EKS-Synode gibt Aktionsplan in Auftrag

Die Reformierten wollen nach vorn blicken. Die EKS-Synode, die am 5. und 6. September tagte, liess einen Brief von Barbara Locher, der Ehefrau Gottfried Lochers, beiseite. Die Synode nahm den Bericht ihrer Untersuchungskommission zur Kenntnis. Der Rat bekommt ein Jahr Zeit, um einen «Aktionsplan» vorzulegen. In einer Resolution fordert die Synode den Bundesrat auf, nach dem Sieg der Taliban mehr Afghanen aufzunehmen.

Die Präsidentin Evelyn Borer richtete den Blick am Montagmorgen entschlossen nach vorn. Nach der im September 2020 beschlossenen Administrativ-Untersuchung lag der 30-seitige Bericht der dafür eingesetzten Untersuchungskommission vor; diese konnte sich auf den Bericht der Zürcher Anwaltskanzlei Rudin Cantieni stützen. «Wir sind kein Gericht – es ist nicht unsere Aufgabe, Schuldige zu suchen.» Man wolle in die Zukunft blicken, sagte Borer, und «das Handeln der EKS auf eine gute Basis stellen».

Die Waadtländer Synodalratspräsidentin Marie-Claude Ischer, welche die Kommission geleitet hatte, blickte kurz auf deren umfangreiche Arbeit zurück. Die Kommission hatte sieben Aufgaben; unter anderem sollte sie klären, ob in der Geschäftsstelle des Kirchenbunds genug «für ein belästigungsfreies Arbeitsklima» getan wurde und ob jetzt «Massnahmen vorhanden sind, die zur Verhinderung sexueller Belästigungen und anderer Formen von Machtmissbrauch erfahrungsgemäss notwendig und angemessen sind». Auch das Verhalten des Rats nach Eingang der Beschwerde sollte unter die Lupe genommen werden.

Marie-Claude Ischer, Kommissionspräsidentin

Marie-Claude Ischer sagte, die Kommission habe nicht mit der Beschwerdeführerin gesprochen, da diese anonym bleiben wolle. Gottfried Locher habe sich von der Anwaltskanzlei nicht befragen lassen und den Bericht der Kommission ungeöffnet zurückgesandt. Im Bericht, der im August der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, werden Passagen des Anwaltsberichts zitiert; danach war die Frau 2011 «unerwünschten Avancen» Lochers ausgesetzt und wurde «zufolge sexueller Belästigung und Eingriffs in die geistige Integrität in ihrer Persönlichkeit verletzt».

«Scheinjustiz»
Den Synodalen lag auch ein Brief vom 4. September (!) vor, unterzeichnet von Barbara Locher und von kath.ch veröffentlicht. Die Gattin des im Mai 2020 zurückgetretenen und seither schweigenden EKS-Präsidenten beklagt in ihrem Schreiben «Scheinjustiz – ohne Strafanzeige, ohne Strafverfahren, ohne Rechtsmittel». Ihr Mann habe sich «nichts zuschulden kommen lassen». Die Kläger hätten selbst gerichtet auf Grund eines Parteigutachtens und viel Geld dafür ausgegeben. Dies lasse an die mittelalterliche Inquisition denken.

Barbara Locher prangert die «Aufforderung zum anonymen Denunziantentum» an. Die Kirche wolle ihren Mann zum Schweigen bringen, der «für die reformierte Stimme in der Schweiz und international mehr geleistet hat als die mediokren Kirchenoberen, die sich jetzt wohlfeil von ihm distanzieren». Gegen den Vorwurf von «Grenzverletzungen» könne ein Mann sich nicht wehren. Was ihre Familie an Grenzverletzungen erleide, kümmere die Synode nicht. Zum Verhalten Gottfried Lochers gegenüber Frauen steht im Brief nichts.

Barbara Locher bei der Wiederwahl von Gottfried Locher 2018.

Barbara Locher schreibt indes, die Beschwerdeführerin habe «jahrelang um meinen Mann geworben» und sich nun für eine Intrige einspannen lassen. Gottfried Locher sei «nicht fehlerfrei, aber authentisch», anders als die «vielen heuchlerischen ‹Geistlichen›».

«Die Kirche weiterentwickeln»
Der Brief sollte – lange nach Abschluss der Administrativ-Untersuchung – an der Synode der EKS kein Thema sein. Die Präsidentin Evelyn Borer machte am Montagmorgen klar, dass sie nicht zielführende Voten nicht zulassen werde.

Die EKS-Ratspräsidentin Rita Famos sagte, der Rat habe den Bericht der Anwaltskanzlei «mit grosser Betroffenheit» zur Kenntnis genommen. Der Rat schätze diesen (weiterhin unter Verschluss gehaltenen) Bericht «für inhaltlich fundiert und gut dokumentiert ein». Die Synode habe gut daran getan, die Untersuchung ausser Haus zu geben. Famos legte dar, wie der Rat mit den Entschädigungsforderungen der Beschwerdeführerin (145'000 Franken) und von Sabine Brändlin verfahren will. Es gehe nun darum, die Kirche weiterzuentwickeln.

Gegensätzliche Einschätzungen
Evelyn Borer gab kurz Gelegenheit zu grundsätzlichen Voten. Es gab deren zwei. Miriam Neubert von der Bündner Kirche äusserte, eine mutige Frau habe mit ihrer Beschwerde «ein ganzes System in Bewegung gebracht … das vorher vielleicht schon in Schieflage lag». Sie wünschte, nach dem System des ehemaligen Präsidenten «unsere Haltung, unseren Umgang und unsere Strukturen neu zu überprüfen und allenfalls auch zu erneuern». Für manche heisse das Zeitgeist – «aber auch im Zeitgeist ist ja heilige Geistkraft Gottes vorstellbar».

Miriam Neubert

Gilles Cavin, Sprecher der kleinen Walliser Kirche, urteilte, die Untersuchung sei nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien geführt worden. Die EKS müsse sich Prozeduren zulegen, welche eines Vereins mit Mitgliedern öffentlichen Rechts würdig seien. «Wir können uns einen Umgang mit Krisen, welcher elementarster rechtsstaatlicher Regeln spottet, nicht leisten.»

Zeit für «Aktionsplan»
Lukas Kundert und Lilian Bachmann, die Kirchenpräsidenten von Basel und Luzern, sprachen zum weiteren Vorgehen und forderten, den Bericht telquel zur Kenntnis zu nehmen und die darin enthaltenen Empfehlungen erst später zu beraten. Bachmann plädierte für «Sorgfalt vor Eile». Der Rat solle Zeit bekommen, um Massnahmen zu prüfen.Für diese Bearbeitung stellte die Zürcher Kirchenrätin Esther Straub einen Antrag: «Die Synode beauftragt den Rat und das Büro der Synode, die jeweils in ihre Zuständigkeit fallenden Empfehlungen umfassend zu prüfen, der Synode innert eines Jahres über ihre Prüfung schriftlich Bericht zu erstatten und einen Aktionsplan der weiteren Arbeiten zu unterbreiten.»

Leitungsstruktur ändern?
Die zweite der siebzehn Empfehlungen geht dahin, den Artikel 17 der Verfassung («Die EKS wird synodal, kollegial und personal geleitet durch die Synode, den Rat und die Präsidentin oder den Präsidenten der EKS») zu revidieren. Nach dem Rat, der es in seiner Vorabstellungnahme abgelehnt hatte, diese sog. dreigliedrige Leitung gleich wieder in Frage zu stellen, bezeichnete auch der Sprecher der Berner Synodalen Dominik von Allmen dies als nicht zielführend. Von der formellen Leitung sei die geistliche zu unterscheiden.

Die EKS-Synode tagte in Bern.

Solches wollte Bachmann nicht diskutiert haben. Ihr Ordnungsantrag, den Bericht ohne Änderungen zur Kenntnis zu nehmen, wurde angenommen. Nach dem unbestrittenen Ja zum Antrag Straubs hat der Rat 2022 einen Aktionsplan zur Prävention, besseren Kontrolle von Abläufen und Transparenz vorzulegen. Die Präsidentin Evelyn Borer zeigte sich erleichtert über die Verhandlung, die eineinhalb Stunden beanspruchte; die Synode applaudierte.

«Das Elend in Afghanistan schreit zum Himmel»
Die ausserordentliche Synode hatte am Sonntag Nachmittag begonnen. Im Abendgottesdienst predigte Pierre de Salis über die Sendschreiben der Offenbarung. In der Sitzung erklärte Rita Famos, wie der Rat der EKS angesichts der Entwicklung in Afghanistan vorgegangen war. Das Elend dort schreie zum Himmel, sagte die Präsidentin, «und wir mit ihm».

Der Rat hatte sich nach längerem Schweigen in einem Schreiben an den Bundesrat unter anderem für eine Erhöhung der Resettlement-Kontingente eingesetzt und ein Moratorium bei der zwangsweisen Rückführung von Personen nach Afghanistan gefordert. Man habe sich eingehend informiert, namentlich über das humanitäre Engagement des IKRK und des UNHCR vor Ort, sagte Famos.

Am Montag befassten sich die Synodalen erneut mit der Not der Afghanen, die von den Taliban Schlimmes befürchten und aus ihrer Heimat weg wollen. Sie nahmen mit 53 zu 11 Stimmen bei fünf Enthaltungen eine von Dominik von Allmen eingebrachte Resolution an.

Darin wird die humanitäre Notlage beklagt, welche eine «umfassende Reaktion auch der Schweiz» erfordere. «Eine aktive Verfolgung Andersdenkender hat bereits eingesetzt.» Daher soll der Bundesrat a) Asylsuchenden aus Afghanistan, die sich bereits in der Schweiz befinden, eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung gewähren, auch abgewiesenen. Er soll b) den Familiennachzug von Geflüchteten aus Afghanistan grosszügig erleichtern und c) ein «substanzielles Kontingent» von Geflüchteten im Rahmen des UN-HCR-Resettlementprogramms aufnehmen. Bundesrat und Behörden werden ersucht, «alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um möglichst vielen Menschen ein Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen».

Am Montag billigten die Synodalen auch die Rechnung 2020, die trotz Mehrausgaben von 1,2 Millionen Franken infolge von Rückstellungen im Plus schliesst.

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Bild Glocke: EKS/Nadja Rauscher   Bild Afghanistan: Pixabay