Kirchliche Berufe im Fokus

Im Vordergrund der Sommersynode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) in Olten stand die Nachwuchsförderung. Sie wird über die Klärung der Berufsbilder und das Abstimmen und Bündeln der bisher meist kantonalkirchlichen Ausbildungsangebote angegangen – eine «Herkulesaufgabe». Zu reden gaben überdies der Klimawandel, die Spitalseelsorge und die Kluft in der Ökumene infolge des Ukrainekriegs.

Welche Themen soll die 2020 formierte Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) als Gemeinschaft kantonaler Kirchen und der EMK intensiv bearbeiten? Die nationale Synode im Juni 2021 bestimmte drei Handlungsfelder: Bildung und Berufe, Bewahrung der Schöpfung und Kommunikation. Für die drei Felder wurden sog. strategische Ausschüsse eingesetzt, in denen Fachexpertinnen und -experten, Kirchenleitungsmitglieder und Synodale unter der Leitung eines Ratsmitglieds der EKS arbeiten.

An der Sommersynode, die vom 18. bis 20. Juni in Olten stattfand, berichtete der Rat über die bisherige Arbeit der Ausschüsse. Das Anstehende wurde erstmals in Workshops besprochen. Die Synodalen konnten zwei der drei Workshops besuchen, ihre Gesichtspunkte einbringen und Anregungen und Bedenken teilen.

Die Eintretensdiskussion der Handlungsfelder wurde im Plenum geführt. Christoph Zingg, der neue Präsident der GPK, sprach zu Klimafragen. Mit dem Volks-Ja zum Klimaschutzgesetz sei der Weg zur Klimaneutralität noch nicht bestimmt. Die Reformierten hätten zu überlegen, was ihr spezifischer, authentischer Beitrag sein könne. Zingg nannte die Schöpfungsspiritualität und Gesprächsforen.

Paradoxien der Klimapolitik
Willi Honegger (ZH) forderte in einem tiefer schürfenden Votum ein offenes, gesamtheitliches Denken. Er wandte sich gegen die Verengung der Denkräume, welche stattfinde, «wenn die Paradoxien der Klimapolitik überspielt werden». Im Umgang mit Klimafragen gibt es laut Honegger einen riesigen, unlösbaren Zielkonflikt, aufgrund der Entwicklung der letzten 400 Jahre. Der enorme technische und wirtschaftliche Fortschritt, von allen begrüsst, sei nicht gratis. Zudem seien die geistlichen Ressourcen des Westens geschwächt worden: «Wie könnte die unsichtbare Welt uns noch etwas zu sagen haben, wenn aller Erfolg und alle Freude im Irdischen gesucht wird?»

Gegen verengte Denkräume: Willi Honegger.

Die Bibel hat für Willi Honegger ein realistisches Menschenbild: Der Mensch sei in der Lage, «Dinge völlig aus dem Lot zu bringen», nicht aber wieder ins Lot. «Klimazyklen sind mehrere Nummern zu gross für den Menschen». Er vermisse in Klimaverlautbarungen die Bitte um Gottes Erbarmen.

Die Würde der Natur und des Menschen sehen
Der Tösstaler Pfarrer brachte Vorbehalte gegenüber «grossen Rettungsplänen» zum Ausdruck. Er verwies darauf, dass manche Aktivisten nicht bloss das Klima schützen wollen, sondern auf den Systemwandel zielen. «Wollen wir zu Wasserträgern für ganze andere Ziele werden?» Die säkulare Klimapolitik könne die Herzen nicht gewinnen; sie habe keine Lieder. Er beobachte Moralismus, Gesetze und Angstmacherei. Das Handlungsfeld befürworte er, sagte Honegger; die Würde der Natur solle wieder neu gesehen werde. Doch zugleich sei die Leiblichkeit des Menschen zu achten; seine Natur dürfe niemals manipuliert werden. «Hüten wir uns, auf säkulare Heilslehren zu setzen.»

Karin von Zimmermann (BE) wies darauf hin, dass viele Jugendliche mit Dystopien überfordert seien. Es gelte, Hoffnung einzuüben, Dankbarkeit zu kultivieren und das Leben generationenübergreifend zu feiern. Die weitere Diskussion zum Handlungsfeld, auch im Workshop, kreiste um die Frage, ob die Reformierten eine Sondersynode zu Klimafragen oder einen Klima-Kirchentag veranstalten sollten.

Kirchliche Berufe fördern – aber wie?

Die Diskussion über «Bildung und Berufe» eröffnete seitens des Rats Ruth Pfister. Sie skizzierte die Stossrichtung des Ausschusses und betonte die Dringlichkeit: «Der Nachwuchsmangel in kirchlichen Berufen steht nicht an – er ist schon da.» Martin Schmidt (SG), Mitglied des strategischen Ausschusses, sprach von einer Herkulesaufgabe. Es gehe um die Förderung aller kirchlichen Berufe.

Überdies wird eine nationale Fachschule angedacht. Man erwäge die gemeinsame Steuerung eines Bildungsangebots, aus dem die Kantonalkirchen, die bisher die Ausbildungen selbst durchführten, die gewünschten Teile beziehen könnten, sagte Pfister. Im Workshop, den Simon Hofstetter von der EKS-Geschäftsstelle leitete, wurde deutlich, wie unterschiedlich die Kantonalkirchen Ausbildung handhaben. Doch viele können sich laut Ruth Pfister eigene Programme nicht mehr lange leisten. Lukas Kundert (BS) sprach Verlustängste der bisherigen Anbieter an. Vorab sei zu prüfen, wo Harmonisierung Sinn mache. Roman Baur (ZH) mahnte, nicht von Fachschule zu sprechen, da dabei die irreführende Vorstellung eines Schulhauses aufkomme.

Die Fragen treten vor Ort auf: Martin Schmidt aus St. Gallen.

Harmonisieren, koordinieren, flexibilisieren
Christoph Herrmann (BL) plädierte für Flexibilität und ein «föderalistisches Modell», in dem der Markt spiele. Viele Player machten sich Gedanken; dies sei zu berücksichtigen. Herrmann drängte auf die Klärung der Berufsbilder (etwa kirchliche Sozialarbeit – kirchliche Jugendarbeit).

Annette Geissbühler (BE) wünschte Module. Auszugehen sei von der Perspektive der Auszubildenden. Junge Leute wollten sich ihre Ausbildung selbst zusammenstellen. Ein Kirchgemeindepräsident rief dazu auf, vorwärtszumachen mit der Anerkennung von kirchlichen Berufen. «Wir haben sonst plötzlich niemanden mehr. Die Leute laufen uns davon.»

«Junge Menschen abholen»
Erika Cahenzli (GR) sprach sich angesichts der geografischen Distanzen für Online-Module aus. Martin Schmidt wünschte, dass nach der Förderung des Pfarrernachwuchses im Konkordat auch für alle anderen Berufsfelder ein gemeinsames Nachwuchsförderungsprojekt gestartet werde. Man müsse «Orte suchen, wo junge Menschen abgeholt werden können» und in die lokale Förderung investieren. Erhard Jordi (SZ) gab zu bedenken, Mittelalterliche seien vielleicht leichter anzusprechen.

Martina Tapernoux (AR) konstatierte eine wachsende Kluft zwischen gut ausgebildeten Berufsleuten und traditionsverhafteten Kirchgemeinden. Laut Florian Fischer (LU) suchen Gemeinden «verzweifelt auch nach Freiwilligen und Behördenmitgliedern». Hansruedi Vetsch (TG) fragte, ob die kirchlichen Berufsbilder noch zeitgemäss seien. Grössere Pensen seien langfristigeren Engagements förderlich. Lukas Kundert (BS) befürwortete grosszügige Stipendien, Marie-Claude Ischer (VD) Kurzzeit-Praktika.

Seelsorge im Gesundheitswesen – wie national koordinieren?

Die Synodalen diskutierten die nationale Koordination der Seelsorge im Gesundheitswesen. Die Zürcher Kirchenrätin Esther Straub hatte dazu im Juni 2022 ein Postulat eingereicht. Catherine Berger, die als neues Ratsmitglied das Dossier Anfang 2023 übernahm, sprach sich in ihrem mündlichen Bericht für eine ökumenische nationale Koordinationsstelle aus.

Die Landeskirchen müssten ihre Anliegen in die Debatten einbringen. Sonst werde zunehmend «auf nationaler Ebene ohne das Mitwirken der Kirchen über kirchlich relevante Fragen diskutiert und beschlossen». Durch die Koordinationsstelle könnten die Stimmen der Landeskirchen «gebündelt und lauter gehört werden».

Für nationale Koordination: Catherine Berger vom Rat EKS.

Berger malte die Vorteile einer solchen Stelle, auch für die gegenseitige Kenntnis der verschiedenen kantonalen Modelle. «Unsere Stärke liegt in der Vielfalt, nicht in der Konformität.» Der Rat wolle mit der Bischofskonferenz eine Stelle einrichten, für Vernetzung, Lobbying und vermehrten Informationsaustausch.

Die katholische Seite habe die reformierten Ideen angenommen. «Es gilt nicht, den Seelsorgeauftrag der Kirchen neu zu definieren.» Doch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitswesen solle verstärkt werden.

Der Rat habe im Frühjahr eine Konsultation bei Kirchen und Verbänden durchgeführt. Dass die Hälfte der 16 reformierten Kantonalkirchen sich kritisch oder ablehnend äusserte, zeige den weiteren Arbeitsbedarf. Seelsorge im Gesundheitswesen sei eine Kernaufgabe der Landeskirchen, aufgrund von Matthäus 25.

Die vorgesehene Struktur der Stelle (mit zweimal 40 Stellenprozenten) lehnte Esther Straub ab. Die Gespräche hätten bisher nicht Vertrauen geschaffen. Eine klare Auswertung der 16 reformierten Konsultationsantworten fehle noch. «Wir müssen wissen, was die Anliegen unserer Kirchen sind.»

Anfang 2022 habe eine ökumenische Charta zur Spitalseelsorge zur Unterzeichnung vorgelegen, welche der Zürcher Haltung nicht entsprach. Straub äusserte nochmals den Ärger darüber, dass die Zürcher Kirche damals nicht einbezogen worden war. Auch seither, vor der Konsultation, habe man nicht diskutieren können. «Den Austausch, das Gespräch gab es bisher nicht. Das ist bedauerlich.»

Seelsorger der Kirche, nicht Care-Spezialisten des Spitals: Esther Straub aus Zürich.

Die Kirche will die Seelsorge weiterhin verantworten
Die Zürcher Kirche stimme grundsätzlich einer Koordination der Spitalseelsorgefragen auf nationaler Ebene zu, sagte Esther Straub. Doch die ökumenische Ausgestaltung (mit 80 Stellenprozenten) sehe man skeptisch, da eine solche Stelle die reformierten Kantonalkirchen übersteuern könnte. «Wir finden, Spitalseelsorge muss heute interreligiös aufgestellt sein und konfessionell zugleich.»

Die reformierte Diversität müsse gewahrt bleiben. Und wie solle bei kontroversen Fragen – Straub nannte die Seelsorge bei assistierten Suiziden – ökumenisch Stellung bezogen werden? Die Zürcher Synodale schlug zwei Stellen mit je 20 Prozent vor.

In der Diskussion gab der St. Galler Kirchenratspräsident Martin Schmidt Straub Sukkurs. Er befand, der Rat sei zu schnell unterwegs. Man habe ein Ruderboot bestellt und einen Tanker bekommen. Die Arbeit in den Spitälern sei anspruchsvoll. Die Probleme seien vor Ort zu lösen; manchmal habe er das Gefühl, nach der Verdrängung aus den Schulen sei die Spezialseelsorge «die letzte Bastion der gesellschaftlichen Relevanz der Kirchen» im säkularen Umfeld.

Eine nationale Koordinationsstelle entspreche «nicht unbedingt der reformierten DNA», sagte Schmidt. Eine nationale Position würde seine Verhandlungen mit dem kantonalen Gesundheitsdepartement und mit Spital-CEOs komplizieren. «Seelsorge bleibt kirchlich verantwortete Seelsorge.»

Spitalpfarrerinnen könnten sich am Bett des Patienten doch nicht als Mitarbeiter von spiritual care vorstellen. Bevor ein grosses Konstrukt geschaffen werde, seien die inhaltliche und strukturelle Diskussion zu führen.

Geschäftssitzung der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe.

Nach weiteren Voten nahm Catherine Berger vom Rat nochmals Stellung. Sie betonte, eine Koordinationsstelle solle die Kantonalkirchen nicht übersteuern. Doch die Gesetzgebung im Gesundheitswesen sei national. Diesen Bezug dürfe man nicht aus den Augen verlieren. Das Postulat Straub wurde abgeschrieben.

Der Skandal der orthodoxen Kirchenführer hinter Putin

Der Angriff Russlands auf die Ukraine erschütterte auch die EKS. «Unsere friedensethischen Grundsätze wurden radikal hinterfragt», sagte die Präsidentin Rita Famos. Die Auseinandersetzung mit den Leitern der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) wegen deren Unterstützung für Putin gab in der Synode erneut zu reden, auch im Rückblick auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK).

Laut Heinz Fäh (SG) zeigte sich in Karlsruhe in politischen und theologischen Diskussionen der Stand der weltweiten Ökumene: «wie weit wir auseinanderliegen». Die konfessionelle Verortung löse sich vielerorts auf; andererseits nehme religiöser Nationalismus zu. «Für eine neue Charta Oecumenica braucht es die Hilfe des Heiligen Geistes.»

Ratspräsidentin Rita Famos sagte, aufgrund der Motion von Michel Müller zur Suspendierung der ROK im ÖRK wüssten dessen Leiter nun, dass sie unter Beobachtung stünden. Sie nehme nun selbst im Zentralausschuss des ÖRK Einsitz und engagiere sich für dessen anhaltenden Druck auf das Moskauer Patriarchat.

Ralph Friedländer, SIG-Vizepräsident, würdigte in einem Grusswort die christlich-jüdischen Beziehungen.

Michel Müller kritisierte, der neue Generalsekretär Jerry Pillay habe sich im Mai in Moskau vorführen lassen. Der ÖRK solle, statt «Friedensillusionen aus dem letzten Jahrhundert» nachzuhangen, sich auf die mühsame Friedensarbeit in der Ukraine konzentrieren.

Das HEKS – zu politisch?

Die Synode besprach einen Bericht über das Verhältnis des Hilfswerks HEKS zu den Kirchen. Die Synodalen bestätigten Walter Schmid als Präsident des Stiftungsrates für eine weitere Amtszeit und wählten alle vorgeschlagenen Mitglieder in den Stiftungsrat. 

Schmid verteidigte die Unterstützung von indonesischen Klimaaktivisten, welche gegen den Zementkonzern Holcim vor dem Bezirksgericht Zug Klage führen. Die Frage zu klären, «ob Geschädigte aus dem globalen Süden Entschädigungsansprüche vor Gerichten im Norden geltend machen können», sei von allgemeinem Interesse.

Die Synode hiess die Rechnung gut und nahm den Rechenschaftsbericht des Rats zur Kenntnis. Sie wählte Pfr. Christoph Zingg (GR) zum Präsidenten der Geschäftsprüfungskommission und Corinne Duc (ZH) zu ihrem Mitglied. Die Vorbereitungen zur Gesprächssynode wird Roman Baur (ZH) leiten. Claudia Haslebacher begründete ihren Entscheid, auf Ende Jahr den Rat EKS zu verlassen, mit familiären Gründen.

Website der EKS mit den Unterlagen und Beschlüssen der Synode
Slider: EKS/Nadja Rauscher, Bild Karlsruhe: WCC/Hillert