Facelifting – oder ein neuer Kirchenbund?
Im der SEK-Abgeordnetenversammlung in Lausanne vom 19.-21. Juni 2011 stand das Miteinander der 26 Kirchen im Kirchenbund im Vordergrund. Wie soll die Verfassung des SEK revidiert werden? Der neue Ratspräsident Gottfried Locher rief die Abgeordneten zum vertieften Gespräch übers reformierte Kirche-Sein auf. Neben den üblichen Geschäften kamen schutzbedürftige Asylbewerber, die Organgabe und das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation zur Sprache.
Die Verfassung des Kirchenbunds, die von 1950 datiert, soll revidiert werden. Dazu legte der Rat 2010 einen Bericht „Für einen Kirchenbund in guter Verfassung“ vor. Der Bericht nennt vier Hauptgründe für eine Verfassungsrevision: Der Kirchenbund strebt nach verbindlicher Gemeinschaft und will der Ort der Zusammenarbeit der Mitgliedkirchen, die Plattform für ihr gemeinsames Nachdenken werden, wozu er eine klare Legitimation benötigt.
„Als was sprechen wir?“
Unbestreitbar bedarf der Schweizer Protestantismus zeitgemässer Strukturen; auch Finanzflüsse sollen vereinfacht werden. Als Sprecher des SEK-Rats plädierte Peter Schmid für die Bündelung der Kräfte, damit der SEK die Reformierten nachdrücklich vertreten könne. „Als was sprechen wir: als evangelische Kirchen in der Schweiz oder der Schweiz oder als evangelische Kirche der Schweiz? Darüber müssen, darüber sollten wir uns in grosser Gelassenheit aussprechen.“ Man sage dem Kirchenbund, er sei keine Kirche. Doch sei er kein kirchenfreier Raum. Wer für den SEK arbeite, verstehe sich „nicht als Sans-Papier des Schweizer Protestantismus“. Schmid bat die Abgeordneten um grünes Licht für einen umfassenden Prozess. Über Ablauf und Teilschritte könne später entschieden werden. Für eine erkennbare evangelische Kirche lohne sich der Aufwand.
Der GPK-Sprecher Jean-Michel Sordet bezeichnete das Vorhaben angesichts der Ressourcen des SEK als ambitiös, befürwortete aber Eintreten. In der Detailberatung zeigten sich Meinungsunterschiede. Michel Müller (ZH) wünschte Arbeit an inhaltlichen Fragen im Blick auf sichtbare Einheit der Reformierten. Bei der Frage struktureller Einheit sei die Zürcher Kirche zurückhaltender. Trotz dem Schrumpfen vieler Kirchen sollte „der Grundauftrag des SEK nicht weiter beschnitten“ werden.
Bremsen oder Gas geben?
Martin Stingelin vertrat die Meinung der Nordwestschweizer Kirchen, dass die Zusammenarbeit der Kirchen verbessert und der SEK auf diese Weise entwickelt werden soll, ohne Gesamtrevision. Der Rat wünsche einen Bundesstaat, die Nordwestschweizer wollten es beim Staatenbund belassen. Weder dieser Antrag noch der forsch entgegengesetzte des Zürchers Daniel Reuter (Prozess einleiten und neue Verfassungsvorlage bis 2013) hatten eine Chance. Als Sprecher der Ostschweizer plädierte Dölf Weder (SG) für das zweistufige Vorgehen: „noch einmal grundsätzlich weiterdenken – und dann genau sagen, was jetzt geändert werden soll.“ Gehör fand Reuter hingegen mit dem Argument, der Rat solle frei frei vorgehen können. „Wir erwarten etwas von diesem Rat“, äusserte der Berner Synodalratspräsident Andreas Zeller.
Protestantisch – evangelisch - reformiert
Namens der Innerschweizer wünschte Felix Meier (SZ) ein Facelifting. „Wir brauchen nicht einen neuen, aber einen moderneren Kirchenbund.“ Über Finanzierung und Vertretung sei vertieft zu diskutieren. „Es kann nicht sein, dass wenige grosse Kirchen finanzieren und die kleinen bestimmen, oder dass grosse Kirchen die mittleren und kleinen überstimmen.“ Der Bieler Peter Winzeler rief den SEK auf, visionär vorzugehen. „Wenn man von einer evangelischen Kirche redet, müssen wir die Mennoniten einbeziehen und die Spaltung des 16.Jahrhunderts – die Minoritäten. Wenn man Nägel mit Köpfen machen will, müssen wir dies auch in die Strukturen einbeziehen.“ Reuter schloss die Frage an, ob „wir einen Schweizer Protestantismus wollen – oder eine Verengung auf reformiert“. Dies liess die Versammlung offen; sie beschloss auf der Basis des Berichts, „auf einen umfassenden Revisionsprozess in Bezug auf die Aufgaben und die Struktur des SEK einzutreten“.
Finanzflüsse
Auch eine Vereinfachung der Finanzflüsse im Kirchenbund steht an. Andreas Zeller berichtete aus einer Kommission, die alle Finanzierungen und überkantonalen Tätigkeiten einbeziehen will. Dies sei nicht einfach, meinte Zeller, da nur wenige Kirchen über einen vollständigen Jahresabschluss verfügten. Finanziell entwickeln sich die Mitglieder des Kirchenbunds auseinander: „Kirchen ohne obligatorische Kirchensteuern haben grosse Probleme, müssen um ihr Überleben kämpfen. Das wird die Zukunft auch für den SEK ganz schwierig gestalten.“ Im Herbst wird die Kommission Befunde und Vorschläge präsentieren. Zeller nannte Spar-Bereiche von der Sektenberatung bis zur Informatik.
Suche nach gerechten Beiträgen
Bereits beschlussreif war ein neuer Beitragsschlüssel für den Kirchenbund. Eingerechnet werden künftig neben der Mitgliederzahl Faktoren, welche die reelle Situation und die finanziellen Möglichkeiten der sehr verschiedenen Kirchen abbilden. Die Zürcher Landeskirche, die bereits ein Viertel des SEK-Budgets finanziert, wird mit dem neuen Schlüssel als einzige einen fünfstelligen Mehrbetrag zu leisten haben. Der Präsident der Not leidenden Neuenburger Kirche Gabriel Bader dankte für Beiträge aus anderen Kantonen und fragte, in welchem Mass der SEK als Bund die Ungleichheiten ausgleicht.
Zuerst miteinander reden
Zu Beginn der Versammlung hatte der seit Januar amtierende Ratspräsident Gottfried Locher für den vertieften internen Dialog plädiert. Dieser sei vorderhand wichtiger als eine theologische Antwort auf die von Soziologen erstellten Analysen. Der Rat (seit Anfang Jahr mit fünf neuen Mitgliedern) wolle zuhören. Angesichts grosser Vorhaben wie Verfassungsrevision, Reformationsjubiläen und Bekenntnisprozess könnten und sollten die Reformierten „ein bisschen offener und direkter“ diskutieren, was ihre Gemeinschaft ausmache. 2010 hätten sich „verschiedene, ja gegensätzliche Bedürfnisse“ der SEK-Mitgliedkirchen gezeigt, was angesichts der Unterschiede nicht erstaune. Unter ihnen gebe es bald 500-jährige und 50-jährige Kirchen, grosse und kleine, mit unterschiedlicher Beziehung zum Staat. Einige hätten solide Finanzen, andere stünden unter hartem Spardruck. Sie alle gehörten gleicherweise zum Kirchenbund.
Das Gemeinsame besser wahrnehmen
In den aktuellen Spannungen kommt laut Locher Zugehörigkeit zum Ausdruck. „Wenn wir einander gleichgültig wären, hätten wir keinen Bedarf zu streiten.“ Wesentliches verbinde die Reformierten, doch bei so vielen Unterschieden hätten sie das Gemeinsame besser wahrzunehmen und herauszustellen. „Lernen wir einander besser kennen! Schliessen wir Freundschaften!“ Einheit lasse sich nicht erzwingen, „weder für einen Bekenntnistext, noch für äussere Strukturen“. Zuerst gelte es „eine innere Einheit kommen zu lassen“. Gottfried Locher schloss mit einem Wort des Waadtländer Reformators Pierre Viret, wonach der Geist von Pfingsten „die Menschen beruft, denen der Auftrag gegeben ist: Diener, Boten, Zeugen, Botschafter, Engel, Werkzeuge, Mund, Hand und Mitarbeiter Gottes und Vermittler seiner himmlischen Schätze“.
Am Abend gedachte die Versammlung Virets, der vor 500 Jahren geboren wurde. Die Abgeordneten begaben sich zur Kirche St. François im Herzen Lausannes, wo Viret als erster reformierter Pfarrer predigte, und wohnten einem festlichen Gottesdienst bei. Zuvor enthüllte der Lausanner Stadtpräsident Daniel Brélaz beim Eingang eine Gedenktafel.
Reformationsfeiern gesamtschweizerisch angehen
Gottfried Locher antwortete auf Fragen des Zürcher Kirchenratspräsidenten Michel Müller zum Reformationsjubiläum. An der Limmat will man den 500. Jahrestag von Zwinglis Amtsantritt 2019 zum Anlass dafür nehmen. Der Rat SEK messe dem Jubiläum eine sehr hohe Bedeutung bei, sagte Locher. Nachdem das Calvin-Jubiläum 2009 auf ein „alle Erwartungen übersteigendes Interesse“ gestossen sei, wolle der Kirchenbund ein gesamtschweizerisches Konzept für die Feiern zum Reformationsjubiläum erstellen. Der SEK gedenke hier einen Schwerpunkt zu setzen und für nationale und internationale Abstimmung zu sorgen.
Die Planung wird dadurch kompliziert, dass Protestanten weltweit, auch Reformierte in Europa, die 500 Jahre bereits 2017 mit den Lutheranern feiern werden. Locher verwies darauf, dass die Berner erst 1528 feiern, andere Kantone noch später. Die Reformation habe neben der lokalen eine länderübergreifende, völkerverbindende Dimension. Es gelte auch theologisch zu erörtern, was Reformiert-Sein bedeute. „Das Schweizer Modell stellt eine Herausforderung dar für die reformierte Einheit in Europa.“
Humanität für Asylbewerber
Die Abgeordnetenversammlung forderte in einer Resolution, dass die Schweiz ihren Spielraum für humanitäres Handeln nutzt. Der Vorstoss stammte aus der Genfer Kirchensynode. Dort wurde die Behandlung von Asylbewerbern kritisiert. Die Schweiz weise auch besonders schutzbedürftige Personen weg, obwohl die Souveränitätsklausel im Dublin-Abkommen ihr mehr Ausnahmen erlauben würde. Asylbewerber, die in Italien einen Antrag stellten und dann in die Schweiz einreisten, würden zurückgeschickt, obwohl der italienische Staat derzeit überfordert sei.
Der SEK will sich laut Ratsmitglied Regula Kummer für eine Harmonisierung des Asylrechts in Europa einsetzen. Die Genfer Kirchenpräsidentin Charlotte Kuffer sagte, die Schweiz solle „nicht einschlafen über ihrer bevorzugten Situation“. Nach einem Vorschlag des St. Galler Kirchenratspräsidenten Dölf Weder fordert die Resolution vom Bund Kriterien, die klarstellen, wer als besonders schutzwürdig gelten kann.
Streit um Organgabe
Die Zürcher wollten vom SEK wissen, was er von den Vorstössen im Ständerat hält, die darauf abzielen, dass die Bereitschaft zur Organgabe angenommen wird, falls kein Widerspruch erfolgt ist. Kirchenrat Thomas Plaz erwähnte den zeitlichen, sachlichen und gesellschaftlichen Druck, der auf Angehörige zukomme. Staatspolitisch sei es „problematisch, wenn eine grundlegende Veränderung der Rechtslage auf Verordnungs-Stufe geregelt und umgesetzt wird“.
Für den Rat antwortete Rita Famos. Sie nannte drei Herausforderungen, die miteinander zu bewältigen sind: den Rückgang von Spenderorganen, den dazu in Spannung stehenden Anspruch auf optimale medizinische Versorgung und den illegalen Organhandel. Die Organgabe darf laut SEK nicht dem Zwang eines Gesetzes unterworfen werden. Zwischen dem würdevollen Sterbeprozess und der Pflicht zum sachgerechten Umgang mit dem knappen Organ bestehe ein Normkonflikt.
Alle Geschäfte und Beschlüsse der Abgeordnetenversammlung