Reformierte lassen sich vom Wort Gottes treffen
„Wir müssen lernen zu sagen, was uns ausmacht, wofür wir einstehen.“ An der Tagung des Landeskirchenforums in Zürich am 4. November 2006 hat der Kirchenhistoriker Dr. Peter Opitz skizziert, woraus reformierte Identität heute erwächst und woran sie sich bewährt. Auch im Bekennen der Herrschaft von Christus „gegen alle Herrschaft, die Menschen über Menschen ausüben“.
Der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich (Bild: im Gespräch mit Peter Opitz) gab in seinem Grusswort in St. Peter zu bedenken, dass sich die Welt längst christlicher Begriffe wie Bekenntnis, Glaube und Botschaft bemächtigt hat. „Unsere Kirche bekennt in jedem Gottesdienst neu den auferstandenen Christus. Zeigt sie, dass ihr Glaube die Welt verändert?“ Diese zentralen Begriffe dürfe die Kirche nicht an die Welt verlieren.
Von Anfang an im Plural
Peter Opitz bezog das aktuelle Fragen nach reformierter Identität auf die Gründerzeit vor bald 500 Jahren. Im Unterschied zu den Reformierten weltweit (fast alle Minderheitenkirchen!) hätten sich die Schweizer über Jahrhunderte nicht erklären müssen: „Nun müssen wir lernen zu sagen, wer wir sind, was uns ausmacht, wofür wir einstehen.“ Laut Opitz kann man Identität grundsätzlich auf dreierlei Weise anstreben: durch Abgrenzung, durch einen Bezug zur eigenen Geschichte oder durch das Bekenntnis zu einer Sache. Den Weg der Abgrenzung hätten die Reformatoren nicht beschritten: „Reformation wollte die ‚eine heilige, katholische und apostolische Kirche’ erneuern durch den Rückgang auf das reine Quellwasser.“ Dies sollte durch das Erforschen der Schrift und den Disput der von ihr Belehrten geschehen. „Reformierte Theologie hat es von Anfang an nur im Plural gegeben… Die Frage, was chemisch rein reformiert wäre, ist nicht zu beantworten, sondern immer Frage des Disputs, des Gesprächs.“
Zwingli wollte keine Zwinglianer
Opitz deutete an, dass keine reformierte Kirche sich so wenig um ihre eigene Tradition bemühe wie die schweizerischen. Grundsätzlich könne der Umgang mit der reformierten Tradition „nicht anders als kritisch sein. Hagiographie (die Reformatoren zu Heiligen erheben) wäre ein Widerspruch in sich selbst. Zwingli wollte keine Zwinglianer, Calvin keine Calvinisten. Sie können uns hilfreich sein wie ältere Schüler in der Schule – nicht als autoritative Lehrer.“
Wichtiger als die Beschäftigung mit den Anfängen ist die Frage nach der Berufung der Kirche: Was ist unser evangelisch-reformierter Auftrag? Für Peter Opitz ist klar, dass „reformierte Identität immer mit dem Anfang anfangen und sich auf ganze elementare Dinge besinnen muss“. Der Anfang ist das Hören auf das Evangelium. „Reformierte Identität beginnt mit der Betroffenheit durch das Wort Gottes – durch die Zusage von Gottes Nähe, die nur von Gott selber stammen kann.“ In dem Sinne sei das Herzstück der reformierten Überzeugung nichts speziell Reformiertes, sondern das Herzstück des christlichen Glaubens überhaupt, sagte der Kirchenhistoriker. Die Reformatoren hätten in ihren Slogans den Bezug „allein“ zu Christus, zur Schrift und zur Gnade Gottes betont. So waren sie, wie Opitz formulierte, „bibelorientiert – aber sicher nicht Fundamentalisten“.
Identität nur auf dem Umweg
Heute ist die Neigung verbreitet, „Gott davon abhängig zu machen, was er uns nützt“. Wenn die Antwort der christlichen Tradition nicht genüge, werde sie umgebogen. Gegen diese Selbstüberschätzung formulierte Zwingli einst, der Mensch wisse von Gott nicht mehr als ein Käfer vom Menschen. Darum, so Opitz, „gibt es reformierte Identität nicht, wenn wir uns selbst auf den Weg machen – nur auf dem Umweg dieses göttlichen Wortes, das zu uns kommt und uns fragt: Adam, Eva, wo bist du, wer bist du?“
In weiteren Thesen entfaltete Peter Opitz diese grundlegenden Bemerkungen: Reformierte Identität bewährt sich im Bekennen in der Gegenwart, angesichts der aktuellen Herausforderungen. Dieses Bekennen geht „gegen alle Herrschaft, die Menschen über Menschen ausüben“ und hat immer auch eine praktische Seite (Kollekte!). Opitz strich zudem die Offenheit der reformierten Gründer „gegenüber der Welt und den dort zu findenden Weisheiten und Einsichten“: der Wille, alles zu prüfen und das Gute zu behalten, weil Gott die Quelle alles Guten ist.
Alles Gewicht auf der Kirche
Die Reformation hat einen Prozess der Individualisierung des christlichen Glaubens in Gang gesetzt, so dass Protestanten heute als Einzelne ihr Verhältnis zu Gott gestalten. Dagegen hielt Opitz fest, dass gerade die reformierte Reformation alles Gewicht auf die Kirche, die Gemeinde legte. „Ja, die Gemeinde kommt vor dem Individuum.“ Der Zwingli-Nachfolger Heinrich Bullinger bezeichnete die Kirche als „das hervorragendste Werk Gottes“ und führte fünf Gründe an, warum man sich nicht von ihr, der einen ökumenischen Kirche, trennen dürfe! Rom habe sich von den Grundlagen entfernt, die Reformierten seien die wahren „Altgläubigen“. Opitz: „Reformierte Identität empfindet stets Schmerz über die Trennung der christlichen ‚Konfessionen’ und sieht deren Überwindung nur in der gemeinsamen Besinnung auf das allen vorgegebene Evangelium.“
Den Pfarrern, die an der Tagung in St. Peter teilnahmen, rief Opitz in Erinnerung, dass „wir mit noch so wortgewaltigen Predigten Gott nicht herbeifeiern, herbeipredigen, herbeihandeln können“. Diese Einsicht sei eine grosse Stärke des reformierten Glaubens, denn sie mache bescheiden, gelöst und lasse umso mehr von Gottes Heiligem Geist erwarten.
Vortrag von Peter Opitz: Bausteine zu einer heutigen reformierten Identität