Kreativer Schweizer Auftritt in Wittenberg
Der Pavillon «Prophezey» setzt in der Weltausstellung Reformation, die bis 10. September in Wittenberg zu sehen ist, eigene Akzente. Die Schweizer Reformation wird niederschwellig, bezugsreich und zugleich hintersinnig vorgestellt. In der nachgebauten Druckerpresse können Besucher ein Blatt drucken wie einst Zwinglis Freund Froschauer. Am selbstgefälligen Verweilen hindert sie der Engel der Apokalypse.
Der Gang durch die fünf Räume des Pavillons, den die Basler Architekten Christ & Gantenbein für das längliche Grundstück entwarfen, beginnt auf der Veranda. Als Silhouetten mit knappen Infos empfangen Zwingli und Luther, Niklaus von Flüe und Calvin die Besucher – miteinander unterstreichen sie die Vielfalt der Reformansätze. (Für den Pavillon hat der Kirchenbund SEK die Bischofskonferenz gewonnen und die Unterstützung der römisch-katholischen Zentralkonferenz erhalten.)
Bibel im Kontext
Der zweite, durch grüne Blachen begrenzte Raum stellt die Zürcher Bibel vor, die 1531 als Ergebnis der Arbeit in der «Prophezey» gedruckt wurde – die erste vollständige Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Auf einem Monitor ist zu sehen, wie der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist sie durchblättert.
Auf sechs Panels steht ein ABC der Schweizer Reformation, pointierte Texte zu ihren Überzeugungen, Merkwürdigkeiten und Kontexten. Sie stammen aus der Feder von Gabriel de Montmollin, Schöpfer der Kirchenausstellung an der expo.02. Zu R finden sich Sätze zu Rechtfertigung, der letzte: «Der Glaube ist nur dann gewinnbringend, wenn er jeden Anspruch aus Gewinnbringung aufgibt.» Und ein Wort von Zwingli zum Rhein: «Tut um Gottes Willen seinem Wort keinen Zwang an! Denn wahrlich, wahrlich, es wird so gewiss seinen Gang nehmen wie der Rhein.»
Selbst ein Blatt drucken
Handgreiflich geht’s im dritten Raum zu: Die Besucher können ihr Blatt der Bibel selbst drucken an einer nach einem Modell des 16. Jahrhunderts eigens für Wittenberg gebauten grossen Presse. Ein Fachmann erklärt, wie man’s macht. Dutzende Blätter flattern über den Köpfen im Wind, der den Pavillon durchzieht. Das gedruckte Wort war ein Schlüssel zum Erfolg der Reformation; zugleich erschütterte es die Fundamente Europas – in einer nicht nur wegen des türkischen Vormarschs als apokalyptisch empfundenen Zeit. Dies zeigt ein überlebensgrosses Bild an: der Engel aus Offenbarung 10, von Hans Holbein dem Jüngeren für die Zürcher Bibel in Holz geschnitten.
Die allererste Übersetzung ...
Durch den Raum, der sich neben dem Engel öffnet, die «Künstlerei», gelangen die Besucher in die ins Grüne offene «Helferei», wo sie sich im Gespräch mit Reformierten aus Zürich ins Bild setzen und Infos mitnehmen können.
Von allem Gedruckten, das da liegt, hebt sich ein grüner Band ab: Die Schweizer Katholiken haben «Die erste Zürcherbibel» beigetragen. Zweihundert Jahre vor Luther und Zwingli übersetzte vermutlich der Zürcher Dominikaner Marchwart Biberli die Bibel ins Hochalemannische – die älteste vollständig erhaltene Bibel in deutscher Sprache! (Der Band, 2016 in Freiburg im Üechtland verlegt, bringt Teile in der Originalsprache und neuhochdeutscher Übersetzung.)
... und Erinnerung an Erasmus
Alle Texte des Schweizer Pavillons sind in der 2016 entwickelten Schriftart «Erasmus MMXVI» gesetzt – eine Hommage an den Humanisten, dessen griechisches Neues Testament 1516 die Grundlage für die Übersetzungen der Reformatoren bildete.
Weist sie voraus, die Prophezey? Sie tut es jedenfalls durch den Fokus auf die Bibel. Konzept und Realisation, Blätter und Presse, Räume, Bilder und Worte fügen sich zu einem Erlebnis, das die epochale Team-Leistung der ersten Reformierten im historischen Kontext aufzeigt. Ein gehaltvoller Beitrag auf dem weiten Gelände im Ring um die Wittenberger Altstadt.
Laut den Verantwortlichen besuchen etwa 200 Personen täglich den Pavillon. Wird er einmal einen Schweizer Park schmücken? Darüber laufen, heisst es auf Anfrage, derzeit Gespräche.