Reformierte nehmen sich geistliches Leiten vor
Die Abgeordneten der Mitgliedkirchen des Kirchenbundes schlossen am 23. und 24. April die erste Lesung der neuen Verfassung ab. Sie definierten, wie Synode, Rat und Präsidium der künftigen Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) die Kirchengemeinschaft national leiten. Sie unterstrichen die Einbindung des Präsidenten in den Rat und die gemeinsame Verantwortung der drei Glieder fürs geistliche Leben der Kirchen.
Die Verfassung, die jene von 1950 ablösen soll, bringt dem Schweizer Protestantismus bedeutsame Neuerungen:
• Neuer Name: Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS)
• Kirchengemeinschaft auf nationaler Ebene
• Nationale Synode (statt Abgeordnetenversammlung)
• Dreigliedrige Leitung fördert geistliches Leben: synodal, kollegial und personal
• Personale Leitung durch Präsident/in
• Konferenz der kantonalen Kirchenpräsidien eingebunden
• Synode schafft Handlungsfelder, der Rat setzt strategische Ausschüsse ein
• Assoziierung anderer evangelischer Kirchen und Gemeinschaften
Am 6. und 7. November 2017 hatten die Abgeordneten die Präambel und die ersten zehn Artikel in erster Lesung besprochen. Dabei fixierten sie Grundlagen und schrieben fest, dass die Reformierten und Methodisten der Schweiz lokal, kantonal und national miteinander Kirche sind. (LKF-Bericht)
Für die nächsten Jahrzehnte
Der Einstieg sei geglückt, auch theologische Fragen seien aufgegriffen worden, was sonst selten geschehe, leitete Ratspräsident Gottfried Locher am 23. April den zweiten Teil der Beratungen im Berner Rathaus ein. Die Verfassung solle die Reformierten in die Zukunft tragen und für die nächsten Jahrzehnte rüsten.
Johannes Roth, Sprecher der GPK, mahnte die Balance an «zwischen Klarheit und Sicherheit unseres Verhältnisses zueinander und der Freiheit und Flexibilität, uns einzeln und gemeinsam zu entwickeln». Die Verfassung solle sach- und menschengerecht sein. Es gelte darin «zu regeln, was unbedingt notwendig ist, und zu delegieren, was Details sind und dem Zeitablauf zu sehr unterworfen ist».
Verfassungsentwurf mit Beschlüssen vom November 2017 und Anträgen
Grosse Neuerungen unbestritten
Die Beratungen der von der Methodisten-Pfarrerin Claudia Haslebacher geleiteten Abgeordnetenversammlung (AV) verliefen ohne theologische Höhenflüge. Die Hauptneuerungen – neuer Name, Kirchengemeinschaft, dreigliedrige Leitung durch Synode (statt Abgeordnetenversammlung), Rat und Präsidium, Assoziierung – wurden nicht bestritten. Allerdings reüssierten Baselbieter, Romands, Berner und Bündner mit mehreren Dutzend Änderungsanträgen. Damit nahm die Versammlung der Vorlage des Rates etwas von ihrem Profil.
Kleine Kirchen willkommen
Im Artikel 11 über die Mitglieder wollte die AV nicht wiederholen, dass die EKS die Kirchen umfasst, die miteinander in Kirchengemeinschaft stehen (Art. 1); der entsprechende Antrag der Methodisten, der auf die Betonung der gegenseitigen vollen Anerkennung nach europäischem Vorbild abzielte, wurde knapp abgelehnt. Auf Antrag der kleinen Innerschweizer Kirchen, gegen das Votum aus Bern, strich die AV die Bedingung von 5‘000 Mitgliedern für die Neuaufnahme (Art. 12). Kandidaten müssen die Verfassung samt ihrer Präambel anerkennen (Berner Antrag).
Ein Pfeiler der neuen Verfassung ist Art. 15. Sein Absatz 1 wurde nicht mehr bestritten: «Die EKS wird synodal, kollegial und personal geleitet durch die Synode, den Rat und die Präsidentin oder den Präsidenten.» Die drei Glieder sind «in all ihrem Tun dem Auftrag der EKS verpflichtet» (Absatz 2). Der Absatz 3 betont: «Verbindlich für die Kirchen sind die von der Synode der EKS gefassten Beschlüsse, vorbehältlich der in den einzelnen Kirchen geltenden Ordnungen.»
Synodale Kirchengemeinschaft
Mit der Synode als «oberstem Organ der EKS» (Art. 16,1) halten die Schweizer Reformierten ihren konfessionellen Akzent fest; Gottesdienst und geistliche Gemeinschaft sollen gebührend Platz bekommen (wohl mehr als bisher in der AV, Art. 16,2). Die Zusammensetzung der Synode – künftig stärkere Vertretung der Hauptzahler Bern und Zürich – gab nicht mehr zu reden. Auf Zentralschweizer und Tessiner Initiative fügte die AV einen Artikel zum Synodepräsidium hinzu.
Rat mit Präsident/in
Am meisten zu reden gaben im Berner Rathaus die Kompetenzen und «geistlichen» Aufgaben von Synode, Rat und – im Verhältnis zu ihnen – des Präsidenten/der Präsidentin. Dessen Amtszeit wollten Berner und Bündner von sechs auf vier Jahre reduziert haben. Die Nordwestschweizer Kirchen beantragten, die Unterscheidung Vollamt (Präsident) – Nebenamt (andere Ratsmitglieder) zu streichen. Beide Anträge zu Art. 18 wurden deutlich befürwortet.
Die Berner reüssierten auch mit zusätzlichen Bestimmungen zum Auftrag der Synode: «Die Synode formuliert Anregungen zum kirchlichen Leben und zur kirchlichen Auftragserfüllung. Sie fördert zusammen mit dem Rat und der Präsidentin oder dem Präsidenten das geistliche Leben der EKS» (Art. 18,2.3).
Wer hält den Kopf hin?
Aus derselben Delegation gab Peter Winzeler zu bedenken, dass «irgendwann jemand den Kopf hinhalten muss». Ob die Synode geistliche Anregungen setzen könne? Winzeler sprach sich dafür aus, die personale Leitung zu stärken. «Vielleicht gibt es Situationen, wo gar nicht Zeit ist, helvetische Vernehmlassung zu betreiben.»
Sind Nominationen für Ämter von der zuständigen Kommission mit dem Rat oder mit dem Synodepräsidium abzusprechen? Auf Antrag der Nordwestschweizer Kirchen votierte die AV knapp für das letztere (Art. 22,2).
Weder Alters- noch Amtszeit-Beschränkung
Eingehend diskutierten die Abgeordneten Bestimmungen zum Rat (Art. 24-29). Endlich fand die ursprüngliche Formulierung eine Mehrheit: «Der Rat ist das leitende und vollziehende Organ der EKS.» Die vorgeschlagene Altersbeschränkung (Rücktritt mit 70) strich die AV und wies den Berner Antrag von maximal drei Amtszeiten ab.
Artikel 25,3 wurde knapper gefasst: «Im Rat sind Ordinierte und Nichtordinierte, die Geschlechter sowie die Sprachregionen angemessen vertreten» (gender-bewusst ist nicht mehr von beiden Geschlechtern die Rede). Weiter hielt die AV fest, dass der Rat öffentliche Stellungnahmen der EKS verabschiedet. Neu wurde in die Verfassung geschrieben, dass «die Mitglieder des Rates das geistliche Leben der EKS fördern» (Art. 26).
Kirchenpräsidenten reden mit
Die Vorsitzenden der Kantonalkirchen, die miteinander eine Konferenz, die KKP bilden, können in den Rat gewählt werden. Entgegen dem Antrag der Vaudois und der GPK wurde die KKP nicht als «ständiger strategischer Ausschuss des Rates» definiert (Art. 28). Sie soll allerdings in der Leitung der EKS mitwirken, namentlich beratend und koordinierend. Die AV legte fest, dass sie vom Präsident EKS moderiert wird. KKP-Mitglieder können eigene Angelegenheiten einbringen. Die KKP «kann dem Rat Themen zur Beratung vorlegen» (Art. 29).
Auch Nichtordinierte fürs Ratspräsidium
Muss der Präsident/die Präsidentin der EKS ordiniert sein? Was der Rat SEK und die Zürcher als sinnvoll ansehen, wurde von den Bündner und Berner Sprechern mit Verweis auf das Priestertum aller Gläubigen bestritten. «Die Glaubwürdigkeit einer Repräsentanz ist nicht von einer Ordination abhängig», sagte Andreas Thöny. Andreas Zeller unterstellte, der SEK befinde sich in einer «Klerikalisierungsphase». Werde das Kandidatenfeld auf Ordinierte eingeschränkt, gehe «reformierte DNA» verloren. Der Berner Synodalratspräsident vermerkte besorgt, die AV umfasse aktuell 39 Pfarrer und 28 Nicht-Ordinierte. Es gelte, die Kirche offen zu halten.
Die Einschätzung des Methodisten Sven Büchmeier, die EKS brauche einen ordinierten Vorsitzenden, um ökumenisch ernstgenommen werden, wurde von mehreren Seiten bestritten. Die Luzerner Kirchenpräsidentin Ursula Stämmer Horst äusserte, es werde noch lange nicht zur Wahl einer nicht ordinierten Person kommen. «Rein organisatorisch» sei sie Bischöfin.
«Hingabe für unseren Glauben, für unsere Kirche»
Ihr Baselbieter Kollege Martin Stingelin, der während der zwei Tage am meisten ans Rednerpult trat, verwies auf die geistlichen Impulse von Nichtordinierten. Sie seien «durchaus auch fähig, geistlich zu leiten». Die Bernerin Pia Grossholz rief aus, überhaupt sei «die Hingabe für unseren Glauben, für unsere Kirche» entscheidend, das innere Feuer für die Verkündigung der frohen Botschaft. «Es geht darum, hinzustehen, auch wenn wir Gegenwind haben.» Die Abstimmung fiel im Verhältnis 5:1 aus: Das Amt wird für Nichtordinierte offengehalten.
Das Ansinnen des Tessiner Vertreters Tobias Ulbrich, die Bestimmungen zum Ratspräsidium in die Artikel über den Rat einzufügen, und weitere Anträge provozierten den Thurgauer Kirchenratspräsidenten Wilfried Bührer: «Was ist denn da los? Stehen wir unter dem Eindruck, einen übergriffigen Präsidenten zu haben?» Es gehe nicht an, dass der Präsident bloss im Auftrag des Rates Anregungen gebe, sagte Bührer. «Der muss etwas können, etwas aus eigener Initiative tun dürfen. Wenn wir das alles nicht wollen, können wir einen Verwalter anstellen.»
Der Bündner Andreas Thöny erklärte sich dadurch überzeugt. Gleichwohl fand der Berner Antrag, das Präsidium stärker einzubinden, eine knappe Mehrheit: «Die Präsidentin oder der Präsident fördert gemeinsam mit dem Rat und der Synode das geistliche Leben der EKS.»
Neu: Assoziierung für andere evangelische Kirchen
Als wichtiges neues Element der Verfassung gilt die Assoziierung (Art. 34). «Assoziiert werden können in der Schweiz ansässige Kirchen und Gemeinschaften, die 1. sich als Kirche oder Gemeinschaft innerhalb der evangelischen Tradition verstehen, 2. mindestens regional verbreitet sind, 3. demokratisch verfasst sind, 4. nicht einer Kirche der EKS angegliedert sind oder zu einem Synodalverband gehören, der Mitglied der EKS ist», zudem evangelische Schweizer Kirchen und Gemeinschaften im Ausland. Die Assoziierung hat kein Preisetikett (Zuger Antrag abgelehnt). Assoziierte haben kein Stimmrecht.
Kollekten, Konfliktlösung
In der Schlussphase der ersten Lesung wurde der vorgeschlagene Artikel über die EKS-Geschäftsstelle – die Romands wollten ihn weglassen – bestätigt. Gestrichen wurde auf ihren Antrag hingegen, dass die EKS ausserordentliche Kollekten zur Finanzierung besonderer Aktionen ansetzen kann (kein Art. 38). In der Frage, wie qualifiziert die Mehrheit für eine Verfassungsänderung sein muss, nahm die AV den Zürcher Vorschlag an: Sie bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art. 39). Die Bündner hatten drei Viertel der Mitgliedkirchen vorgeschlagen.
Auf Antrag der Nordwestschweizer wurde der Rat angewiesen, für die zweite Lesung eine Bestimmung für ein Konfliktlösungsverfahren (inkl. Gerichtsstand) vorzulegen. Die Versammlung beauftragte das AV-Präsidium, die Vorlage gemäss den gefassten Beschlüssen anzupassen und für die zweite Lesung vorzubereiten. Diese soll Mitte Juni an der ordentlichen Sommerversammlung in Schaffhausen stattfinden, damit die Verfassung auf Neujahr 2019 in Kraft treten kann.