Offen für die grossen Fragen – und die Fragenden?

Was können Kirchen und Intellektuelle einander geben? Das Leiterforum der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA hat sich am 3. und 4. Dezember in Wetzikon mit dem vielschichtigen Spannungsfeld befasst. Intellektuelle brauchen Gemeinschaft, Vorbilder und Denkmodelle, betonte der Gastreferent Christian Hofreiter.

Der österreichische Theologe und Apologetikspezialist, der in den USA und Grossbritannien studiert und gearbeitet hat, stellte die Frage nach der Liebe: „Wie können wir als Gemeinde Intellektuelle lieben, wie können wir als Intellektuelle die Gemeinde lieben?“ Intellektuelle brauchen laut Hofreiter mehr als Denkanreize und Diskussionsgelegenheiten, nämlich auch Gemeinschaft und Vorbilder. Hoffnungsvolle Entwicklungen im angelsächsischen Raum zeigten die Bedeutung eines „christliches Ökosystems mit Orten, wo das getan wird, was Gemeinden nicht tun“.

Gilt unter Christen „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ – oder sind in der Ortsgemeinde Menschen aus den unterschiedlichsten Bildungs- und Gesellschaftsschichten herzlich miteinander verbunden und feiern gemeinsam Gottesdienst? Das Zweite, so Hofreiter, ist anzustreben, als Zeichen Gottes für die zersplitterte Welt. Zugleich gehe es auch in der Gemeinde darum, die Schöpfung gedanklich zu durchdringen und Gedanken des Schöpfers nachzudenken; die Berufung dazu sei in Predigten zu fördern.

Intellektuelle nicht ernst genommen
SEA-Generalsekretär Marc Jost hatte zur Einführung ins Leiterforum auf die Bedeutung von hochgebildeten Menschen für die Kirche hingewiesen. Ohne Leute wie Lukas gäbe es keine Bibel, meinte er. „Zu den besten Denkern eines Landes sollen Christen gehören.“ Dieter Bösser von der Akademie für christliche Führungskräfte stellte Ergebnisse einer Online-Umfrage vor, in der christliche Intellektuelle ihre (mehrheitlich freikirchlichen) Gemeinden insgesamt kritisch bewerten.

Ein Teilnehmer reagierte mit der Bemerkung, schlechte Predigten hätten zur Folge, dass man Freunde nicht in den Gottesdienst einlade. Ein Grund mag mangelhafte Ausbildung sein – oder eher eine fehlende Bereitschaft der Theologen zur Weiterbildung? Paul Kleiner vom TDS Aarau hielt fest, eine gute Theologie setze sich mit der pluralistischen Postmoderne auseinander, sei gesellschaftlich relevant und nicht oberflächlich.

Schule ohne christlichen Bezug?
Haben sich bibelgläubige Christen in den letzten Jahrzehnten aus intellektuellen Debatten und der universitären Bildung zurückgezogen? Die Vorbereitungsgruppe des SEA-Leiterforums äusserte die Befürchtung, das Christentum werde im Bildungswesen zunehmend bedeutungslos (der Lehrplan 21-Entwurf hat vom Kindergarten an einen religionspluralistischen Ansatz). Die Unterstellungen gegen ‚gläubige Lehrer‘ kamen zur Sprache. Ein Chemiker konstatierte eine grössere Offenheit für den Glauben bei Naturwissenschaftlern als bei Sozial- und Geisteswissenschaftlern.

Ums Menschenbild mitstreiten
Der Zukunftsforscher Andreas M. Walker äusserte, wenn derzeit wenig nach Gott gefragt werde, seien doch Menschen- und Weltbildfragen akut. An diesen gesellschaftlichen Debatten könnten und sollten bekennende Christen sich beteiligen. Sie dafür fit zu machen, überfordere die örtliche Gemeinde, meinte ein Freikirchenleiter. Sie dürfe nicht zu schnell aus der Verantwortung entlassen werden, entgegnete ein Theologe. „Auch nicht-intellektuelle Menschen verdienen solide Auseinandersetzungen mit weltanschaulichen Fragen.“ Christliche Werke wie die Winterthurer Stiftung Schleife fangen Defizite in den Angeboten der Gemeinden auf.

Als Antworten nur mehr Fragen
Die anwesenden Freikirchenleiter wurden gefragt, ob sie eigentlich Intellektuelle mit ihren Erwartungen und besonderen Ansprüchen in ihren Gemeinden wünschten. Der VBG-Leiter Benedikt Walker äusserte, Intellektuelle seien gewohnt, in der Beschäftigung mit Fragen nicht Antworten zu erhalten, sondern auf mehr Fragen zu kommen. Unbedingt nötig ist nach Christian Hofreiter, dass man in der Gemeinde Fragen stellen darf und damit ernst genommen wird. Ein Teilnehmer der angeregten Diskussion gab zu bedenken, die Pluralität der Perspektiven werde weithin nicht geschätzt. Der Berater Markus Züger meinte, es gelte vom gnostischen Denken, im Entweder-Oder fixiert, zum hebräischen Denken zu kommen, welches Gegensätze integriert. Viele Kirchen richteten sich auf die Bedürfnisse von Familien aus.

Gedanken des Schöpfers nachdenken: Christian Hofreiter am SEA-Leiterforum.

Hochstehender Dialog in Oxford
Christian Hofreiter (Bild) machte deutlich, dass gottgläubige Akademiker im angelsächsischen Raum sich an manchen Diskursen prominent beteiligen. Namentlich in Oxford integrieren Koryphäen der Wissenschaft Denken und Glauben. Eine Frucht davon ist das interdisziplinäre Oxford Christian Mind Programme, das weltanschauliche Fragen aus christlicher Warte differenziert aufnimmt. Christliche Thinktanks stärken die Kompetenz von Gläubigen in Debatten. Auf dem Kontinent scheinen die Sponsoren für solche Initiativen zu fehlen.

Die Weisheit Gottes erschliessen
Auch wenn Christen in manchem nicht einig seien, könnten sie Impulse setzen, meinte Hofreiter. Es gelte Intellektuellen zu helfen, ihre Gaben als relevant fürs Reich Gottes zu sehen. „Der Intellektuelle sucht Wahrheit, Weisheit und Erkenntnis“, sagte der Gastreferent – mit Akzent auf Suche. Die Gemeinde tue gut daran, ihm für die Suche Raum zu geben. „Wie erschliessen wir die Weisheit Gottes?“ Ihrerseits sollten Intellektuelle das, was sie schärfer wahrnehmen, nicht von oben herab kritisieren, sondern als Mitbetroffene.

Kultur der mutigen Offenheit
Die Vorbereitungsgruppe des Leitungsforums hatte vier Thesen formuliert, die von den Anwesenden diskutiert wurden. Daraus ergaben sich Empfehlungen an die Gemeinden. Sie sollen intellektuellen Gemeindegliedern ermöglichen, Begabungen und Ressourcen einzubringen, und ihnen auch Aufträge geben. Intellektuelle brauchen interdisziplinäre Vernetzung und sollen mit Persönlichkeiten zusammenwirken, die ihre Ansichten der Öffentlichkeit vermitteln. Für Erfolg in gesellschaftlichen Debatten ist ein langer Atem erforderlich. Wenn sich angesichts der globalen Entwicklung Pessimismus breit macht, können Christen ihm eine „Kultur der mutigen Offenheit“ entgegensetzen. Zur Förderung des nachhaltigen gesellschaftlichen Engagements ist die Theologie des Reiches Gottes verstärkt zu lehren.

Website von Christian Hofreiter