«Wer sind wir, wenn die Welt zugrunde geht?»
Die Tagung der Zürcher Landeskirche am 28. Oktober stand im Zeichen der K: Krieg, Krankheit und Klima vermitteln das Bewusstsein der Krise, welches Angst und Aktivismus provoziert. Vom Umgang mit den apokalyptischen Aussichten war weniger die Rede als vom Klima. Die Jugendpfarrerin und Klimaaktivistin Anna Näf analysierte die Szene der Klimabewegten.
«Back to the Future»: Die Tagung der Abteilung Lebenswelten der Zürcher Kirche, gestaltet vom RefLab-Team, wurde von Kirchenrat Andrea Bianca eröffnet. Der von Covid Gezeichnete fragte nach Hoffnung: «Wie lassen wir uns herausfordern durch neue Spiritualität?»
Die Winterthurer Jugendpfarrerin Anna Näf, die im Netzwerk Christliche Klima Aktion aktiv ist, diagnostizierte eine Identitätskrise der Gesellschaft am Ende des Fortschrittsglaubens: «Wer sind wir, wenn die Welt zugrunde geht?» Namentlich im digitalen Raum bekämen die Krisen grosses Gewicht.
Vier Perspektiven auf die Klimakrise
Anna Näf fasste die gegensätzlichen Sichtweisen in vier Perspektiven auf die Klimakrise zusammen und stellte Bibelverse dazu, um anzudeuten, «wie wir durch Spiritualität unsere Rolle formen können».
1. «Wir sind das Unkraut.» Viele empfinden, dass der Planet ohne die Menschen besser dran wäre – und wollen daher keine Kinder haben, «um weniger schmerzhaft auszusterben». Dagegen steht Psalm 8, der dem Menschen hohe Würde zuspricht.
2. «Wir sind Gärtner.» Anna Näf unterschied zwei Formen dieses Ansatzes: die inklusive, welche allen einen nachhaltigen Lebensstil nahelegt, und die trennende: «Einige sind Gärtner – andere Unkraut.» Bei der inklusiven Sichtweise ortete sie das Problem, dass jede(r) sich eingestehen muss, dass er nicht nur Gutes beiträgt, dass sie nicht immer Gärtnerin ist.
Bei der trennenden drängt sich Action auf: dafür zu sorgen, dass die Guten an die Hebel der Macht kommen und das Unkraut entfernt wird. Der Aktivismus könne «antidemokratische Züge bekommen» und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen, meinte Anna Näf. Es werde da zu viel von einer Minderheit erwartet. Sie fragte: «Wie gehen wir damit um, dass wir bei uns auf Fehler stossen und unsere Position korrigieren müssen?» Die Bibel hat Busspsalmen wie den Psalm 51.
3. «Wir sind Steine im Fluss, im Strom der Zeit.» Diese Perspektive suggeriert Menschen Bedeutungslosigkeit und oszilliert zwischen Gelassenheit und Resignation. Anna Näf stellte ihr Prediger 12,13 entgegen. «Wir sind Sätze, die Gott schreibt.»
4. «Wir sind kleine Samen, die in die Erde gesetzt sind und wachsen.» Diese Perspektive, für Näf am hilfreichsten, motiviert, etwas zum Wachsen, zum Blühen zu bringen, und kann sowohl vor Über- wie Unterschätzen der eigenen Möglichkeiten schützen. «Wir sind angewiesen auch auf Gottes Geist, wenn wir an unsere Grenzen kommen.»
Das Netzwerk CCA sucht eine positive, hoffnungsvolle Haltung zu entwickeln. Anna Näf: «Bevor wir an Klimademos gehen, halten wir eine liturgische Gebetszeit ab.» Diese stärke die Hoffnung und «das Bewusstsein, dass wir aufeinander angewiesen sind».
«Angst vor Zukunftsverlust»
Die Kulturwissenschaftlerin Johanna Di Blasi, aus Berlin zum Zürcher RefLab gekommen, trug in ihrem Referat Elemente des kirchlichen Beitrags zur Klimadebatte zusammen. Zur Orientierungskrise in der Gesellschaft trage die «Angst vor Zukunftsverlust» bei. Di Blasi stellte die Frage, ob wir mit dem Rücken zur Zukunft stehen. «Wir sind heute in einer Situation, wo wir merken, dass die eingeschlagene Richtung so nicht funktioniert, Modernismus so nicht weitergeht.» Dies konstatierte sie, um gleich einzuräumen, dass «wir als liberale Christen sehr stark verbunden sind mit der Moderne, der Zukunft von gestern».
Glaubensgemeinschaften haben laut Johanna Di Blasi eine hohe Kompetenz in der Bewältigung von Krisen. Letztere bringen neue Begriffe hervor, etwa «Solastalgia» (Glenn Albrecht). Jürgen Moltmann habe ein neues Naturverständnis und Menschenbild gefordert – und eine «kosmische Spiritualität». Zunehmend existentiell werde die Frage, «wir wir Trost an Orte zurückbringen können». Von Bruno Latour brachte D iBlasi das Bild vom «dritten Landeplatz» zur Sprache, für das Flugzeug, das von der Vergangenheit in die Zukunft fliegt.
Sie verwies auf die Dossiers von RefLab zu Klimafragen und beschrieb das Zielpublikum. Die Blogs und Podcasts dienten dazu, eine Gemeinschaft aufzubauen. RefLab sei wie ein «digitales Lagerfeuer für spirituelle Nomaden», für Postmaterielle und das neo-ökologische Milieu. Bei manchen zeige sich eine «Religions-Sparsamkeit»: Dass Religion eine kleinere Rolle in ihrem Leben spiele, werde nicht als Mangel empfunden.
Hoffnung gegen Angst und Zynismus
Manuel Schmid, neu Co-Leiter von RefLab, ging im dritten Vortrag des Nachmittags von TV-Serien aus: Sie «kratzen dort, wo es die Gesellschaft juckt – da wird verarbeitet, was uns in der realen Welt nicht loslässt». Sie seien Plattformen, wo Menschen ihre Emotionen, Verunsicherung, und Trauer zum Ausdruck bringen könnten.
Die aktuellen Krisen sind laut Schmid in Netflix allgegenwärtig, in «postapokalyptischen Serien», welche die Sinn- und Wegsuche nach der Beinahe-Ausrottung der Menschheit schildern.
Er beschrieb das Angstmotiv hinter den Serien: das «Ergriffensein von einem negativen Zukunftsszenario». Die Zeitgenossen hätten offenbar ein Bedürfnis, sich «in Katastrophensituationen zu versetzen und zu sehen, was Menschen machen in Anarchie und existiellen Bedrohungen».
Hoffnung führt Menschen zusammen
In den Serien werde gegen das drohende Unheil gekämpft, meist im Kleinen. «Angst macht unsere Welt immer kleiner.» Die Filme seien gezeichnet von Rückzug und Einsamkeit sowie von Erschöpfung, Resignation und Zynismus. Positiv motivieren kann uns, so der ehemalige ICF-Pastor, nur noch Hoffnung, als Traum von einer besseren Welt (Martin Luther King).
Die Hoffnung wecke den Willen zu kämpfen, für eine bessere Welt einen Preis zu bezahlen. Anders als die Angst, die vereinzelt, führt Hoffnung Menschen zusammen. Der christliche Glaube bietet «eine Hoffnung, die nicht von dieser Welt ist, aber diese Welt transformiert». Der «Wanderprediger aus Nazareth» habe Menschen zusammengebracht und befähigt, dass sie «Teil der Vision werden konnten».
Gebete für die digitale Community
Manuel Schmid schlug vor, eine neue Sprache für Gebete zu finden. Sie sollte auch kirchenfernen Menschen nahekommen und «dem alltäglichen Seufzen und Jauchzen Worte geben». In die Gebete sollte sich die (digitale) Community einklinken. Zudem sei es angebracht, Wut, Trauer, Frustration, Müdigkeit und andere Emotionen öffentlich zu artikulieren.
In einem Panel nahmen die Referenten Fragen auf. Eine Teilnehmerin meinte, sie höre in der Kirche ständig Antworten auf Fragen, welche die Menschen nicht stellen. Man müsse den Leuten zuhören, sich ganz auf sie einlassen. RefLab sei auch eine Bubble – für Bildungsbürger. Manuel Schmid bemerkte darauf, das Team wolle nicht vorgefertigte Antworten geben.
René Schwarzenbach, emeritierter ETH-Professor und neu Kirchgemeindepräsident, rief zu vermehrten Anstrengungen auf kommunaler Ebene auf. Die Kirche könne mehr für ganzheitliches Denken tun, namentlich bei den Jungen.
Kirchenrat Andrea Bianca verknüpfte abschliessend Fäden der Tagung. Die Kirche wolle an der Kultur arbeiten, die aktiviert. Dafür brauche es viele weitere K: Kafiträff – Kaleidoskop: das Schöne sehen – Konf – Kasualien – Konzentration.