Netzwerk «Bibel und Bekenntnis» gegründet

Die reformierten Landeskirchen sind auf dem Weg der Selbstauflösung. Der drastischen Diagnose des neugegründeten Netzwerks «Bibel und Bekenntnis» entspringt der dringende Appell, Jesus Christus, den auferstandenem Herrn, in der Spätmoderne gemäss der Schrift zu verkündigen. Allein darin liegt laut dem Netzwerk Hoffnung, wie die Gründungstagung am 23. Oktober in Winterthur verdeutlichte.

Lukas Zünd begrüsst die 80 Teilnehmenden, die sich in zwei Sälen des Kirchgemeindehauses von Winterthur-Seen eingefunden haben. Er begründet das Vorgehen zur Gründung eines Schweizer Netzwerks mit der verbreiteten «Not der Bibellosigkeit». Die Kirche habe sich von ihren Wurzeln getrennt. Es könne an diesem Tag nur «um eine Bitte an Gott um Umkehr gehen».

In einem Gebet dankt Zünd, Pfarrer in Bäretswil, Gott für das lebendige Wort, das die Kirche geschaffen hat, und für die Rettung durch den Namen Jesus. Er bittet um Gottes Erbarmen angesichts der geistlichen Leere, die «auch in uns ist»: «Lass bitte das Licht Deines Wortes neu brennen durch Deinen Heiligen Geist.»

Die Not der Bibellosigkeit zeigt sich laut Lukas Zünd darin, dass wir «häufig hinweglesen über das, was Gott uns sagen will». Die alten Bekenntnisse würden jedoch helfen, die heilige Schrift zu lesen. Im Foyer des KGH liegen der Heidelberger Katechismus und das Zweite Helvetische Bekenntnis Bullingers auf. Zünd liest die Eingangssätze der beiden reformierten Grundtexte.

Erfahrungen in Deutschland
Das «Schweizer Netzwerk Bibel und Bekenntnis», von sechs reformierten Theologen initiiert, versteht sich als Schwester des seit sechs Jahren bestehenden deutschen Netzwerks gleichen Namens. Sein Leiter, der europaweit bekannte Theologe und Evangelist Ulrich Parzany, skizziert in Winterthur dessen Stossrichtung.

Das Netzwerk habe nicht verhindern können, dass die zwanzig evangelischen Landeskirchen Deutschlands die Segnung und Trauung gleichgeschlechtlicher Paare beschlossen, sagt Parzany. Der Bruch mit dem bisher selbstverständlichen Konsens der Christenheit zeige, dass die Bibel für die Leitenden «nicht mehr Offenbarung Gottes und höchster Massstab für Glauben, Lehre und Leben» sei. Damit bestehe kein Konsens mehr in zentralen Fragen: «wer Jesus ist, was sein Kreuzestod bedeutet, ob durch ihn allein Versöhnung mit Gott geschieht», auch ob die Gebote Gottes heute Geltung hätten.

Stimme sein und stärken: Ulrich Parzany.

Keine Reformation zu erwarten
Parzany erwähnt, dass der Streit um Homosexualität Kirchengemeinschaften spaltet. Der konservative Zusammenschluss GAFCON umfasse inzwischen 50 Millionen der weltweit 70 Millionen Anglikaner. Wer nach einer neuen Reformation rufe, übersehe, dass jene vor 500 Jahren mit staatlicher Hilfe durchgesetzt wurde. Die heutigen Regierungen hätten jedoch eine Neudefinition der Ehe durchgesetzt. Die deutschen Kirchen hätten sich «von ihren biblischen Grundlagen abgewandt, um gesellschaftlich anerkannt zu bleiben».

Laut Ulrich Parzany konzentriert sich das deutsche Netzwerk daher auf zweierlei: Stimme zu sein und zu stärken, Gemeindegliedern Orientierung zu geben und bekenntnistreue Hauptamtliche zu unterstützen, durch «gesunde biblische Lehre», mit Infos zu kontroversen Themen und mit Beratung. Parzany wünscht sich die Zeit herbei, da das Netzwerk aufgelöst werden kann, weil seine Arbeit in Kirchen besser getan wird.

Neubeginn – nur durch das Wort Gottes
Die Teilnehmenden feiern anschliessend einen Gottesdienst mit Abendmahl. Die Predigt hält Willi Honegger, Pfarrer in Bauma, über Jeremia 8,9: «Das Wort des Herrn haben sie verachtet – und welche Weisheit ist ihnen geblieben?» In Umbruchszeiten würden «menschliche Parolen zu Staub», sagt Honegger, «doch das Wort des lebendigen Gottes greift machtvoll ein». Jeremia habe darunter gelitten, dass die Elite in Jerusalem den Niedergang zuerst nicht wahrhaben wollte, dann nicht mehr sehen konnte. Die Verdunkelung des Wortes Gottes habe auch im Westen Tradition. Wenn man die Bibel noch lese, werde sie meist «eingebettet in das Koordinatensystem der eigenen Wünsche».

Wort Gottes wurde verdunkelt: Willi Honegger.

Kann die Kirche nochmals aufleben?
In immer kürzeren Intervallen seien «Wellen der Verweltlichung» über die Kirche hinweggegangen und sie gehe der Selbstauflösung entgegen. Allein das Wort des lebendigen Gottes könne ihren Todesschlaf beenden. «Falls die Kirche nochmals leben will vor ihrem Herrn, wird sie sich der Heiligen Schrift zuwenden, wie sie es seit vielen Generationen nicht mehr tat.»

Der Schmerz über den Zustand der Kirche treibe ins Gebet, sagt Willi Honegger. Bei ihm selbst habe das vertiefte Studium der Schrift eine Wende herbeigeführt. Zu beten sei um die Befreiung von den Fesseln der Bibelkritik, welche den Verkündigern die Vollmacht geraubt habe. Markus 1,15 weise die Richtung, wie zu predigen sei – mit einer glasklaren Aufforderung, umzukehren und sich aufs Evangelium einzulassen.

Nicht Angebote – ein Aufgebot
In der Person von Jesus Christus ist die Zeit erfüllt. Jesus macht, so Honegger, «keine Angebote – nur ein Aufgebot: zur Umkehr, zur Nachfolge, zum völligen Vertrauen». Wer sich Jesus zuwende, der wende sich der gesamten Bibel zu und ordne sich in Gottes Heilsplan ein: «eine grosse Segensgeschichte, in die wir als Kirche neu eintreten dürfen und eintreten sollen.»

Laut Honegger gibt die Klarheit der Heiligen Schrift den Boden ab, auf dem die Gemeinde wächst. «Die Bibelkritik hat nie geistliche Kraft entwickelt.» Die Rückkehr unter das Wort der Heiligen Schrift sei «für die Kirche der einzige Weg in die Zukunft». Manche hätten sich in den letzten Jahrzehnten «ein mehr oder minder bibelloses Christentum zusammengezimmert». Gefordert sei eine schnörkellose missionarische Verkündigung in der ermatteten postmodernen Ruinenlandschaft, um an der künftigen Kultur mitzubauen.

Wenn Liebe Kult ist
Nach der Mittagspause folgen drei Vorträge. VDM Benjamin Kilchör, Professor für Altes Testament an der STH Basel, hinterfragt den Kult der Liebe als des höchsten, universalen Werts. Wo ‹Liebe› heute gelebt werde, habe die Kirche nicht im Weg zu stehen. «Wer ‹Liebe› sagt, hat gewonnen.»

Kilchör verweist auf Dietrich Bonhoeffer, der sich gegen die Versuchung stellte, aus der eigenen Vorstellung dessen, was Liebe ist, einen eigenen Gott – einen Götzen – zu schaffen. Liebe ist auf Wahrheit bezogen (1. Korinther 13,6). In Christus finden Liebe und Wahrheit zusammen. «Gott ist das Subjekt der Liebe – und ich derjenige, der sie empfangen kann.»

Achtung, Pharisäer!
Philipp Widler, Pfarrer in Tägerwilen-Gottlieben, konfrontiert die Anwesenden mit dem Pharisäer-Zöllner-Gleichnis (Lukas 18,9-14). Das Bild, das die Gesellschaft von Frommen habe, sei «erschreckend deckungsgleich mit den Aussagen des Neuen Testaments über die Pharisäer». So fragt Widler, wie viel von diesem Jesus die Christen ausstrahlen. «Bin ich nicht zu oft in der Rolle des Pharisäers, der auf andere herabschaut?» Christen seien häufig oberflächlich und unehrlich miteinander unterwegs (Ulrich Eggers), in den Kirchen werde viel Fassadenchristentum gelebt und auf Nebenschauplätzen gekämpft.

Dem Reich Gottes dienen: Philipp Widler.

Das neue Netzwerk darf laut Widler nicht dazu dienen, die «Sucht nach Rechthaberei zu befriedigen». Das Verurteilen von Mitmenschen sei nicht Teil seines Bekennens, sagt der Pfarrer. «Benötigt diese Welt mehr selbstgerechte Pharisäer oder mehr gerechtfertigte Sünder?» Alles theologische Ringen müsse dem Reich Gottes dienen, betont Widler und warnt vor theologischer Rechthaberei, welche zu Trennungen führt.

Was ist das Evangelium?
Der Neutestamentler Christian Stettler, der an der Uni Zürich und an der STH Basel lehrt, konturiert den biblischen Begriff des Evangeliums für eine Generation, in der Verschiedenes als Inbegriff oder Ziel des Evangeliums angegeben wird (Menschenwürde, Toleranz, Dankbarkeit für das Leben …). Dagegen hält er fest: «Was das Evangelium ist, gibt uns die Bibel vor, in bestimmten Formulierungen.»

Das Neue Testament bezieht sich auf alttestamentliche Stellen wie Jesaja 52,7: Der Prophet sieht eine Zeit voraus, in der Gott zum Zion kommen und ihm Frieden bringen wird. Jesus sah sich als Gottes Knecht (Jesaja 53), der dies realisiert.

Inhaltlich bestimmte Botschaft
Nach 1. Korinther 15,1ff ist das Evangelium etwas, «was man lernen kann und lehren kann – es geht um bestimmte Inhalte». Paulus ermahnte die Korinther, an dem Wortlaut (logos) des verkündigten Evangeliums festzuhalten (1. Korinther 15,2). «Glaube ist nicht nur Herzenssache und Überzeugung, sondern Festhalten an einem bestimmten Wortlaut – nicht beliebig übersetzbar, sondern gebunden an den Wortlaut der Bibel.» Das Evangelium handelt nicht von irgendwelchen Ideen, sondern von einer historischen Person, betont Stettler. «Jesus ist nicht eine Chiffre, die wir beliebig füllen könnten. Wir können ihn richtig nur nach der Schrift verstehen.»

Das Evangelium der Bibel: Christian Stettler.

Eine Blume – viele Facetten
Den Christen in Galatien machte Paulus klar, dass es nur dieses eine Evangelium des Messias gibt (Galater 1,6-9). Der scharf gehaltene Brief steht quer zur heutigen Zeit, in der unterschiedliche Deutungen, Bibelverständnisse und Jesus-Bilder florieren. Laut Stettler gibt es eine Deutung, die massgeblich ist. Jesus ist von dem alttestamentlichen Reden Gottes her zu verstehen.

So hätten Theologen nicht Blumen in einen Strauss zu stellen, sondern alle Facetten dieser einen Blume wahrzunehmen, sagt Christian Stettler. Es gelte, das Evangelium auszuloten und darum zu ringen, die fremde Sprache zu ergründen. «Glaube ist ein Verhältnis zu Gott, der uns in diesem (fremden) Wort begegnet. Wir sind nie fertig damit – wir sind immer am Entdecken.»

Arbeitskreis wirbt um Unterstützung
Abschliessend lädt Jürg Buchegger, bisher Pfarrer in Frauenfeld, die Teilnehmenden zum Engagement fürs Schweizer Netzwerk «Bibel und Bekenntnis» ein. Die Bereitschaft wird mittels eines Umfrageblatts erhoben. Man wolle nicht einen Verein gründen, sondern Bewegung bleiben, sagt Buchegger. Der sechsköpfige Arbeitskreis sucht Ergänzung durch weitere Personen.

Präsent ist das Netzwerk bereits mit seiner Website, auf der die Referate bald aufgeschaltet werden. Buchegger: «Wir wollen Verkündiger ermutigen, dem biblischen Wort mehr zuzutrauen, als sie gedacht haben.» Damit werde die Grundlage für fruchtbare Verkündigung und Gemeindeaufbau geschaffen.

Website des Netzwerks              Idea-Interview mit Willi Honegger