Pfarramt im Umbruch
Als Diener am göttlichen Wort sollen sie für Menschen da sein und Gemeinde entwickeln. Hat der Beruf der Pfarrer sich mit der Zeit zu wandeln? «Perspektiven für das Pfarramt» heisst ein Buch zum neuen Kompetenzstrukturmodell des Deutschschweizer Konkordats der reformierten Kirchen. Die Zeitschrift idea Spektrum hat in mehreren Beiträgen diese Perspektiven erörtert.
Der Pfarrerberuf hat sich enorm ausdifferenziert und ist noch anspruchsvoller geworden. Die frühere Stellung als Respektsperson ist dahin; die Erwartungen der Leute innerhalb und ausserhalb der Kirche fächern sich stark auf. Pensionierungen werden in wenigen Jahren einen spürbaren Pfarrermangel bewirken: 2032 werden gemäss Sara Stöcklin (Bild) zwei Drittel der derzeit aktiven Pfarrpersonen pensioniert sein.
Teamfähig und unternehmerisch
Stöcklin, im Konkordat zur Pfarrerausbildung fürs Marketing zuständig, betont im Interview, die Teamfähigkeit von Pfarrerinnen und Pfarrer sei heute wichtiger – und dass sie «unternehmerisch denken können». In der Begleitung von Menschen hätten sie «einen Auftrag, aber kein bestimmtes Ziel, das sie … erreichen müssen». In den reformierten Kirchen hätten «viele theologische Positionen Platz»; Theologen müssten damit umgehen können.
In der Vielfalt der Landeskirche sollte ein Pfarrer «authentisch sein und überzeugen». Dies betont Thomas Schaufelberger, im Konkordat für die Pfarrerausbildung verantwortlich. «Ohne religiöse und spirituelle Praxis geht es im Pfarramt nicht. In der Zukunft wird der Glaube noch wichtiger.» Dabei habe das Pfarramt insgesamt die Aufgabe, «Menschen zu befähigen, Kirche zu gestalten», sagte Schaufelberger dem Interkantonalen Kirchenboten.
Präsenz vor Ort entscheidend
Und das primär am Ort, in der Kirchgemeinde. Andreas Kahrnt, Vorsitzender des Verbands evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland, mahnt: «Die Kirche ist immer nur so gut, wie sie von den Menschen vor Ort erlebt wird.» Dass mehr und mehr Pfarrpersonen nicht in Gemeinden arbeiten und «derzeit viel Entscheidungsgewalt in die mittlere Leitungsebene wandert», gibt ihm zu denken.
Pfarrern würden immer mehr Aufgaben zugemutet, sagte Kahrnt idea. «Dabei verlieren sie zwangsläufig die Nähe zu den Menschen. Wer Gemeindewachstum will, braucht Leute vor Ort… Nähe ist keine Garantie, aber eine enorme Chance.» Dem Pfarrermangel – auch in Deutschland absehbar – könne durch ein «Miteinander von Pfarrern und Prädikanten» begegnet werden.
Widersprüche
Paul Bernhard Rothen, selbst Autor einer Studie über das Pfarramt, hat für idea das Buch «Perspektiven für das Pfarramt» gelesen. Er weist auf Widersprüche hin: «Die Menschen sollen ungeheuer viel können und leisten. Aber sie sollen bei all dem immer auch schön bescheiden sein und wissen, dass sie ihre Erfolge einzig der Gnade Gottes verdanken …»
Wenn Pfarrpersonen heute nicht Leute anpredigen, sondern sie mit der «Kommunikation des Evangelium» (Ernst Lange) in einen offenen Prozess einbeziehen wollten, sei das problematisch, wenn der «absolute Verzicht auf alles Autoritäre» damit einhergehe. Statt der Rechtfertigung aus dem Glauben und Wort allein spiegle das Buch am Vorabend des Reformationsjubiläums eine «untergründige Werk- und Selbstgerechtigkeit», urteilt Rothen.
Mangel an Studierenden
Offensichtlich ist ein Hauptproblem: die kleine Zahl derer, die Theologie im Hauptfach studieren. Die Quereinsteigerkurse in Bern und Zürich, von denen die Kirchen laut Sara Stöcklin fähige Pfarrpersonen erwarten dürfen, füllen die Lücke nicht. Matthias Saladin aus Lausen bei Liestal arbeitet als ICF-Pastor und studiert gleichzeitig an der Theologischen Fakultät in Basel. Für ihn ist wichtig, «dass man selbst in einer lebendigen Kirche aktiv dabei ist und dort Verantwortung übernimmt und Menschen hat, mit denen man alles besprechen kann».
Quelle: idea Spektrum 34.38.39/2016 - Bilder: Ordination im Grossmünster (Zürcher Landeskirche/Gion Pfander), Sara Stöcklin (zvg)
Websites: www.konkordat.ch, www.pfarrerverband.de
Thomas Schaufelberger, Juliane Hartmann (Hg.): Perspektiven für das Pfarramt
Theologische Reflexionen und praktische Impulse zu Veränderungen in Berufsbild und Ausbildung
TVZ Zürich, 2016, ISBN 978-3-290-17837-6
Bericht von der Vernissage