Wie im Himmel, so auf Erden
An den Studientagen «Komm, Heiliger Geist!» an der Universität Freiburg sprachen der Neutestamentler Nicholas Thomas Wright und der Erzbischof von Canterbury Justin Welby. Sie warben kraftvoll für ein Christsein, das Gottes Neuschöpfung zum Ausdruck bringt und den Menschen dieser Welt zugewandt ist. Welby plädierte für eine geistlich bewegte, Frieden stiftende Kirche inmitten von Verflachung, Unrecht und Terror.
Die Studientage begannen nach einer Besinnung mit einem vielschichtigen theologischen Vortrag von N. T. Wright. Unnachahmlich schilderte der weltweit bekannte Theologe den Heiligen Geist als mächtigen Hauch der neuen Schöpfung. Wright fasste die biblischen Aussagen zur Schöpfung und zur Berufung des Menschen in ihr zusammen, um die Bedeutung des Messias aufzuweisen, der alles von Himmel und Erde in sich fasst, wie es Gottes Wille ist.
Agent der Neuschöpfung
Der Heilige Geist ist keineswegs eine «gelegentliche Invasion Gottes in diese Welt», sondern wirkt, seit er über den Wassern brütete, in ihr und treibt die Neuschöpfung voran. Im Tempel finden Himmel und Erde zusammen. Menschen sind berufen, königliche Priester zu sein, um ihn anzubeten und die Liebe Gottes seiner Schöpfung zukommen zu lassen. In beeindruckender Dichte beschrieb der britische Gelehrte die Heils-Absichten Gottes mit seiner Schöpfung und die zentrale Stellung des Menschen als seines Ebenbildes und Partners (Psalm 8).
Dass die Menschen der Schlange Gehör schenkten, veranlasste Gott, die ursprüngliche Berufung durch seinen Gesalbten und den Geist zu erneuern. «Er hat ein Volk berufen, sein Himmel-und-Erde-Volk zu sein.» Der Tempel bedeutet nicht Gottes Rückzug aus der Welt, sondern «die Vorwegnahme dessen, was er in und für die Welt tun will.» Die Worte über Jesus in der Welt sind Tempel-Sprache: «Jesus ist der neue Tempel in Person. In ihm beginnt die Neue Schöpfung.» Die Christen, betonte Wright, sollen durch den Heiligen Geist «ein Volk sein, in dem Himmel und Erde zusammenfinden.»
«Neues Exodus- und Genesis-Volk»
Mit dem Zusammenzug alt- und neutestamentlicher Stellen stellte sich der Gelehrte gegen die verbreitete (von Platon, nicht aus der Bibel stammende!) Auffassung, dass Christen «in den Himmel kommen». Vielmehr will Gott in der Welt anwesend sein, nachdem er schon in der Feuersäule bei seinem Volk war. Dessen Berufung: «nicht platonische Giraffe, sondern Löwe von Juda!» Die Berufung ist mit Leiden verbunden, nach dem Vorbild des Messias, der nun zur Rechten Gottes für die Seinen eintritt. Wie ihr Erlöser könne auch die Kirche in die Wüste geraten. «Wir sollten nicht überrascht sein, wenn uns der Geist an Orte der Geburtswehen und in wortloses Seufzen führt.» Der Geist ruft die Glaubenden, «ein neues Exodus- und Genesis-Volk zu sein».
Gottes Geist in globaler Vielfalt
Der prominenteste Referent in Freiburg war Justin Welby. Der Erzbischof von Canterbury, ein Quereinsteiger, nahbar und gewandt, ist jederzeit für eine Pointe gut. Ein scharfer Blick auf die Gesellschaft, Trauer und Betroffenheit (nach der Grenfell-Hochhauskatastrophe und den Anschlägen) schwangen in seinem Vortrag zum weltweiten Wirken des Geistes mit.
Eingangs hielt er fest, die Anglikanische Kirche habe viel von der Geschichte und Kultur des Britischen Empire abbekommen. Vom Umgang damit hange es ab, wie das Wirken des Heiligen Geistes erkannt werde. Denn heute werden in der Anglican Communion mit weltweit 1000 Diözesen über 2000 Sprachen gesprochen; das durchschnittliche Mitglied ist eine Schwarzafrikanerin, die mit vier Dollar im Tag lebt.
Wie wird bei dieser «enormous variation» die Schrift ausgelegt, das Wirken des Heiligen Geistes erkannt? Die Anglikaner streiten laut Welby offen, laut und heftig – manchmal wie alte Eheleute, die das Porzellan durch die Stube werfen. Wie andere Kirchenleiter mühe er sich täglich ab, das Reden des Geistes zu vernehmen, um die Kirche «zeitgemäss zu gestalten, zu erneuern und zu reformieren» – und Gottes Reden vom kulturellen Wandel, von Gewohntem und «Kompromissen mit der sündigen Natur» zu unterscheiden.
Wo Schranken fallen
Das Wirken des Heiligen Geistes erkennt Justin Welby dort, wo Schranken niedergerissen werden. Dies setze voraus, dass die Kirche die Menschen in der Welt, die Jesu Jünger werden wollen, in ihren Prägungen, Ängsten und Vorurteilen wahr- und ernstnimmt. Der Erzbischof verwies auf Paulus‘ Motto «Weder Jude noch Grieche» (Galater 3,28). In Korinth seien Arme und Reiche in der Gemeinde zusammengekommen. Die Urgemeinde in Jerusalem habe durch die Kraft des Geistes Trennungen überwunden. Welby erwähnte die Erklärung, die er im Oktober 2016 mit Papst Franziskus unterzeichnete: Durch «ecumenism of action» führe der Heilige Geist die Kirchen überraschend zu einem gemeinsamen Effort fürs Gemeinwohl.
Als weiteres Beispiel nannte der Erzbischof die Gebetsbewegung «Thy Kingdom Come», die sich rasch weit über seine Kirche hinaus global ausbreitet. In Lateinamerika habe sich die herrschende Kirche tragischerweise lange von pfingstlichen Aufbrüchen abgegrenzt; da seien «Barrieren nicht überwunden worden». Wenn Christen mit säkularen und andersreligiösen Partnern zusammenarbeiteten, sei dies oft kontrovers. Doch im geteilten Mitgefühl für Bedürftige zeige sich die Liebe Gottes, welche die Furcht vor Fremden überwindet.
Welby erwähnte auch die Verknüpfung von Evangelisation und sozialer Aktion, nachdem im 20. Jahrhundert Evangelikale und Vertreter des «social gospel» einander lange misstraut hätten. Im globalen Süden sieht der Primas der Anglikaner den Heiligen Geist darin am Werk, dass Kirche in den Kulturen heimisch wird.
Wandel schmerzt
Justin Welby verschwieg nicht, was in seinen Augen den Geist dämpft und was davon abhält, sein Wirken wahrzunehmen. Er dürfe nicht ausgespielt werden gegen Wahrheit, gegen liturgische Sorgfalt, gegen die Institution Kirche. «Wo der Geist ist, da ist Freiheit, gewiss; aber wo der Geist ist, da ist auch das Schleifen und Dehnen und Stöhnen des Wandels.»
Die Church of England befindet sich im grössten Umbruch der letzten 150 Jahre – da gebe es viele Abwehrreaktionen. Besonders ältere Christen zögen das Gewohnte dem Unbekannten vor. Die Kirchen Europas stöhnten unter dem Wandel, sagte Welby, sei es in Fragen der Sexualität oder der Kirchenordnung. Die junge Generation kümmere das Herkommen der Denominationen kaum mehr.
Radikaler!
Die Kirche hat, so Welby, Gott anzubeten und ihn als den, der sich in Christus offenbart hat, zu bezeugen. Tut sie diese beiden Dinge nicht, ist sie nicht viel mehr als ein Hilfswerk, eine NGO. Welby rief dazu auf, Menschen in der Kirche willkommen zu heissen, die sie nicht kennen und Unordnung bringen.
Von Gebet und geistlicher Gemeinschaft, von Versöhnungsarbeit und dem Bezeugen der Auferstehung Jesu erwartet das anglikanische Oberhaupt mehr erneuernde Impulse. «Die Church of England mag verschwinden. Die Kirche Gottes wird nie verschwinden.» Die Radikalität des Evangeliums könne man nicht übertreiben, schloss Welby. Christen sollten bereit werden, der Welt Anderes und Besseres zu bieten als säkulare Nihilisten und Terroristen, indem sie sich radikaler «im Frieden stiftenden, liebenden Dienst von Christus einsetzen».
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