Gottfried Locher als SEK-Ratspräsident gewählt
Gottfried Locher wird Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK. Die Abgeordneten der Mitgliedkirchen wählten den Berner Theologen am Montag in Herisau zum Nachfolger von Thomas Wipf.
Pfr. Gottfried Locher, Kandidat der Berner Kirche, tritt das Amt als erster Repräsentant der Schweizer Reformierten Anfang 2011 an. Die Wahl gestaltete sich spannend, da der Innerschweizer Kandidat, Pfr. David A. Weiss, von den meisten Vertretern der kleinen und mittleren Kirchen der Deutschschweiz bevorzugt wurde. Im ersten Wahlgang erhielt Weiss 28 Stimmen, Locher 27.
Auf den Walliser Kandidaten Pfr. Didier Halter entfielen 14 Stimmen. Der Präsident der Abgeordnetenversammlung sah ein, dass er über die Romandie hinaus wenig Unterstützung erhielt, und verzichtete. Der Vertreter der Romands erklärte darauf, dass sie Locher unterstützen würden. Im zweiten Wahlgang stimmten 38 Kirchenvertreter für Locher, 31 für Weiss.
Eingangs waren die Kandidaten, die sich im Mai in Olten vorgestellt hatten, nochmals ins beste Licht gestellt worden. Didier Halters Zweisprachigkeit, Erfahrung, Gewandtheit und theologische Kompetenz wurden gerühmt; Walliser, Genfer und Neuenburger sprachen sich für ihn aus.
Wer baut Brücken?
Der Berner Vertreter fragte, wie sich die reformierte Kirche "in einer immer multikulturelleren Gesellschaft positioniert". Die Reformierten bräuchten eine nationale Stimme. "Glaubwürdigkeit kommt von der Substanz. Wir brauchen jemand, der als reformierte Stimme überzeugt: sprachlich, sachlich, menschlich".
Der Schweizer Protestantismus brauche einen Brückenbauer, der Gräben überwinde. Angesichts ganz unterschiedlicher Bedürfnisse der Mitgliedkirchen sei eine sanfte Hand vonnöten, "partizipativ und umsichtig, gleichzeitig auch hartnäckig". Gottfried Locher geniesse Ansehen bei anderen Kirchen und sei international bestens vernetzt. Mit dem Jahrgang des neuen britischen Premiers, so der Berner Vertreter, bringe Locher frischen Elan mit und könne die jüngere Generation ansprechen.
Für David A. Weiss wurde seine kirchenpolitische Erfahrung ins Feld geführt; er war 1999-2005 bereits Mitglied des SEK-Rats. Die Innerschweizer Sprecherin lobte seinen Realitätssinn und sein Wissen um die Bedürfnisse der kleineren und der Minderheitskirchen. Weiss könne vernetzen, er sei pragmatisch und lösungsorientiert und habe "eine Art natürlicher Autorität".
Aufeinander angewiesen
In der Folge wurde deutlich, dass Vertreter der kleineren und mittleren Kirchen in der Deutschschweiz ihre Anliegen stärker gewichtet haben wollen. Der Glarner Alfred Meier sagte, es gehe darum, Kirche zu gestalten mit wenigen, unter Verzicht auf Fachleute. "Kirche wird immer mehr zur Mitgliederkirche...
Kleine und mittlere Kirchen können gar nicht anders, als immer wieder Knowhow auszutauschen; sie haben gar nicht die Möglichkeit, auf sich gestellt Kirche zu leben".
Der Gastgeber der Versammlung, der Appenzeller Kirchenpräsident Kurt Kägi, betonte, der SEK-Ratsvorsitzende habe nicht vor allem international zu repräsentieren. Es gehe jetzt darum, den Kirchenbund "unter Wahrung der föderalen Struktur Schritt um Schritt weiterzuentwickeln". Bei Weiss (55) sei die Amtsdauer absehbar.
Gräben in der Kirchenlandschaft
Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert kontrastierte die Idealvorstellung einer Evangelischen Kirche Schweiz mit der Realität einer grabenreichen reformierten Kirchenlandschaft. Die Wahl sei eine Richtungswahl. Doch "wir können nicht Stärke unserer Institution mit dem Mittel einer Präsidialwahl fördern".
Kundert erinnerte an Weiss' Vermittlerfähigkeiten; er sei fähig, den Konsens herauszuschälen, und merke, wenn Deutschschweizer und Romands einander nicht mehr verstünden. Der Waadtländer Vertreter Jean-Michel Sordet machte demgegenüber deutlich, dass Weiss den Romands viel ferner steht als der Berner und der Walliser.
Die Romands geben den Ausschlag
Das mit grösster Spannung erwartete Resultat des ersten Wahlgangs bewog Didier Halter zum Verzicht. Er trat ans Pult und versprach, sich weiterhin für einen offenen SEK einzusetzen, in dem Christus als "seul chef de lEglise" geehrt werde. Die Delegierten dankten Halter mit starkem Applaus, einer standing ovation.
Um 11.15 Uhr wurde das Resultat des zweiten Wahlgangs verkündet. Gottfried Locher nahm die Wahl an, "mit grossem Respekt vor dem Amt". Er dankte den beiden Konkurrenten für den fairen Wahlkampf. Dabei seien Fragen nach dem Kirchenverständnis und reformierten Wurzeln, nach der reformierten Solidarität aufgebrochen. "Ihr habt Dinge, die ich nicht habe. Ich hoffe, dass wir zur Schärfung unseres reformierten Profils zusammenarbeiten". Der Berner Pfarrer schloss: "Möge der gnädige Gott uns führen in dieser schwierigen Zeit".
Mit anderen Kirchen vertraut
Gottfried Locher ist 44, verheiratet und Vater von drei Kindern im Schulalter. Der Berner, der über das Kirchenverständnis der Reformatoren doktorierte und an der London Business School einen MBA erlangte, leitet seit 2006 das Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg. Seit 2008 ist er auch Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Zuvor war Locher seit 2000 als Ökumenebeauftragter und von 2001-2005 als Leiter der Abteilung Aussenbeziehungen im SEK tätig.
Locher folgt auf Thomas Wipf, der Ende 2010 nach zwölf Jahren zurücktritt. Anfang November werden infolge von Rücktritten vier neue nebenamtliche Mitglieder des SEK-Rats gewählt. Der SEK vertritt 26 evangelische Kirchen mit rund 2,4 Millionen Protestanten in der Schweiz.
Präsident und Rat SEK sind Gesprächspartner der Bundesbehörden sowie nationaler säkularer und religiöser Organisationen. Auf internationaler Ebene vertreten sie die SEK-Mitgliedkirchen insbesondere im Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK, im Reformierten Weltbund RWB, in der Konferenz Europäischer Kirchen KEK und in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE.
SEA gratuliert
Die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) hat Gottfried W. Locher zur Wahl zum Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes gratuliert. In einer Pressemitteilung betonte die SEA am Tag nach dem Christustag die Bedeutung der innerprotestantischen Zusammenarbeit von Landes- und Freikirchen.
"In den Begegnungen zwischen dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK), der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) und dem Freikirchenverband (VFG) werden neben Struktur- und Organisationsfragen oft auch Fragen des Glaubensverständnisses angeschnitten". In der Schweizer Kirchenlandschaft solle "die Vielfältigkeit und Dynamik des Christus-zentrierten Bekenntnisses, wie es in vielen Landes- und Freikirchen in der Schweiz gelebt wird, durch Verbandsstrukturen nicht eingeengt, sondern gefördert" werden.