerade darin ihre Stärke, dass sie um ihre Grenzen weiss, nicht stärker sein muss, als sie ist, weil sie auf die Zusagen Gottes setzt.“ Der Referent bezog sich auf die Ausführungen von Paulus zur Schwäche Gottes, die stärker als die Menschen ist (1. Korinther 1). Er stellte die These auf, Christen heute könnten durch „die Preisgabe falscher Sicherheiten, überholter Autoritäten, Verbindungen und Bündnisse … die Kraft des schwachen und törichten Gottes neu entdecken“.
Gefordert sei nicht die Anpassung der Theologie an ein postmodernes Mindset, sondern „die theologische Verantwortung des Evangeliums vor dem Horizont postmodernen Philosophierens“. Dabei mahnte Hempelmann, Schwäche nicht zu beschönigen und nicht theologisch mit ihr zu kokettieren. „Schwaches kann Gott im Weg stehen, wo es sich selbst nicht als solches durchschaut.“
Wenn Autorität zuwächst
Die Arbeitsgemeinschaft diskutierte am Nachmittag in Gruppen, was sich aus dem Autoritätsverlust für die kirchlichen Handlungsfelder ergibt. Wie ist Gottes Allmacht nun zu verstehen – und wie kann Gemeinde mit Autorität geleitet werden? Ist die Zeit gekommen für eine „schwache Predigt“, in der der Verkündiger „durch die Reihen geht und Erfahrungen zum Text aufnehmen und bündeln kann“? Der Referent forderte ein neues Nachdenken über Leitung angesichts des Nebeneinanders vormoderner, moderner und postmoderner Mentalitäten in der Gemeinde.
AfbeT-Vorstandsmitglied Stefan Schweyer fragte nach der gesellschaftlichen Relevanz einer schwachen Kirche. „Wo sind die Nöte, die Gott uns jetzt vor die Füsse legt?“ Hempelmann erwähnte die grosse Minderheit der Kinder, die im Bildungssystem nicht reüssieren, und die Not in Alters- und Pflegeheimen. Er ermutigte die Teilnehmenden, sich nicht „an eine vergehende Gestalt von Christsein“ zu klammern. Je mehr die Kirche aufhöre, etwas aus sich selbst heraus sein zu wollen, umso mehr wachse ihr Autorität zu, „weil Menschen durch sie Christus begegnen“.