Neuer Schwung für Gemeinden
Wo entspringt die Dynamik in der Kirche? Für Graham Tomlin ist klar, woher sie kommt: vom auferstandenen Christus. Denn die Auferstehung hat alles verändert. Aus ihr wächst sowohl die Kraft zur Verkündigung wie auch zum Handeln der Christen für ihre Nächsten. Und ebenso zur Neubelebung von serbelnden Gemeinden. Der Londoner Pfarrer Andy Buckler schilderte am Studientag in Basel Mut machende Beispiele.
Graham Tomlin, anglikanischer Bischof von Kensington (London), leitete seine Ausführungen ein mit dem säkularen Freiheitsbegriff. Er geht zurück auf Rousseau (zurück zur Natur), John Locke (meine Freiheit kann deine Freiheit verletzen) und John Stuart Mill (jeder soll sich frei äussern können, solange er niemandem damit schadet). Diesem Freiheitsbegriff steht laut Tomlin der christliche entgegen, der davon ausgeht, dass wir in der Sklaverei der Sünde gebunden sind – und Christus uns freigesetzt hat. «Wir sind zur Freiheit berufen» (Galater 5,1).
Christliche Freiheit führt zu sozialem Handeln
Es ist, wie Tomlin vor 200 Teilnehmenden betonte, eine Freiheit zur «Exzellenz», zu Grosszügigkeit und Dankbarkeit. Christen sind befreit zu guten Beziehungen. Es ist eine Freiheit, die Interesse an Menschen entwickelt und damit quer zur aktuellen Narzissmus- und Selfie-Kultur steht.
Aus diesem Ansatz heraus entwickelte Tomlin eine «Theologie des sozialen Handelns». Soziales Handeln basiert auf der Auferstehung Christi und ist Ausdruck der «heiligen Priesterschaft» (1. Petrus 2,9). Taten der Nächstenliebe zeugen von dem, was durch den Tod Christi geworden ist, und weisen auf das hin, was noch kommt. Soziales Handeln ist kein Lückenbüssertum, sondern ein Zeugnis dafür, dass Gott Christus von den Toten auferweckt hat. In diesem Zeichen sollen und dürfen sich Christen auch «die Hände schmutzig machen».
Gemeindeerneuerung
Im Bewusstsein der Auferstehungskraft und durch soziales Handeln werden auch serbelnde Gemeinden zu neuem Leben erweckt. Graham Tomlin und der Londoner Pfarrer Andy Buckler, einer seiner Mitarbeiter, präsentierten Beispiele. Ein Erfolgsrezept besteht darin, dass Gemeinden, die selbst erweckt wurden, bereit sind, Mitarbeiterteams in notleidende Gemeinden zu entsenden und dort mit den verbliebenen Christen zusammenzuarbeiten.
Ein generelles Rezept gibt es nicht. «Suchet Zeichen, wo Gott am Wirken ist und wie er Dinge zusammenbringt», riet Buckler. Grundlegend für die Wiederbelebung anglikanischer Pfarreien im Raum London sind ein Ausbildungsprogramm für Pfarrer und Förderung durch die Kirchenleitung. Und die Demut, alte Pfade zu verlassen.
Beim katholischen Kollegen ins Praktikum
In der Kirchgemeinde St. Etheldreda’s in Fulham zählte man im Gottesdienst noch 30-40 Besucher. Nachdem der Beschluss gefallen war, der Gemeinde zu helfen, wurde der neu vorgesehene Pfarrer zuerst in die blühende katholische Pfarrei auf der andern Seite der Strasse geschickt. Mit den vom dynamischen Priester geteilten Erfahrungen gewann der Pfarrer die verbliebenen Besucher für einen Neustart.
Mit viel Werbung, teils unkonventionell und durch den persönlichen Einsatz der Mitglieder, wurde zum Weihnachtsgottesdienst eingeladen. Die Kirche füllte sich zum grossen Erstaunen der Rumpfgemeinde und war schliesslich übervoll. «Sie begannen wieder zu glauben, dass etwas Neues geschehen könnte», bilanzierte Tomlin.
Mit jugendlichen Straftätern
Bei der Christ Church in Feltham lief es ganz anders. Die anglikanische Kirche war bereits verkauft und – bis auf den Kirchturm – abgebaut worden. Die Methodistenkirche nebenan stand auch vor der Schliessung. Eine wiederbelebte Kirchgemeinde in einem andern Quartier betete gleichzeitig für einen neuen Auftrag. Bischof Tomlin machte sie auf die Methodistenkirche aufmerksam. Diese war glücklich, einen Käufer zu finden, der sich auch ins Gemeindeleben investieren wollte.
Die Wiederbelebung begann mit der Renovation der Kirche. Und dazu wurden Insassen eines berüchtigten Jugendgefängnisses im Quartier beigezogen. Sie kamen zu einer sinnvollen Beschäftigung und fanden einen niederschwelligen Bezug zur Kirche. Es entstand eine Dynamik, die sich auch auf das Engagement von Gläubigen für die Kirche und auf den Gottesdienstbesuch auszuwirken begann. Tendenz steigend.
Niemand konkurrenzieren
Andy Bucklers Motto erfüllte sich auch in weiteren Gemeinden. Wie er in Basel ausführte, kommt es darauf an, die konkreten Umstände zu evaluieren, Nöte und Bedürfnisse zu erkennen und das Programm darauf auszurichten. Es gilt, keine bestehenden Angebote zu konkurrenzieren, sondern Neues zu wagen.
Oder Gemeinden zu unterstützen, die sich einer Aufgabe stellen. So geschehen im Fall der kirchlichen Hilfsprogramme nach dem Brand des Grenfell Towers in North Kensington. Die Gemeinden im Norden Kensingtons waren aktiv bei der Nothilfe und gewannen dabei neuen Zugang zu den Menschen aus der sozialen Unterschicht. Die Gemeinden im Süden des Bezirks hatten weniger Zugänge, unterstützten die Gemeinden im Norden dafür finanziell.
Die Chance ergreifen
Andy Buckler erkannte, dass es im Londoner Stadtteil Kensington zahlreiche französisch sprechende Menschen gab. Er setzte daher seine Erfahrungen in Frankreich um, gewann zwei französische Musiker, die sich in London engagieren wollten, und stellte ein Team zusammen. Mit Veranstaltungen, die den französischen Geschmack treffen (Wein und Käsespezialitäten) erreichte er weitere Menschen. «Wir hatten den Mut, anzufangen und Ja zu sagen, als sich eine Chance bot.»
Text und Bild Tomlin: Fritz Imhof/idea/livenet.ch, Bearbeitung: LKF