Haute École de Théologie in der Waadt eröffnet
Die bekennenden Protestanten in der Romandie starten eine Fachhochschule, um gesellschaftsrelevante und biblisch orientierte theologische Ausbildung anzubieten. Am 10. September wurde die Haute École de Théologie in Saint-Légier oberhalb Vevey feierlich eröffnet. Die Schule ist eine Antwort auf die Krise der Pfarrerausbildung in der Westschweiz. Sie bietet Bachelor- und Master-Studien an.
«Unis par l’Évangile, formons la personne, construisons l’Église, servons la société!» Mit dieser Losung will die Fachhochschule HET-PRO (Haute École de Théologie protestante, professante, professionalisante) den christlichen Glauben auf biblischen Grundlagen kreativ vermitteln und Theologen für Landes- und Freikirchen wie auch Migrationskirchen ausbilden.
Sie alle unterliegen dem beschleunigten gesellschaftlichen Wandel im Arc Lémanique, wie der Direktionspräsident David Valdez an der Eröffnungsfeier unterstrich: Es gelte, «die Herausforderungen der Interkulturalität anzugehen, um die Einheit in der Diversität zu leben.»
Zwölf Dozenten
Im Zelt auf der Wiese neben der Schule durchschnitten Valdez und Mitinitiant Dr. Shafique Keshavjee das blaue Band. In der bewegenden Feier legten die Verantwortlichen dar, was zum Vorhaben führte, und blickten auf die letzten Jahre zurück. Der Rektor, Dr. Jean Decorvet, bat die anderen elf Dozenten nach vorn. Zwei Studierende beteten für sie. Als Ziel bezeichnete Decorvet die «integrale Vermittlung des Glaubens, intellektuell, spirituell und geschwisterlich». Die Gründung der Schule ist laut Dekan David Richir ein Wagnis. Mit Christus werde es gelingen. Richir schloss mit dem Gebet von Niklaus von Flüe; dieses sei für die Arbeit der HET leitend.
Eidgenössische Anerkennung wird beantragt
Die Dringlichkeit der neuen Schule und ihre Aussichten wurden mit Politikern und Kirchenvertretern und Vertretern französischer Fakultäten erörtert, die dem Patronatskomitee angehören. Die HET-PRO wird die eidgenössische Anerkennung als private HES (Haute École Spécialisée) für ihre Bachelor- und Master-Abschlüsse beantragen und hofft sie 2021/22 zu erlangen.
Der Neuenburger SP-Nationalrat Jacques-André Maire unterstrich, die «Verankerung in der Wirklichkeit», der für Fachhochschulen charakteristische Praxisbezug, entspreche klaren Bedürfnissen der Gesellschaft, auch der Kirche. Universitäten und Fachhochschulen ergänzten einander. An der HET werde der Glaube auch individuell und in Gemeinschaft gelebt, damit solle die Schule ihren Platz als Ergänzung der anderen Hochschulen finden, sagte Maire, der selbst einer Kirchgemeinde vorsteht.
Krise der Pfarrerausbildung
Die Pfarrerausbildung in der Romandie ist in der Krise. Dieses Jahr wurde nur eine Pfarrerin in der Waadtländer Landeskirche konsekriert. Die Fakultät in Lausanne, die auf Calvin zurückgeht, setzt seit einigen Jahren auf Religionswissenschaft und -Soziologie.
Doch verhielt sich die Waadtländer Kirchenleitung bisher abweisend gegenüber der HET-PRO. Dabei ist die Hälfte der Pfarrer in der Romandie über 55jährig, wie Pierre Bader, Pfarrer in Corsier, bemerkte. Er geht davon aus, dass der Nutzen der Schule für die Landeskirchen sich mit den Jahren erweist und anerkannt wird. Es ergehe der HET-PRO wie anderen Neuerungen, meinte Bader: Sie werde zuerst als Gag wahrgenommen und dann als Drohung – bis sie Tatsache sei.
Breite Trägerschaft
Die HET-PRO setzt ein starkes Signal für die innerevangelische Ökumene: Bekennende Reformierte und Freikirchler (Évangéliques) tragen sie gemeinsam. Vollzeit- und Teilzeit-Studierende können unter drei Studiengängen wählen: Biblische und theologische Studien, «Leadership en Église» und «Service et mission interculturels». In einem Jahr kann ein Zertifikat erworben werden; für den Bachelor werden 180 ECTS verlangt.
Christliche Drehscheibe für die Boom-Region
Das «Forum Emmaüs» an aussichtsreicher Lage über dem Genfersee beherbergt nicht bloss die Schule; es führt auch öffentliche Veranstaltungen durch und steht Gruppen und Einzelgästen offen. In diesem Studienjahr sind 80 Personen eingeschrieben. 25 von ihnen beginnen neu, 55 studierten bisher am Institut Biblique et Missionnaire Emmaüs, das seit 1967 an diesem Ort angesiedelt war und nun in die HET-PRO eingegangen ist. Die Gebäude werden derzeit renoviert und erweitert.
Der administrative Leiter Patrick Arnegger sagte, mit den Schulgeldern und seinen Angeboten für Gäste, Retraite-Gruppen und Erholungsbedürftige wolle der Campus den Betriebsaufwand zu drei Vierteln decken; jährlich brauche man 700‘000 Franken Spenden.
Zeit für selbstbewusstes Auftreten
Jacques-André Haury, ehemaliger Grossrat der Waadt, wünschte, die Schule möge der Landeskirche «die Freude und den Stolz (joie et fierté) in der Verkündigung des Evangeliums» wiedergeben. Die Reformierten dürften durchaus sagen, was das Christentum der Welt und namentlich dem Westen gegeben habe. «Das Rote Kreuz ist zuerst ein Kreuz.» Die Protestanten hätten das reformatorische Erbe selbstbewusst zu vertreten, meinte Haury unter dem Applaus der Anwesenden – «weniger miserere und mehr magnificat».
Der jüdisch-messianische Gelehrte Yohanan Goldman (Fribourg) brachte seine Freude über die Eröffnung der Schule zum Ausdruck. Denn es gelte, Theologie auf den Alltag zu beziehen: «penser dans la vie». Herz und Verstand müssten zusammenwirken. Das Wissen und die Erkenntnis Gottes seien nicht unvereinbar; dies könne die HET im universitären Kontext aufzeigen.
Angenehmes Joch
Der HET-Initiant Shafique Keshavjee, bis 2010 Professor für ökumenische und Religionstheologie an der Uni Genf, übergab den Schulleitern zum Start zwei symbolische Geschenke, eine dreifache Schnur und ein Joch. Er erinnerte an die Einladung von Jesus an die Belasteten, zu ihm zu kommen und sein angenehmes Joch auf sich zu nehmen (Matthäus 11,25-30). «Die Theologie studieren, heisst die Joche der Menschen studieren, damit sie sie ablegen und das Joch von Christus auf sich nehmen», bei ihm wahrhaft leben lernen, sagte Keshavjee.
«Une haute école de théologie, c’est d’abord une humble école de théologie.» (Eine hohe Schule der Theologie ist zuerst eine demütige Schule.) In de HET sollten Menschen Jünger von Jesus werden – mit der Perspektive, andere zu Jüngern zu machen.
Auch für Deutschschweizer attraktiv
Den Anstoss zum Wagnis HET-PRO gab Jean-Claude Badoux, der frühere Präsident der ETH Lausanne und der Waadtländer Kirche. Er lobte an der Feier die Jugendlichen der Schweiz, die leidenschaftlich und glaubensvoll Jesus und der Gesellschaft dienen wollten. Es gelte, sie liebevoll und mit Respekt zu unterrichten und ihnen die Mittel für den Dienst zu geben. Durch die Verbindung von akademischer Lehre und geistlichem Leben, so Badoux, wird die HET-PRO auch für Deutschschweizer und Franzosen attraktiv sein.