Reformationsjubiläum: Start in Genf

Die Reformation hat Europa kulturell geprägt. Zum Beginn des Jubiläumsjahres hat Bundesrat Alain Berset am 3. November in Genf die Impulse der Reformation für die Eidgenossenschaft gewürdigt. Genfer Magistraten betonten die Prägung der Rhonestadt durch die Reformation und die Glaubensflüchtlinge. Gottfried Locher und Heinrich Bedford-Strohm eröffneten den Reformationstruck. Der Lastwagen wird 67 Städte in Europa anfahren.

Das Geschichtenmobil wird in den nächsten Monaten 67 Städte der Reformation in 19 Ländern anfahren. Von Turku bis Rom, von Riga bis Dublin wird der Lastwagen Geschichten sammeln und sie nach Wittenberg tragen. Gottfried Locher vom SEK und der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Heinrich Bedford-Strohm eröffneten den Lastwagen und lancierten im Beisein von ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit das internationale Jahr «500 Jahre Reformation».

Geschichtenmobil fährt quer durch Europa
Der Stationenweg, den der Truck abfährt, bringt das Netzwerk zum Ausdruck, das die Orte der Reformation verband und wesentlich zur Entwicklung Europas beitrug. Dies betonte Bundesrat Berset in seiner Ansprache vor geladenen Gästen und Medienvertretern. Die Reformation habe mit ihrer «geistigen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Dynamik seit einem halben Jahrtausend weite Teile der Welt» geprägt. Die Schweiz sei «eines der Epizentren dieses geistigen und gesellschaftlichen Erdbebens» gewesen.

Konfessionelle Vielfalt als Weg der Schweiz
Alain Berset würdigte die kulturellen und politischen Wirkungen der Reformation eingehend. Durch sie sei der Wert des Einzelnen deutlich geworden. Sie habe auf Bildung fokussiert und das Autonomiestreben der Aufklärung ermöglicht. Der helvetische Staatsaufbau von unten nach oben verdanke sich reformierten Ideen, sagte der katholische SP-Bundesrat. Die Reformation habe zu einer konfessionellen Vielfalt geführt; in der Folge hätten Schweizer Protestanten und Katholiken früh geübt, miteinander zu handeln. Zuvor schon habe die Einigung von Zürcher und Genfer Reformierten in der Abendmahlslehre 1549 das Band zwischen den Sprachregionen gestärkt.

Als grösste historische Leistung bezeichnete Berset, dass die Eidgenossen ihre enormen Spannungen immer wieder überwanden und zusammenblieben. Dass Katholiken und Protestanten nahe aufeinander lebten, habe den Druck erhöht, pragmatische Lösungen zu finden und eine Kultur der Rücksichtnahme zu entwickeln. Die Reformatoren hätten eine kräftige Sozialethik formuliert; mit dieser gelte heute es den sozialen Zusammenhalt bei grosser globaler Verunsicherung zu bewahren. Der SP-Bundesrat lobte das Calvin‘sche Ineinander von unternehmerischem Geist und Sorge fürs Gemeinwohl.

Bundesrat Berset vor dem Reformationstruck

Protestantische Humanität
Im Festakt auf dem Genfer Plainpalais schilderte der Genfer Stadtpräsident Guillaume Barrazzone, wie Glaubensflüchtlinge aus Frankreich dem unbekannten Flecken eine wirtschaftliche und kulturelle Dynamik vermittelten, die es auf die Ebene der herausragenden Städte des Kontinents katapultierte. Der Genfer Regierungspräsident François Longchamp verwies darauf, dass Genf auf Grund der «religiösen Tradition, der internationalen Ausstrahlung und des Rufs als Stadt des Friedens und des Humanismus» als Ausgangspunkt des Stationenwegs gewählt worden sei.

Diese drei Qualitäten bildeten eine Einheit. «Genf verdankt seine Bedeutung in der Tat einer protestantischen Kultur, die Werte wie Gastfreundschaft, Aufmerksamkeit, Bescheidenheit, Sparsamkeit und Fleiss hochhält.» Neben Calvin erwähnte Longchamp Voltaire und Rousseau, Henry Dunant und Woodrow Wilson, der den Völkerbund in Genf ansiedelte. «Das internationale und humanistische Genf hat seine Wurzeln in der Reformation.»

Entdeckungen in der Bibel veränderten die Welt
Als Präsident des Kirchenbunds und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa betonte Gottfried Locher, dass im Jubiläum nicht Personen gefeiert werden, sondern die transformierende Dynamik der Reformation. Sie habe «Kopf und Herz in Bewegung versetzt» und die Schweiz, Europa und die Welt verändert.

Die Einsicht, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, sei zur Triebfeder für den globalen Siegeszug der Demokratie geworden. Die Befreiung von der Angst ums Heil, die Stärkung der Laien und der Frauen, die Förderung der Bildung (zum Bibellesen!) habe den Kontinent vorangebracht. «Ein enormer Aufbruch war das.» Die Reformatoren hätten nie die Spaltung der Kirche, sondern ihre Erneuerung gewollt. Das Jubiläum werde im Einverständnis mit den Katholiken gefeiert. «Wir wollen in dieser Jubiläumszeit auch die Einheit der einen Kirche Jesu Christi stärken.»

Die Freiheit verteidigen
Locher appellierte an die Protestanten, ihr Miteinander in den Dienst einer grösseren Sache zu stellen: der Freiheit. «Wir wollen die Freiheit, die wir im Guten wie Schlechten erstritten haben, verteidigen.» Die Reformierten, dem Gemeinwesen seit jeher eng verbunden, sollten im Jubiläumsjahr mutig und lebensbejahend agieren und «aufzeigen, welche Bedeutung und Kraft die Reformation heute hat».

Vor dem Festakt im Zelt hatten die Kirchenleiter im Reformationsmuseum neben der Genfer Kathedrale die Medien über die Ziele des Jubiläums informiert. «Der moderne Rechts-, Verfassungs- und Sozialstaat wurde stark geprägt von der Reformation», sagte Gottfried Locher. Die kulturelle, gesellschaftliche und politische Kraft der Bewegung wirke seit 500 Jahren – doch gehe es nun darum, was sie für die heutigen und künftigen Generationen bedeute. Der SEK-Ratspräsident unterstrich, die Reformation gehöre nicht den Protestanten; sie sei auch für Anders- und Nichtgläubige bedeutsam.

«Über Grenzen hinwegkommen»
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der EKD, bezeichnete den Stationenweg, den das Geschichtenmobil fährt, als starkes Zeichen für das Zusammenleben in Europa. Er wies auf die kommende EKD-Synode mit dem Schwerpunkt Solidarität hin. «Wir müssen über Grenzen hinwegkommen.» Der Stationenweg verbinde nicht nur Städte, sondern auch 47 protestantische Landeskirchen und (im Februar 2017 in Cambridge) die Anglikaner.

Heinrich Bedford-Strohm von der EKD, Emmanuel Fuchs von der Eglise Protestante de Genève und Gottfried Locher vom SEK weihen den Reformationstruck ein.

Die Anlässe rund um den Aufenthalt des Lastwagens werden in den meisten Orten ökumenisch gestaltet. An jedem Ort nimmt der Truck Geschichten auf und trägt sie nach Wittenberg. So wird angestrebt, die Wurzeln der Reformation vielfältig sichtbar zu machen. Sie lägen nicht bloss bei Luther und Zwingli, sondern auch bei anderen bedeutenden Persönlichkeiten – auch Frauen – und in anderen Orten, bemerkte Bedford-Strohm. In der Schweiz wird der Lastwagen acht Reformationsstädte anfahren, zuerst Basel am zweiten Novemberwochenende.

Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des ÖRK, skizzierte die globale Bedeutung des Jubiläums. Luther habe in der ersten der 95 Thesen gefordert, dass das ganze Christenleben Busse sein soll. Damit sei das Ethos Genfs als Stadt von Frieden und Transformation und Einheit der Kirche vorgezeichnet. Tveit sagte, er habe beim Besuch des Papstes in Lund ein ernsthaftes Fragen nach dem Trennenden und nach den Gaben der Reformation erlebt. Die Kirchen sollten vorwärts blicken.

Ansprachen und Dokumente des Tages

 

Monumental: die «Mur des réformateurs» in Genf.