«Wie reden wir über das, was wir glauben?»
Die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS bildet die Gemeinschaft der Reformierten getreulich ab: Alles wird zur Abstimmung gebracht; die Mehrheit, so knapp sie sein mag, gibt den Ausschlag in kleinen und grossen Fragen. Das Ziel, in der Gesellschaft Gehör zu finden, zog sich als roter Faden durch die Beratungen der Sommersynode. Die neue Ratspräsidentin Rita Famos rief zu Bescheidenheit, Mut und Zuversicht auf.
Die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS tat nach dem zweifach düsteren Jahr 2020 Schritte zur Normalisierung. In manchen Voten hallte die Erschütterung der Vertrauenskrise nach. Der Untersuchungsbericht zum Doppelrücktritt aus dem Rat und den weiteren Fragen zu Gottfried Locher steht noch aus; er wird an einer gesonderten Versammlung im September verhandelt, ebenso die davon massiv belastete Rechnung 2020.
Pendenzen
An der ordentlichen Sommersynode, die vom 13. bis 15. Juni in der Bernepxo stattfand, erledigten die 75 Delegierten der Mitgliedkirchen lange anstehende Arbeiten zur Funktionsweise der nationalen Kirchengemeinschaft. Sie verabschiedeten nach eingehender zweiter Lesung die synodale Geschäftsordnung. Sie tritt auf den 1. Oktober in Kraft, 21 Monate nach dem Start der EKS. Zudem wurde das EKS-Finanzreglement durchberaten und verabschiedet.
Die Synodalen genehmigten überdies die Rechnung 2019 und den 53-seitigen Rechenschaftsbericht des Rats für 2020. Sie nahmen die Fusion von HEKS und Brot für alle zur Kenntnis und wählten den Stiftungsrat. In einem Gottesdienst im Münster wurden die neue Ratspräsidentin Rita Famos und Ratsmitglied Claudia Haslebacher in ihr Amt eingesetzt.
Geschäftsordnung und Finanzreglement
Die synodale Geschäftsordnung war 2019 von einer Kommission erarbeitet und Ende 2020 vielfach angepasst worden. Nun gab unter anderem noch zu reden, wer an geschlossenen Beratungen teilnehmen darf, was die Schweigepflicht in Kommissionen bedeutet und wozu nichtständige Kommissionen eingesetzt werden.
Das Finanzreglement war vom Rat nach Gesprächen mit kantonalen Kirchenpräsidenten entworfen und der Synode im Herbst 2020 vorgelegt worden. Diese wünschte eine Vernehmlassung bei den Mitgliedkirchen; auf ihrer Basis liess der Rat die Vorlage verfassen. Sie erfuhr in der Beratung nochmals etliche Änderungen; erörtert wurden namentlich das Lohnsystem und die Entschädigung der Ratsmitglieder (grundsätzlich ein Viertelpensum) und der Präsidentin. Künftig beschliesst die Synode über Projekte mit sechsstelligem Zusatzaufwand und teure «Dienste und Angebote».
Nach mehrstündiger Debatte wünschten Nordwestschweizer Synodale eine zweite Lesung im Herbst; doch die grosse Mehrheit wollte die Arbeit abschliessen. Das Reglement gilt ab Neujahr 2022. Den Beitragsschlüssel der Mitgliedkirchen, brisant angesichts der Finanzknappheit in etlichen Kantonen, verhandelte die Synode nicht neu; er wird dem Reglement angehängt.
Wo die EKS ackern soll
Die Grundfrage, was die EKS neben und mit den Mitgliedkirchen tut, wie sie ihr Zusammenwirken fördern soll, besprach die Synode an ihrem dritten Tag anhand der Handlungsfelder. Die erste Vorlage des Rats, die in sechs Handlungsfeldern alle Bereiche des kirchlichen Handelns abdecken wollte und prägende «strategische Ausschüsse» vorsah, war 2020 zurückgewiesen worden. Nun schlug der Rat nach «umfangreichem Austausch» mit den kantonalen Kirchenleitungen drei Handlungsfelder vor: «Kommunikation», «Bildung und Berufe» und «Bewahrung der Schöpfung».
Ratspräsidentin Rita Famos skizzierte den Stellenwert der Handlungsfelder: Einige dringliche Themen sollen für einige Jahre gemeinsam bearbeitet werden. Die EKS will Herausforderungen aufgreifen und «gemeinsam Aufgaben bewältigen» und so ihr Profil in der Gesellschaft schärfen. Die Handlungsfelder sind ein weiteres Instrument der Synode, um die Tätigkeit der EKS zu steuern. Sie sollen das Kräfteverhältnis zwischen EKS und Mitgliedkirchen nicht verändern. Aus Ressourcengründen schlug der Rat für die nächsten Jahre drei Handlungsfelder vor.
Sie wurden von den meisten Votanten begrüsst: Die Reformierten sollten ihre Kommunikation verbessern durch ein gemeinsames Verständnis, Bündelung und bessere Nutzung digitaler Kanäle, sie sollten Bildung ausbauen (auch für die Freiwilligen), sie auch neuen Anforderungen anpassen und dem zunehmend gravierenden Personalmangel in allen kirchlichen Berufen begegnen. Der St. Galler Kirchenratspräsident Martin Schmidt unterstrich die Bedeutung dieses Handlungsfeldes (neue Berufsbilder) für die Kirchenentwicklung.
Reden und verstanden werden
Sein Baselbieter Amtskollege Christoph Herrmann plädierte indes dafür, neben der Kommunikation als Zweites Versöhnung und als Drittes «die Erkennbarkeit der lebensweltlichen Relevanz des Glaubens an Gott» vor allem für Jugendliche in den Fokus zu nehmen. Relevant sei, wer gehört und verstanden werde. Für junge Klima-Aktivisten heute sei «Bewahrung der Schöpfung» zu übersetzen. Herrmann benannte ein grundlegendes Problem: «Wir reden über Streaming, aber nicht darüber, was wir streamen und wer das verstehen soll. Wie reden wir über das, was wir glauben, so dass andere Menschen uns verstehen?» An diesen Fragen – und auch zu Versöhnung, von vielen ersehnt – gelte es dringlich und sorgfältig zu arbeiten.
Heinz Fäh, Vertreter der Ostschweizer Synodalen, beantragte, dass die Synode nach zwei und vier Jahren einen Zwischen- bzw. Schlussbericht erhält und über die weitere Arbeit beschliessen kann. Endlich wurden die drei vorgelegten Handlungsfelder mit einzelnen Gegenstimmen beschlossen.
Die EKS und die staatlichen Corona-Massnahmen
Wenig zu reden gab der ausführliche Rechenschaftsbericht des Rates übers erste Corona-Jahr. Die Aktivitäten der EKS in der Pandemie wurden indes von den Walliser Synodalen mit einer Interpellation hinterfragt. Pierre-Philippe Blaser antwortete für den Rat und hob «die Gewährleistung der Gesundheit aller Beteiligten an kirchlichen Aktivitäten» als primäres Ziel der Bemühungen hervor. «Wo immer es Interpretationsspielraum in behördlichen Anordnungen gab und gibt, haben wir gemeinsam empfohlen, jeweils die vorsichtigere Variante zu wählen.»
Laut Blaser intervenierten die Reformierten mehrmals allein oder mit anderen Kirchen beim Bundesrat und standen «in dauerhaftem, engem Kontakt» mit dem BAG. «Die Kirchen konnten nach dem Lockdown als erste wieder Veranstaltungen durchführen, die Gottesdienste waren im Winter 2020/2021 als einzige vom Versammlungsverbot ausgenommen.» Dass sie weiterhin bevorzugt behandelt würden, zeige, dass man den Bundesrat von ihrem Wert für die Bewältigung der Pandemie und die Linderung seelischer Not habe überzeugen können.
Pierre-Philippe Blaser räumte selbstkritisch ein, die Schweizer Gesellschaft habe Heimbewohner abgeschottet. «Ungemein viele alte Menschen in Heimen sind der Pandemie zum Opfer gefallen, zahlreiche andere waren praktisch eingesperrt.» Dies müsse öffentlich aufgearbeitet werden, auch mit einem selbstkritischen Beitrag der Kirchen. Juristisch auf den Prüfstand gestellt habe der Rat die staatlichen Massnahmen nicht. Gesondert nahm die Synode die EKS-Broschüre «Kirche mit Corona – Impulse aus der Corona-Krise für die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz» zur Kenntnis.
Vor der Volksabstimmung zur «Ehe für alle»
Die Motion der St. Galler Kirche von 2016 zu «Familie, Ehe, Partnerschaft und Sexualität» wurde abgeschrieben. Die Vorschläge der vom Rat eingesetzten Arbeitsgruppe waren 2019 von den Abgeordneten einseitig aufgenommen worden, um ein klares Votum für die «Ehe für alle» zu erzielen. Diese Position gelte es im kommenden Abstimmungskampf zu vertreten, forderten die Sprecherin der Evangelischen Frauen Schweiz und der Vaudois Laurent Zumstein. Der Thurgauer Kirchenratspräsident Wilfried Bührer erinnerte daran, dass die «Trauung für alle» gemäss dem Beschluss vom Herbst 2019 Sache der Kantonalkirchen ist.
Daraufhin präzisierte Rita Famos ihre Ankündigung, der Rat werde ein Dokument mit seinen Argumenten publizieren: Man werde kommunizieren, was die Abgeordneten 2019 beschlossen hätten – ihren Mitgliedkirchen die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare zu empfehlen.
Flüchtlingselend, Wahlen, Grüsse
Der Rat berichtete, was er unternommen hatte, nachdem die Synode im Sommer 2020 eine Resolution zum Elend von Asylsuchenden in Moria und auf den griechischen Inseln gefasst hatte. Die Synode nahm den abschliessenden Fusionsbericht der Stiftungen HEKS und BFA zur Kenntnis und wählte die vorgeschlagenen Personen in den Stiftungsrat. In die fünfköpfige GPK der Synode wurde Philippe Kneubühler, Pfarrer im Berner Jura und Berner Synodalrat, gewählt.
Zu Beginn der Synode am Sonntag Nachmittag hatten Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE Grüsse überbracht. Der GEKE-Generalsekretär Mario Fischer sagte: «In der Schweiz stellen sich die Fragen auf engstem Raum, die wir als GEKE auch europäisch beantworten wollen. Wie können wir gemeinsam Kirche sein?»
Einsetzungsgottesdienst
Evelyn Borer, die Präsidentin der Solothurner Kirche, die im Herbst 2020 zur Synodepräsidentin gewählt worden war, leitete die Sitzungen mit Geschick. Borer und ihre Vize Catherine Berger und Christian Miaz führten auch durch den Gottesdienst im Berner Münster am Sonntagabend. In ihm wurden Rita Famos, Ratsmitglied Claudia Haslebacher und sechs Synodale in ihr Amt eingesetzt. Nationalratspräsident Andreas Aebi sprach ein Grusswort, in dem er auf Gemeinsinn pochte. An den Fürbitten beteiligten sich Leiter anderer Schweizer Kirchen und aus Nachbarländern. (Video des Gottesdienstes)
Bescheidenheit – Mut – Hoffnung
Zu Beginn der Synode, in ihrer ersten Ansprache an die Synodalen nach der Wahl, hatte Rita Famos die Kirche charakterisiert mit dem Wort der «kleinen Herde» (Lukas 12,32): Fröhliche Bescheidenheit stehe ihr an in der Gewissheit, dass Gott ihr alles gebe, «um sein Reich in seiner Kraft zu leben», dazu auch frischer Mut und Hoffnung.
Die Kirche frage, wie sie so Kirche sein könne, «dass dieses Reich Gottes bereits heute aufstrahlt in unserer Welt». Nicht die Kirchgemeinden erwähnte Famos in diesem Zusammenhang, sondern – im Blick auf die Gesellschaft – «Networker:innen, Grassroot-Gruppen, experimentierfreudige Laboratorien. Christinnen und Christen, die frisch von der Leber das in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, was sie überzeugt und bewegt.»
Website der Synode Bilder Einsetzungsgottesdienst: Nadja Rauscher, EKS