Facettenreiches Heil
Wie ist das Heil, das Gott schenkt, zu verstehen? Und wie reden Christen von ihm so, dass man sie versteht? An einer Theologentagung am 24. Januar in Aarau wurden die Fragen anhand der sogenannten missionalen Theologie beleuchtet. Dass diese Heil auch in zeitgenössischen Entwicklungen und Ereignissen sieht, stiess auf Kritik.
Wir verbinden mit Heil diverse Vorstellungen von Glück, Wohlbefinden, Erfüllung und Heilung. Was ist in biblischer Perspektive Heil? Ist es vor allem die durch Christus gewirkte Vollendung dessen, was Gott im Paradies anfing - oder die Wiederherstellung dessen, was im Sündenfall zerbrach, vor allem Überwindung der Sünde?
Am Studientag der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT) machte Stefan Schweyer einleitend deutlich, dass mit der Antwort auf diese Fragen Weichen fürs christliche Verständnis des Heils gestellt werden (supralapsarisch oder infralapsarisch). An Universitäten herrsche heute der erste Begriff von Heil vor: nicht Überwindung der Sünde, sondern Vervollkommnung des Lebens. Im Lauf der Kirchengeschichte seien immer wieder andere und neue Aspekte des Heils wahrgenommen worden, auch im Zusammenhang mit wechselnden Erfahrungen von Unheil. Aus der Bibel geht klar hervor: Heil betrifft den Menschen in allen seinen Bezügen und ist nur durch Beziehung zu Gott möglich.
Wiederherstellung
Der Missiologe Roland Hardmeier, Autor mehrerer Bücher über missionale Theologie und Dozent am IGW, definierte Heil eindeutig: "Es besteht in der Überwindung der schlimmen Folgen des Sündenfalls und zielt auf die Wiederherstellung alles Geschaffenen." Manche Christen sähen ihren Auftrag darin, Menschen aus der (als sinkendes Schiff gesehenen) Welt herauszuretten. Gott liebt die Welt und will sie wiederherstellen; daraus ergibt sich der Auftrag, "der Welt zu dienen" und sich auch für bessere Strukturen und Lebensbedingungen einzusetzen. Die Globalisierung habe dafür neue Herausforderungen geschaffen, sagte Hardmeier; ein fokussierter Einsatz setze ein in der Bibel verankertes Verständnis des Heils voraus.
Heil umfasst mehrere Dimensionen: die soziale (Freiheit in Gemeinschaft), die Rettung des einzelnen Menschen (im Neuen Testament im Zentrum) und die kosmische: die umfassende Vollendung von Gottes Heilsplan. Die erste Dimension sieht Hardmeier im Exodus, der Befreiung der israelitischen Stämme aus der ägyptischen Sklaverei, vorgebildet. Das von Gott angeordnete Jubeljahr zielte auf die Bewahrung der Freiheit und wehrte durch Landrückgabe permanenter Verarmung von Familien. Das Heil, von Gott gestiftet, sollte in gerechten sozialen Strukturen Ausdruck finden. Befreiung gebe es nicht ohne Glauben und Gehorsam, hielt Roland Hardmeier fest. "Die ganzheitliche Erfahrung Israels lässt sich auf heute übertragen."
Dimensionen des Heils
Die zweite Dimension brachte Jesus zum Tragen. Heil beinhaltet, durch seinen Tod und seine Auferstehung, Rechtfertigung und Versöhnung mit Gott. Hardmeier grenzte sich von der Genfer Ökumene ab, die das Heil für alle proklamiert, und schloss an René Padilla an, der in der Lausanner Bewegung schon 1974 für soziales Engagement plädierte. Die dritte, kosmische Dimension des Heils komme in allem zum Tragen, was integren Beziehungen unter den Menschen, einer intakten Umwelt und der Ehre Gottes förderlich sei. Was immer dazu beitrage, den "immensen Verlust" des Sündenfalls zu überwinden, könne als "Heilsereignis" gelten.
In dem Zusammenhang forderte Hardmeier eine biblisch fundierte theologische Ökologie. "Die Welt ist kein sinkendes Schiff, sondern Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes", sagte der Theologe mit Verweis auf Psalm 19. Paulus erwartete die Wiederherstellung der Schöpfung, die von der Vergänglichkeit befreit werden soll (Römer 8,19-21). Die Mitte von Gottes Heilshandeln ist der Tod von Jesus am Kreuz. Dies sei weiterhin als Evangelium zu verkündigen. Zugleich gelte es das Evangelium zu leben und gemeinschaftlich sichtbar zu machen (koinonia).
Mehr als Erlösung
Dr. Andreas Loos, Dozent für systematische Theologie auf St. Chrischona (im Bild links, mit Roland Hardmeier), betonte am Eingang seines Vortrags, dass der Tod Christi am Kreuz nicht reduziert werden darf auf die Beseitigung der Sünde. "Gott verwirklicht das Heil der Menschen in umfassender Weise!" Jesus habe am Kreuz mehr als Erlösung erwirkt, er habe neben dem priesterlichen auch das königliche Amt angetreten: die Welt dorthin zu bringen, wo Gott sie von Ewigkeit her haben wollte (Adolf Schlatter). Loos bestimmte Heil als Teilhabe am trinitarischen Leben Gottes (2. Petrus 1,4). "Das Glück des Menschen ist Nähe zu Gott, der die Menschen glücklich macht, weil er selbst das Glück ist."
In Gott haben Vater, Sohn und Geist vollkommene Gemeinschaft und verschenken sich aneinander; diese Liebe wendet Gott auch der Schöpfung zu. Das ergibt die Geschichte des Heils, denn "Liebe braucht Zeit; sie hört ohne Zeit auf, Liebe zu sein". Gott habe den Menschen nicht im vollendeten Heilszustand erschaffen, sagte Andreas Loos. "Der Garten Eden wartet noch auf seine Vollendung. Der ganze Kosmos braucht Zeit, um das zu werden, was Gott von Anfang an aus ihm machen wollte." Teil dieser Vollendung ist, dass der Mensch Gott aus freien Stücken liebt. Indem der Mensch diese Liebe verweigert, Gott und den Mitgeschöpfen widersteht (Sünde), kann Heil nur noch als Erlösung von den lebensverderbenden Mächten verwirklicht werden.
Missio Dei präziser fassen
Andreas Loos kritisierte eine oberflächliche Vorstellung von 'missio Dei', nach der alles Handeln Gottes Mission sei. Er plädierte dafür, den Begriff für die dramatische Selbstsendung Gottes in die Welt zu reservieren. Heil ist ein Drama, weil Gott den Bruch der Schöpfung und den Widerstand des Menschen gegen ihn in sein eigenes trinitarisches Leben hineinnimmt. Alle Heilswege und Heilsgaben Gottes (im Alten Testament geschildert) wurden durch die Sünde ausgehöhlt, so dass sie nicht zum Ziel führten. "Nach dem Scheitern seiner Heilswege ringt sich Gott seinen Sohn selbst ab."
So ist Gott selbst das Heil: Dies habe missionale Theologie unbedingt festzuhalten, wenn sie von "ganzheitlichem Heil" rede. Andreas Loos plädierte von daher für ein qualitatives Verständnis von Heil. Es sei nicht nur wichtig, die vielfältigen Heilsaspekte und -dimensionen quantitativ zu erfassen. Ganzheitlichkeit entsteht erst durch das Zusammenspiel der vielen Teile. "Biblisches Heil hat eine horizontale Dimension, aber die vertikale (göttliche) Dimension ist die qualitative Mitte. Ohne sie kann man nicht von Heil sprechen." Ob irdische Güter und Errungenschaften Heil sind, hängt von der Beziehung zu Gott ab. Ohne die Beziehung zum Geber der Heilsgaben könnten sich diese sogar in ihr Gegenteil verwandeln.
Neu unter der Sonne?
Die Teilnehmenden diskutierten die beiden Vorträge. Markus Dubach, Leiter der ÜMG Schweiz, erinnerte daran, dass schon Missionare des 19. Jahrhunderts Grosses für sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen leisteten. William Carey kämpfte in Indien gegen die Verbrennung von Witwen, Hudson Taylor in China gegen den Opiumhandel. Jean-Georges Gantenbein, Leiter der Chrischona-Gemeinden in Frankreich, stellte missionale Theologie als späte Variante eines Missionsverständnisses aus der Zwischenkriegszeit hin. Die Fragestellungen seien nicht neu, sondern von der deutschen Missionswissenschaft vor Jahrzehnten diskutiert worden.
Gantenbein hinterfragte zentrale Begriffe der missionalen Theologe. Von Paradigmenwechsel werde inflationär gesprochen, Missio Dei sei mehrdeutig. Heil sei an sich ganzheitlich - ohne als solches bezeichnet zu werden. Er habe bei Roland Hardmeier zu wenig von der Spannung zwischen erlebtem und erwartetem Heil gehört, sagte Gantenbein. Missionale Theologie habe darauf zu achten, dass Mission nicht wieder zu einem menschlichen Unternehmen werde.
"Was dem Willen des Schöpfers dient..."
Die abschliessende Diskussion zeigte, wie umstritten der Heilscharakter von Ereignissen in dieser Zeit ist. "Was dem Willen des Schöpfers dient, das ist Heil", meinte Roland Hardmeier und wertete das Ende der Apartheid in Südafrika als grosses Heilsereignis. Andreas Loos riet von solchen Bewertungen mit Blick auf den Nahen Osten ab. "Der Slumbewohner von Manila kann unter Umständen heiler und glücklicher sein als ich, der ich im Wohlstand lebe." Loos nahm allerdings Hardmeier von der Kritik aus, die an manchen missionalen Theologen zu üben sei: dass sie human Gutes und christliches Heil bruchlos aufeinander beziehen. Jean-Georges Gantenbein äusserte, Politisches werde treffender mit sozialethischen Kriterien bewertet - ohne von Heil zu reden. Hardmeier räumte ein, von Gott erneuerte Menschen veränderten die Gesellschaft nicht automatisch. In aller Aufrichtigkeit vor Gott hätten sich Gläubige oft inhuman verhalten.
Martin Hohl gab vor dem Hintergrund der reformierten Tradition zu bedenken, es sei auch gut, dem Unheil Schranken zu setzen. "Mit unseren Aktivitäten können wir Heil nicht herstellen." Schliesslich diskutierten die Teilnehmenden unter Leitung des AfbeT-Vizepräsidenten Jürg Buchegger, wie eine Verflachung des Heilsbegriffs verhindert werden kann. Jede Generation müsse Heil neu durchdenken und formulieren, damit das Feuer bewahrt werde, meinte Fritz Peyer (IGW). Andreas Loos pflichtete ihm bei: Jungen Christen falle es schwer, die Bedeutung von Kreuz und Auferstehung ihrer postchristlichen Umgebung mitzuteilen.