• Gemeindeentwicklung: Über das Lokale hinaus

    Volkskirche lebt auf mit kreativer Mission. Die Chancen hat Pfr. Hans-Hermann Pompe, Leiter des EKD-Zentrums für Mission in der Region, in einem Buch herausgestellt. Er plädiert dafür, dass Ortsgemeinden sich gegenseitig ergänzen. Die Zeit der Allmachtsphantasien und Vollständigkeits-Ansprüche sei vorbei. Dem Herausgeber des Handbuchs Kirche und Regionalentwicklung haben wir per Mail Fragen gestellt.

    LKF: Sie schreiben: "„Attraktiv ist ein glaubwürdiges Leben für andere."“ Wie fördern es christliche Gemeinden?
    Hans-Hermann-Pompe: Gemeinden sind Teil der Gesellschaft, nach Jesus sind sie "„Salz der Erde"“. Wenn es gut geht, so sind sie in ihrer Umgebung verankert, verwurzelt und engagiert. Wenn nicht, pflegen sie irgendwo ihre Spielwiese, aber die Welt um sie herum hat nichts davon. Die Umgebung nimmt sehr aufmerksam wahr, ob unsere Gemeinden sich investieren oder nur für sich selber leben. Also: Wie nahe christliche Gemeinden dran sind an den Wunden und Bedrängnissen in der Gesellschaft, wie offen sie sind für komplizierte, ausgeschlossene oder bedrängte Menschen.

    Die diakonische und politische Verantwortung für das Gemeinwesen schafft -– zusammen mit mit anderem wie Authentizität, Kreativität oder Relevanz - einen "‚guten Ruf"‘, der den Gemeinden Jesu die Türen zu vielen Menschen öffnet. Glaubwürdiges Leben entsteht aus Sehen (Wahrnehmung) und Anpacken (Dienst). Beispiel: Unser neu gegründetes Stadtteil-Cafe in Wuppertal hatten die örtlichen Geschäftseute zunächst als Konkurrenz empfunden; nach wenigen Monaten waren sie froh, weil hier ein Ort war, wo sie Verwirrte, Überschuldete und Bedürftige hinschicken konnten.

    Gottes Güte mit Menschen teilen -– wie macht man das?
    Am besten, indem wir selber aus dem leben, was wir mit anderen teilen wollen. Bis heute stammt für mich eine der besten Zusammenfassungen für Mission von dem asiatischen Christen D.T. Niles: "„Christen sind Bettler, die anderen Bettlern sagen, wo es das Brot gibt"“. Wir leben allesamt aus der unerschöpflichen Güte Gottes –- merkt man das an unserem Verhalten und unserer Barmherzigkeit? Was fasziniert wohl mehr, sauertöpfische Moral und enge Grenzziehungen oder die Freude und Freiheit der Kinder Gottes? Wovon ich begeistert bin, das springt auch über.

    Sie konstatieren, dass Gemeinden eher auf Autarkie bauen als auf Ergänzung. Wie kommen wir dahin, dass wir Zusammenarbeit nicht mehr als Notfall sehen?
    Es ist eine bleibende Katastrophe, dass Nachbargemeinden sich eher als Konkurrentinnen denn als Schwestern empfinden. Von den Nachbarn lernen? Sie gar unterstützen? Menschen fröhlich dorthin ziehen lassen? Bisher häufig Fehlanzeige im regionalen Leib Christi. Zusammenarbeit braucht ein anderes Klima: Wenn wir Vertrauen zueinander aufbauen, wechselseitig die Gaben der anderen als unsere Entlastungen entdecken. Wenn wir mit anderen Kollegen oder Nachbargemeinden gute Erfahrungen teilen, entsteht ein Schatz für weitergehende Kooperationen. Wir im "„Zentrum für Mission in der Region"“ wollen Gemeinden verlocken, 1. Korinther 12 nicht nur persönlich oder lokal zu lesen, sondern auch regional. Und wir kennen inzwischen deutschlandweit ermutigende Kooperationserfahrungen.

    Was ist von der Stossrichtung zu halten, Kinder und Senioren vor Ort zu betreuen, mobile und postmoderne Menschen mittleren Alters eher regional ansprechen?
    Es gibt dafür keine überall gültige Pauschalregel, das muss jeweils vor Ort und in der Region geplant und abgesprochen werden. Eine gute Frage dafür ist: Wie können wir gemeinsam möglichst viele Menschen mit dem Evangelium erreichen?
    Unser Ortsgemeinden-System hat seine Stärke in lokaler Präsenz, es krankt aber an seinen Allmachtsphantasien und Vollständigkeits-Ansprüchen. Keine Gemeinde kann alle erreichen, schon gar nicht in einer sich immer mehr in Segmente aufteilenden mobilen Gesellschaft. Ich plädiere für ein elementares Grundangebot vor Ort (es umfasst vermutlich Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie, Gemeinschaft) und eine regionale Absprache für Fachkompetenzen oder unerreichte Zielgruppen, also für eine gute Mischung aus Nähe und Unterschiedlichkeit, aus Präsenz und Ergänzung. Und wenn das Ganze dann noch gabenorientiert abgestimmt wird, haben alle viel mehr Freude daran.

    Die Frage nach guter Mission gehört in den Reformprozess der Kirche: Wie meinen Sie das -– gerade im Blick auf reformierte Besonderheiten?
    Der reformierte Akzent für den missionarischen Gemeindeaufbau müsste nach meinem Verständnis ganz vorne und ganz klar zu hören sein. Die Reformierten wissen etwas von der Selbstwirksamkeit des Wortes Gottes, sie wollen die Ehre Gottes gemehrt sehen statt den Ruhm und die Privilegien der Kirche. Sie können starke Gemeinden entwickeln, die sich selber als die Organe der Liebe Gottes verstehen. Verkündigung ist im Kern die Verbreitung der unglaublichen Nachricht, dass Gott höchstes Interesse an jedem Menschen hat. Und Reformierte müssten als Erste unterstreichen, dass Erneuerung der Kirche ein ständiger Auftrag vom Herrn der Kirche ist. Insofern haben sie aus ihrer Tradition her alles, um an der Spitze einer innovativen und kreativen Mission für die Menschen der Postmoderne zu laufen. Allerdings ist da noch viel zu tun –- eia, wär’n wir da.

    Nach Ihrer Wahrnehmung bekommt die Kirche wesentliche Impulse für ihren Auftrag an ihren Grenzen. Wozu raten Sie?
    Zu einer Haltung von Neugier, Sympathie und Hingehen: Die Fragen und Rätsel unserer Zeitgenossen sehr aufmerksam wahrnehmen. Die Grenzen der eigenen Lebensstile und Kulturen nicht mit den Grenzen des Evangeliums identifizieren. Und das leise Reden des Heiligen Geistes durch Andere, Fremde, Störende oder in Frage Stellende nicht verdrängen, auch wenn das mühsam ist. Ich bin kein Prophet, aber ich vermute, dass die Begegnung mit den Christen aus Migrationshintergrund zu diesen Grenzerfahrungen gehört, auch das Eintauchen in ungewohnte Formen und Kulturen, das uns zugleich verstört und öffnet. Wann habe ich zuletzt etwas entdeckt, was für mich ungewohnt oder unerklärbar ist? Wann bin ich ausgebrochen aus meinen Gewohnheiten?

    In Ihrem Buch schreiben Sie: „"Miteinander müssen wir den Auftrag Jesu für das 21. Jahrhundert hören, als hätten wir ihn noch nie gehört, die Bibel lesen, als wäre es das erste Mal".“ Was hilft das uns?
    Die Bibel bleibt für uns nur lebendig, wenn wir sie immer wieder neu hören, wenn wir sie haben, als hätten wir sie nicht. Sie ist nicht unser Besitz, sondern unsere Quelle für Glauben und Kirche. Ich bete darum, dass mir die Neugier gerade auch auf die bekannten Texte der Schrift erhalten bleibt. Der missionarische Auftrag Jesu will für jede Generation, jedes Milieu, jede Kultur so umgesetzt werden, dass sie eine Chance zu einer gelingenden Gottesbeziehung bekommen. Ich schätze und verwerte dafür alle möglichen und brauchbaren Ergebnisse aus vielen Sozialwissenschaften. Ich habe mich aber entschieden, dass ich keine Referate mehr ohne eine biblische Anbindung halte: Dies ist unsere stärkste Referenz -– und bildet zugleich die Wurzel jeder Erneuerung.

    Hans-Hermann Pompe:
    Mitten im Leben. Die Volkskirche, die Postmoderne und die Kunst der kreativen Mission
    Vorwort von Wolfgang Huber
    104 Seiten, Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn, 2014
    ISBN 978-3-7615-6114-0 Leseprobe

    Christhard Ebert und Hans-Hermann Pompe (Hg.):
    Handbuch Kirche und Regionalentwicklung. Region -– Kooperation –- Mission
    (Band 11 der Reihe ‚Kirche im Aufbruch‘ des Kirchenamts der EKD)
    528 Seiten, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2014
    ISBN 978-3-374-03888-6

    Webseite des EKD-Zentrums für Mission in der Region ZMiR