Karl der Grosse: Einigung mit Kreuz und Schwert
Die Schweiz gab es noch nicht, als vor 1200 Jahren die epochale Herrschaft Karls des Grossen endete. Das Landesmuseum in Zürich zeigt in seiner Ausstellung über den Frankenkönig, wie Religion, Kultur und Politik am Eingang zum Mittelalter zusammengingen und Europa Gestalt annahm.
Das Streben nach einer christlichen Ordnung, vom fernen Herrscher visionär verordnet, hat die Lande zwischen Boden- und Genfersee geprägt, 500 Jahre bevor die Eidgenossenschaft entstand. Die Ausstellung "Karl der Grosse und die Schweiz" im Nationalmuseum in Zürich rückt eine Zeit heran, in der Grundlagen Europas gelegt wurden. Zugleich weckt sie die Frage nach dem Sinn eines christlichen Imperiums: wie viel die Obrigkeit für den Glauben tun kann und soll.
Zweiter Frankenkönig
Der Frankenkönig war der Enkel von Karl Martell, der die Mauren 732 im Herzen Frankreichs besiegt und hinter die Pyrenäen zurückgeworfen hatte. Sein Vater Pippin hatte die Königswürde erlangt. 748 geboren und 771 Alleinherrscher geworden, weitete Karl den fränkischen Machtbereich tatkräftig und geschickt aus. An Weihnachten 800 liess er sich in Rom zum Kaiser krönen (und akzeptierte damit das römische Staatsrecht, in dem es geschaffen worden war). Am 28. Januar 814 starb er in Aachen.
Wie die römischen Kaiser
1200 Jahre später führt die Zürcher Ausstellung zu Carolus Magnus zurück. Ganz nahe kommt sie ihm mit dem silbernen Kreuz, das er auf der Brust getragen haben soll. Der Franke blickte nach Ravenna und Byzanz und knüpfte - Architektur und Malerei zeigen es - bei den christlichen Kaisern des spätrömischen Reichs an. Wie sie sah er sich als Beschützer der Christen und Garant der Rechtgläubigkeit der Kirche. Ihre Entwicklung bestimmt er mit, indem er das von seinem Vater erlassene Gebot des Zehnten bestätigte und den Gottesdienst mit dem römischen Messritus vereinheitlichte. Mit den liturgischen Büchern Roms wurde auch dessen Heiligenkalender übernommen. Die Mönche hatten sich nach einer redigierten Fassung der Regel Benedikts zu richten; dadurch verflüchtigte sich die Vielfalt des keltisch inspirierten Mönchtums.
Sonntagsruhe
Dokumente lassen vermuten, dass nicht nur in voralpinen Gebieten, sondern auch in Alpentälern ein Netz von Gotteshäusern errichtet wurde. Die Priester sollten die Bibel lesen und ihren Inhalt vermitteln können. Die Zehn Gebote wurden eingeschärft, wie ein Schriftstück zeigt: Die Sonntagsruhe erstreckte sich auch auf das Verbot leichter Arbeiten wie das Ausbessern von Kleidern. Wer sonntags pflügte, dessen Zugtiere sollten konfisziert und Bedürftigen gegeben werden.
Kirche im Dorf
Grundherren konnten nicht wie zuvor über die von ihnen gestifteten Kirchen verfügen. Karl's Verordnungen ordneten das kirchliche Leben. "Es entstand das Bild der Kirche im Dorf inmitten des Friedhofs als Einheit der Lebenden und der Verstorbenen" (Georges Descoeudres). Während die Distanz zwischen dem gebildeten Klerus und dem Volk zunahm, wollte der König, dass jeder Untertan das Unser Vater und das Credo in seiner Sprache aufsagen konnte und seinen Sinn v erstand. So wurden die ersten Bücher deutscher Sprache geschrieben, und die romanischen Sprachen trennten sich vom Latein. In einer Weisung an den Klerus von 789 "erscheint Karl als Kirchenreformer nach dem Vorbild von Israels König Josias, der das ihm von Gott verliehene Reich... zur wahren Religion zurückzuführen bestrebt war" (Eugen Ewig).
Schöpfer und Reformer
Die Zürcher Ausstellung lässt mit 200 teils einzigartigen und kostbaren Exponaten aus dem In- und Ausland erahnen, wie Kirche und Theologie in der karolingischen Zeit zur Zivilisierung der Bevölkerung eingesetzt wurde. Das Nationalmuseum thematisiert in der achtteiligen Ausstellung den Lebensweg Karls (mit mindestens vier Gattinen und fünf namentlich bekannten Konkubinen), den Kreis der Gelehrten, Bildungs- und Münzreform, Kirchen und Klöster, Buchkunst, repräsentative Bauten und frühe Mythenbildung.
Kirche gefördert und instrumentalisiert
Über 230 Klöster wurden als Zentren der Bildung errichtet. Die Reichspolitik der Franken "bediente sich nicht nur der Bischöfe, sondern auch der Äbte massgebender Klöster zur Sicherung ihrer Herrschaft" (R. Pfister). Der Bau des Klosters Müstair (um 775) zeigt die Bedeutung von Klöstern: An den Hauptwegen Rätiens hatten sie die fränkische christliche Präsenz zu stärken. 806/807 vollzog Karl in Rätien die Trennung von Bischofs- und Grafenamt. In grossem Umfang fiel Kirchengut an den Staat.
Kritik an Zwangstaufen
Der Festigung im Innern durch das Einschärfen christlicher Gebote entsprach nach aussen die kriegerische Expansion und Christianisierung mit Gewalt: Karl zwang heidnische Völker wie die Sachsen zur Taufe. Allerdings kritisierten Bischöfe 796 die Gewaltmethoden mit dem Hinweis, dass die Bekehrung Gottes-, nicht Menschenwerk sei. Unwissende müssten erst unterwiesen werden. Massentaufe und Gewalt wurden abgelehnt.
Münze für ein Millennium
Höchst nachhaltig war die Münzreform Karls: Der König prägte für alle Länder seines Reichs eine Münze, den silbernen Denar, der 1000 Jahre in Gebrauch blieb. Er setzte Grafen als seine Vertreter ein und liess ihre Amtsführung durch zwei Königsboten überwachen. So wurde eine einigende Hand in den Ländern zwischen Adria und Nordsee spürbar. Epochal wirkte Karl auch mit seiner Bildungsreform: Er führte eine neue Schrift ein, die karolingische Minuskel, scharte herausragende Gelehrte in einer Hofschule um sich und liess antike Texte verbreiten.
So grandios das Werk Karls des Grossen war - sein Imperium zerfiel innert Jahrzehnten in drei Teile. Doch mit der Christianisierung und den Reformen waren Grundlagen fürs europäische Mittelalter gelegt. Im Rückblick staunt man, wie rasch wesentliche Elemente der abendländischen Kultur geformt wurden. Wie sind diese Essentials heute in digitalen Umbrüchen zu bewahren, neu zu gestalten und zu vermitteln?
Die Ausstellung im Nationalmuseum in Zürich dauert bis 2. Februar 2014. Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, Donnerstag 10-19 Uhr. An Feiertagen offen.
Grosser Bildband zu Kunst und Kultur der Karolingerzeit:
Die Zeit Karls des Grossen in der Schweiz
Benteli Verlag, Sulgen, 2013, ISBN 978-3-7165-1784-0