Europas Protestanten treten in Dialog mit Vatikan

An der achten Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa haben ihr Vorsitzender Gottfried Locher und Kardinal Kurt Koch vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen die Absicht bekundet, in einen Dialog über Kirche und Kirchengemeinschaft zu treten. Am Bettags-Gottesdienst im Basler Münster mit Jodelchor und Volksmusik-Ensemble nahmen 500 Reformierte aus der ganzen Schweiz teil.

«Lieber Kardinal Kurt, es steht uns eine spannende Zeit bevor», sagte Locher mit Verweis auf Unverhandelbares wie die Frauenordination. «Ebenso wissen wir, dass wir nur gemeinsam weiterkommen.» Dass der Vatikan erstmals mit den vereinigten Protestanten eines Kontinents spricht, machte Kurt Koch deutlich. Er hob das Unterfangen für einen europäischen Dialog mit vielen Kirchen von den bisherigen globalen, bilateralen Dialogen ab und bezeichnete seinerseits die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom als unverhandelbar.

Aufeinander zugehen – im Bundesrat wie in der Ökumene
In einem Grusswort erwähnte Bundesrat Ignazio Cassis die Gründung der ersten evangelischen Gemeinde in Locarno 1530, ihre Auflösung 1555 im Zuge der Gegenreformation und die konfessionellen Spannungen vor 1848. Aufeinander zuzugehen und andere Standpunkte zu respektieren, sei die Grundlage der schweizerischen Konkordanzdemokratie. Die Arbeitsweise der sieben gleichberechtigten Bundesräte an ihren wöchentlichen Sitzungen bezeichnete Bundesrat Cassis als «eine Form von Ökumene». Die Absichtserklärung der GEKE und des Päpstlichen Rats für die Förderung der Einheit der Christen sei ein wichtiger Schritt.

Bundesrat Ignazio Cassis vor dem Gottesdienst im Basler Münster.

Flüchtiger Friede in Europa
Im Gottesdienst des «Schweizer Tags» an der GEKE-Versammlung predigte ihr Präsident Gottfried Locher über die Seligpreisung der Friedensstifter. Er erinnerte an den Aufbruch 1989, als im Frühjahr in Basel die Erste Ökumenische Versammlung der Grosskirchen Europas «Frieden in Gerechtigkeit» stattgefunden habe. Seither sei der grosse kontinentale Krieg ausgeblieben – dafür könne man nicht dankbar genug sein –, doch bleibe Unsicherheit. Der Fall des Eisernen Vorhangs zeige: «Auch grösste Veränderungen können über Nacht eintreten. Friede ist flüchtig.» Der Ukraine-Konflikt, die teilweise immense Staatsverschuldung und eine neue drohende Kluft zwischen Ost und West müssten den Kontinent beunruhigen.

Empfehlungen für Friedensstifter
Gottfried Locher formulierte darum fünf nüchterne Empfehlungen für Friedensstifter: dort hinsehen, wo der Friede gefährdet ist, nicht wegsehen; fair streiten – nicht um zu verletzen, sondern um zu verstehen; selbstkritisch bleiben («auch wir selber geben immer wieder Anlass zum Unfrieden»); Frieden in Gerechtigkeit suchen – und das Frieden stiftende Handeln an Christus orientieren: «Kein Christ ist allein aus sich selbst heraus ein glaubwürdiger Peace Maker, erst in der der Nachfolge werden wir es, erst in der Kraft des Heiligen Geistes.»

Mit Blick auf das Leiden im «geschändeten und geplünderten» Syrien hielt Locher fest: «Was im Morgenland geschieht, betrifft früher oder später auch das Abendland. Ost und West sind aufeinander angewiesen.» Dem Aussenminister wünschte der SEK-Ratspräsident Erfolg im Frieden-Stiften, den GEKE-Kirchen in der Suche nach Einheit in Vielfalt. «Wenn die politische Union in Frage gestellt ist, kommt der Gemeinschaft der Kirchen in Europa noch mehr Bedeutung zu.»

Halbmond und Kreuz in Akko, Israel

Wie die Protestanten zusammengehören
Die altprotestantischen Kirchen Europas verstehen sich neu als Kirchen-Gemeinschaft. Einstimmig beschlossen dies die Vertreter der Mitgliedkirchen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE am 15. September. In einem mehrjährigen Prozess hatten sie ihr Verständnis von Einheit erörtert. Ein Bericht fasst die Ergebnisse zusammen.

Dass die Kirchen aufgrund des Prozesses sich gemeinsam, auf europäischer Ebene, als Kirche verstünden, habe eine tiefe geistliche Bedeutung, sagte der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert am Rand der Versammlung. Vorbehalte würden überwunden, die nach der gegenseitigen Anerkennung von Lutheranern und Reformierten 1973 angedauert hätten.
 

Minderheit in religiös vielfältigeren Ländern
Gottfried Locher, seit 2015 geschäftsführender Präsident der GEKE, wurde in seinem Amt bestätigt. Mit ihm stellen Dr. Miriam Rose, Professorin in Jena, und Dr. John Bradbury von der United Reformed Church UK neu das Präsidium. Als Generalsekretär wurde der unierte Theologe Dr. Mario Fischer, bisher Leiter des GEKE-Büros in Wien, begrüsst.

Die GEKE verbindet 108 reformierte, lutherische, unierte, methodistische und hussitische Kirchen mit 50 Millionen Mitgliedern in 30 Ländern Europas. Viele von ihnen sind kleine Minderheitenkirchen, andere steuerfinanzierte Landeskirchen.

«Fitnessprogramm für die Kirche»: Podium am Nachmittag in der Leonhardskirche

Die Debatte über die Chancen der Kirchen in der Diaspora (Zerstreuung) gehörte zu den Schwerpunkten der Versammlung in Basel. Zudem erörterten die 90 Delegierten das Kirche-Sein in der religiösen Pluralität des Kontinents (Bericht).

Christen im Nahen Osten nicht vergessen!

Rosangela Jarjour, Generalsekretärin der Gemeinschaft evangelischer Kirchen im Nahen Osten, appellierte an die Kirchen, der notleidenden Bevölkerung im Nahen Osten zu helfen und die bedrängten Kirchen im Irak und in Syrien zu unterstützen. Die Lage sei katastrophal. „Wir als Kirchen Christi müssen in diesen zwei Ländern die Stimme für den Frieden erheben, für die sofortige Einstellung sämtlicher Kriegshandlungen und für den Beginn einer politischen Lösung in Syrien.“

Jarjour beklagte, dass im Gegensatz zum Irak die Kirchen in Syrien nur wenig Unterstützung erhielten. „Die meisten internationalen Partner stellten ihre Hilfe während des Krieges ein“, erläuterte sie. Sie führte dies nicht zuletzt auf die politischen Verwicklungen zurück. „In Syrien führt die ganze Welt Krieg“, betonte sie. Selbst für große Hilfswerke sei es schwierig, sich im Land zu engagieren. Jarjour würdigte die Hilfe des Schweizer Evangelischen Kirchenbundes für Kinder in Syrien. Auf Antrag des SEK formulierte die Vollversammlung eine Erklärung zur Lage im Irak und in Syrien.

Auf Betreiben der Schweizer Mitgliedkirchen fordert die GEKE in einer Resolution, dass sich die Regierungen der europäischen Staaten verstärkt für den Frieden in der Region einsetzen. Die Kirchen werden aufgerufen, ihre Partnerschafts- und Hilfsprogramme auszuweiten. Das Leiden der Menschen in Syrien und im Irak dürfe nicht vergessen gehen.

Website der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa