Lieder neu singen und den Schatz bewahren

Mit Saiten, Pfeifen, Hörnern und Stimmen will Gott laut den Psalmen gelobt werden. Über das Wie gehen die Meinungen bei den Reformierten weit auseinander. Dass die Kirche mit populärer Musik und Worship gewinnt, wird noch heftig bestritten. Anderseits sehen sich experimentierfreudige Kirchgemeinden einer Flut von Songs gegenüber. Im Bernbiet kommen zahlreiche Lieder im eigenen kraftvollen Idiom dazu. Die Tagung der Positiven und des Landeskirchen-Forums am Samstag, 7. September, führte profilierte Vertreter der Szene zusammen.

„"In dir ist Freude in allem Leide..."…“: Das Lied sangen die Teilnehmenden in der ehrwürdigen Nydeggkirche, wie sie es wohl noch nie gesungen hatten: mit E-Piano, Gitarre, Saxophon und Flügelhorn. Die Referenten spielten ad hoc und leiteten den Tag so frisch ein, dass über der Freude das Leiden am Gesang in manchen Gottesdiensten vergessen ging.

Elisabeth Zürcher von der Positiven Fraktion der Berner Kirchensynode erinnerte daran, dass Musik Leib, Seele und Geist berührt und Menschen durchdringt. Die Berner Synodalrätin Claudia Hubacher rief die 70 Teilnehmenden auf, Menschen mit Musik zu begeistern und zum Gotteslob zu bewegen. Pfr. Alfred Aeppli vom LKF betonte die Bedeutung der Musik für die Gemeindeentwicklung. Von allen Seiten sei Elastizität gefordert, damit die Musik „"ganz verschieden gestimmte Leute ansprechen kann"“. Denn „"Musik kann verbinden –- aber auch trennen"“.

Gott näher kommen
Die Tagung streifte biblische Grundlagen von Lobpreis und Anbetung. Der Tagungsleiter Pfr. Richard Stern vom LKF stellte die These auf, dass es in der Vielfalt der Stile eine Musik gibt, wie der Vater mit dem Sohn eins ist -– Einheit in der Vielfalt. Er bemerkte, in Zeiten geistlicher Aufbrüche seien viele neue Lieder und neue Stile entstanden. (Wie die unübersehbare Zahl neuer englischer Lieder zu bewerten ist, war kein Thema des Tages.)

Gott wohnt im Lobpreis seines Volks, thront über seinen Liedern: Mit der kühnen Aussage von Psalm 22,4 leitete Andreas Hausammann seinen Vortrag „"Populäre Kirchenmusik –- Herausforderung und Chance"“ ein. Er bemerkte, dass in der Bibel Lob und Klage und Vertrauen miteinander und einzeln ausgedrückt werden, aufgrund der im Alltag erlebten Gegenwart Gottes („"Von allen Seiten umgibst du mich…“..."). Gott, der Schöpfer der Musik, frohlockt und jubelt über seinem geretteten Volk (Zefanja 3,17). Für Hausammann zeigt der Verweis auf den Lobgesang nach dem Abendmahl (Matthäus 26,30), dass das Singen zum Leben der Jünger mit Jesus gehörte.

Heute gelte es die Palette der musikalischen Ausdrucksmittel zu verbreitern, sagte Hausammann, Leiter der Arbeitsstelle für populäre Musik der St. Galler Landeskirche, in der Nydeggkirche. Dabei sei die kirchenmusikalische Tradition fortzuführen. Nach dem bekannten Wort zur Tradition gilt es das in Kirchenliedern aufgehobene Feuer des Glaubens früherer Generationen zu bewahren und das Liedgut nicht wie Asche zu behandeln.

Musik, die Glauben ausdrückt
Populäre Kirchenmusik (PM) definierte Hausammann als geistliche Musik im Bereich Spiritual/Gospe, Jazz und Pop/Rock. Er ist "„mehr denn je überzeugt, dass PM in unseren Kirchen eine guten Platz haben darf und soll"“. Eingängige neue Lieder, die man rasch mitsingen kann, sind „"Brücken zur musikalischen Alltagswelt der Besucher"“; mit ihnen könne der Glaube zeitgemäss ausgedrückt werden, führte Hausammann aus. PM vermöge heute anders als in ihren Anfängen in den 1950er Jahren "„eine grosse Zahl von Glaubensaussagen zu transportieren"“ und entspreche in ihrer Vielfalt der Gesellschaft. PM spreche mit Ohrwürmern das Herz an, scheue weder Kitsch noch grosse Gesten und Gefühle.

Laut Hausammann gibt es mit PM in den Kirchgemeinden mehr Zusammenarbeit von Musikern und Pfarrpersonen. „"Die Zeiten, da der Organist am Samstag ein Mail mit 3 Chorälen erhält, sind vorbei".“ Das Miteinander in Bands wirke dem Individualismus entgegen. Eine PM-Fachkommission hat kürzlich in einem Leitbild formuliert, dass Kirchenmusiker sich als an Gemeindeentwicklung Beteiligte verstehen –- unabhängig von Ausbildung und Tätigkeit.

Sorgfalt und –- mehr üben!
Die Herausforderungen beim Einbringen von PM ins Feiern der Gemeinde verschwieg Andreas Hausammann nicht: Das Schlagzeug ist gezielt einzusetzen und „"ganz präzis und transparent"“ zu spielen. Technik soll in alten Kirchenräumen nicht dominieren (Boxen und Leinwände). „"Die Kultur des gelingenden Singens wächst durch langjähriges Üben".“ Vielerorts höre man aufgrund mangelnden Knowhows schlechte PM. Die Musizierenden sollen zum gemeinsamen Gesang einladen und ermutigen, ohne sich von der Gemeinde abzuheben oder sie zu übertönen. Das heisst: „"neugierig, mit Respekt aufeinander zugehen, um miteinander Gottesdienst zu gestalten, in Freude an dem, was der andere macht"“. Grosse Sorgfalt ist auf die Auswahl der Lieder und ihre Abfolge zu verwenden. Angesichts der Flut neuer Songs schloss der Referent mit dem Appell, „"dranzubleiben, damit wir die neuen Lieder finden, die überleben"“.

Reichtum der Stile
Die Tagung mit ihren Workshops war durchwirkt von Musik, bis hin zum besinnlichen Abschluss in der Taizé-Feier. Exponenten der Berner Kirchenmusikszene machten Mut zur Zusammenarbeit und zur Begegnung verschiedener Klänge und Stile. (Unter den Teilnehmenden waren die Organisten allerdings an einer Hand abzuzählen.) Matthias Stefan und Adrian Menzi, beide in Kirchberg tätig, legten Gemeinsames und Unterschiede von Kirchen- und Gospelchor dar. Martin Jufer (Jazz- und Kirchenmusiker der Casappella) erläuterte, wie Bläser sich einbringen können. Band- und Brassmusiker sollen aufeinander eingehen und sich klar absprechen.

Kernlieder
Der Liedermacher Markus Dolder und der Kirchenmusiker Andreas Marti, einer der Schöpfer des reformierten Gesangbuchs, deuteten in ihrem Workshop die Probleme an: Es gelte „"Pole zusammenzuziehen, die einander oft nicht suchen"“, sagte Dolder. Musiker sollen aufeinander zugehen, statt abschätzig vom anderen Stil zu reden. „"Singt dem Herrn ein neues Lied"!“ Der Aufruf von Psalm 100 ziele nicht auf einen musikalischen Mischmasch; „"es braucht eine klare Haltung der Musizierenden"“. Andreas Marti, Leiter der Kirchenmusikschule Bern, zeigte an Beispielen die Nähe von Gesangbuchliedern zur Popularmusik. Er stellte eine Liste von Kernliedern aus dem Gesangbuch vor, ein Minimalrepertoire von 30 Liedern.

Dolder nannte drei Schlüssel, um Distanz und Gräben zu überwinden: mehr wertschätzend aufeinander zugehen -– gut bekannte Lieder suchen -– gemeinsame Anlässe gestalten. Marti betonte, dass "„ein gemeinsames Liedgut wächst -– aber man muss etwas dazu tun"“. Von ihm angeleitet sang die Gruppe alte Lieder, die aus sich heraus variiert neu klingen.

Leidenschaft und Experiment
Der Liedermacher Bene Müller, bei Vineyard für Musik zuständig, schilderte Formen der Anbetung in der Kirchengeschichte als Wellenbewegung von einfachem Singen aller und kunstvollem Musizieren von Geschulten (zuerst in den Klöstern). Die Reformation habe die Verkündigung des Worts ins Zentrum gestellt. Schon in früheren Zeiten seien populäre Melodien übernommen worden, sagte Müller. „"Vieles was als neu empfunden wird, ist beim näheren Hinsehen so neu nicht".“ Alles was der Heilige Geist in der Vergangenheit gewirkt habe, sei wertzuschätzen.

Der Verfasser von 200 Liedern („"Du selbst willst die Schafe weiden“") gab Einblick in seine Schaffensweise und lud zum Experimentieren ein. Anbetung sei eigentlich nicht über den Musikstil zu bestimmen, sondern zu verstehen als natürliche Reaktion des Menschen –- "„das was passiert, wenn Gott dir begegnet"“. Heute werde in Familien kaum noch gesungen, was es der Kirche nicht leichter mache. Müller hat Popsongs mit christlichen Texten und Kirchenlieder mit neuen Harmonien versehen.

Singtage machen Freude
Andreas und Natasha Hausammann berichteten von den kantonalen Singtagen, die die St. Galler Landeskirche seit 2009 jährlich durchführt. Vorgestellt und eingeübt wurden je zwölf neuere Lieder, die sich bei der Auswahl als theologisch aussagekräftig, eingängig, gut singbar und künstlerisch stimmig erwiesen hatten. Das Liederheft „"Gott sei Dank“" (TVZ Zürich 2012) bringt die 46 deutschen und 2 englischen Lieder unters Volk. Andreas Hausammann bildet als einer der Referenten an der Kirchenmusikschule St.Gallen Musiker in Popularmusik aus (zwei zweijährige Kurse mit Diplom). Nach dem Vorbild der St. Galler haben auch die Reformierten im Thurgau und Aargau Singtage durchgeführt. Laut Hausammann geschieht die Einführung der Lieder mit der Frage: Welche gehen uns nach, bleiben präsent, auch wenn sie verklingen?