Die Reformierten im Spiegel der Statistik

Im Alltag der Schweizerinnen und Schweizer spielen Religion und Spiritualität eine zunehmend geringere Rolle; dies zeigt ein Vergleich der Erhebungen des Bundesamts für Statistik von 2019 und 2014. Jeder vierte Reformierte glaubt nicht. Von allen Christen tun die Reformierten am wenigsten für die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation; bei vielen stehen andere Werte im Vordergrund. Dies zeigt sich auch bei den Heiraten: Neu gehen mehr Konfessionslose als Reformierte die Ehe ein.


Die Reformierten der Schweiz sind weltzugewandte Menschen; bloss 31 von 100 bezeichnen sich als spirituelle Person, gegenüber 41 Katholiken und 61 Freikirchlern. Dieser Zug verstärkt den langjährigen Trend, zu dem viele Faktoren beitragen.

Bezeichneten sich 1970 49 Prozent der Bevölkerung als protestantisch, waren es 2019 noch 22,5 Prozent. Der Anteil der Katholiken sank in dieser Zeitspanne von 47 auf 34,4 Prozent. Das BFS zählte 1,6 Millionen Reformierte und 2,45 Millionen Katholiken über 15 Jahre, bei einer ständigen Wohnbevölkerung von 7,13 Millionen.

Stark zugenommen haben religiöse Gleichgültigkeit und Religionslosigkeit. 1970 war einer von achtzig zwischen Genf und Rorschach ohne religiöse Zugehörigkeit; nun drei von zehn!

Die religiöse Vielfalt hat im vergangenen Jahrzehnt weiter zugenommen, wie der BFS-Broschüre «Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz» zu entnehmen ist. Der Anteil der Muslime hat zwischen 2011 und 2019 leicht auf 5,5 Prozent zugenommen (bei den Kindern hat er 8 Prozent überschritten).

Weniger Weitergabe des Glaubens
Für die Erziehung ihrer Kinder gewichten laut der Broschüre insgesamt noch 42 Prozent der Befragten Religion und Spiritualität hoch (fünf Jahre zuvor 47 Prozent). Die Freikirchler heben sich deutlich ab mit 90 Prozent, die den Glauben in der Erziehung wichtig finden (mehr als 2014). Bei Muslimen, Hindus und Buddhisten sind es 64 Prozent, bei Katholiken 52 Prozent, bei Reformierten 40 Prozent und bei Religionslosen immerhin 17 Prozent.

Die Erhebung bestätigt damit, was Jörg Stolz, Olivier Favre und Mitautorinnen 2013 in ihrer soziologischen Analyse der Freikirchenszene «Le phénomène évangélique» (dt. «Phänomen Freikirchen», Zürich 2014) herausstellten: Das Milieu erhält sich durch gezielte, anhaltende Bemühungen zur Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation. Es zeichnet sich dadurch aus, dass «die Mitglieder sämtliche Bedürfnisse (Spiritualität, Beziehungen, Seelenhaushalt, Freizeit, Sinngebung) innerhalb des gleichen Milieus befriedigen» können. Freikirchler haben im Schnitt deutlich mehr Kinder als Reformierte.

In der GVC Winterthur, Advent 2006.

Die Eltern von Kindern unter 18 Jahren wurden gefragt, welche Werte sie den Kindern prioritär vermitteln möchten. Nach den Grundsätzen ihrer Religion erziehen wollen von 100 über 60 Freikirchler, 35 Muslime, 30 Katholiken und 22 Reformierte. Für 49 Prozent der Reformierten ist es wichtig, «andere Werte, die nicht religiöser oder spiritueller Natur sind, zu vermitteln». Bei den Freikirchlern und Muslimen wählten weniger als 20 Prozent diese Aussage, bei den Katholiken 36 und bei den Religionslosen 65 Prozent.

Abbröckeln des Ein-Gott-Glaubens
Woran glauben die Erwachsenen? Die Befragten wählten zwischen dem Glauben an einen Gott, an mehrere Götter, an eine höhere (nicht personale) Macht, Nicht-Wissen und Unglauben. Von 100 Erwachsenen glauben 51 Katholiken, 40 Reformierte, 93 Freikirchler und 92 Muslime, doch nur 9 Prozent der Religionslosen an einen einzigen Gott. An eine höhere Macht glauben 23 Katholiken, 31 Reformierte und kaum ein Freikirchler.

Von 2014 bis 2019 hat der Glauben an einen einzigen Gott in der Bevölkerung deutlich abgenommen: von 46 auf 40 Prozent. Doch ist er immer noch am stärksten verbreitet – von einer höheren Macht gehen 25 Prozent aus.

Am Kirchenausgang
Als Agnostiker oder Atheisten bezeichnen sich 50 Prozent der Religionslosen, 24 Prozent der Katholiken und 28 Prozent der Reformierten. Die ehemaligen Volkskirchen haben sich, wenn die aktuellen Prozesse anhalten, auf viele Austritte einzustellen.

Gemäss der letzten grossen religionssoziologischen Studie, welche kirchenübergreifend vier Gestalten des (Un-)Glaubens profilierte, dürfte die Gruppe der distanzierten Christen tendenziell schrumpfen: «Stattdessen werden die Säkularen zur grössten Gruppe werden. Dies lässt daher eine gewisse Polarisierung zwischen sehr religiösen Freikirchlichen und Esoterischen und einer sehr grossen Gruppe von völlig indifferenten oder religionskritischen Personen erwarten» (J. Stolz, J. Könemann u.a., Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft, Zürich, 2014).

Religiös vielfältige Schweiz: BFS-Grafik zur Entwicklung seit 1970.

Yoga – mehr als ein Volkssport
In weiten Kreisen löst eine individuelle «Spiritualität» die von Religionsgemeinschaften vorgegebene Praxis ganz oder teilweise ab. Die Forscher des BFS fragten nach der in den letzten 12 Monaten ausgeübten spirituellen Aktivität. Gegenüber 2014 nahm der Anteil derer, die eine Bewegungs- oder Atmungstechnik im spirituellen Sinn übten, von 19 auf 24 Prozent zu – die einzige deutliche Änderung bei dieser Fragestellung, auch zurückzuführen auf die Zunahme der Religionslosen, welche dies in grosser Zahl tun.

Der Besuch von Heilern und Hellsehern und esoterische oder schamanistische Rituale blieben Sache einer Minderheit (insgesamt 14 Prozent), während weiterhin 21 Prozent Amulette oder ähnliche schutz- und heilbringende Gegenstände brauchen. Der Anteil derer, die regelmässig die Heiligen Schriften ihrer Religion lesen, sank in den fünf Jahren um ein halbes Prozent unter 16 Prozent. Bei Katholiken und Reformierten ist es jeder Sechste, in den Freikirchen tun es vier von fünf, bei den Muslimen zwei von fünf.

Reformierte werben kaum um Migranten
Aufschlussreich ist auch die Religionszugehörigkeit nach Migrationsstatus. 39 von 100 Katholiken haben Migrationshintergrund, auch mehr als 30 Freikirchler, doch nur 13 Reformierte. 40 von 100 Zugewanderten bzw. deren Nachkommen sind religionslos!

Die Zahlen lassen vermuten, dass sich die Reformierten wenig um die Integration von Zugewanderten bemüht und kaum um sie geworben haben. Die römisch-katholische Kirche dagegen hat Hunderttausende, die aus katholisch geprägten Ländern zuzogen, integriert. Sie weist auch deswegen eine bessere Altersstruktur auf: Unter 50 Jahren waren im Jahr 2019 fast 47 Prozent der Katholiken, 40 Prozent der Reformierten, 53 Prozent der Freikirchler und 82 Prozent der Muslime.

Ein Viertel der Kinder hat eine andere Religion als eines ihrer Elternteile. Von 2014 bis 2019 stieg der Anteil der Kinder unter 15 Jahren, der nach Elternangaben keiner Religion angehört, von einem Viertel auf ein Drittel.

Viele interkonfessionelle,
wenige interreligiöse Ehen

Die Unterschiede zwischen den Gemeinschaften zeigen sich auch in der Heirat; die Konfession spielt für die Reformierten eine geringere Rolle als für alle anderen grossen Gruppen. 2019 heirateten von 100 Reformierten 46 eine Reformierte; 28 ehelichten eine römische Katholikin, 14 eine Konfessionslose. Katholiken führten zu 61 Prozent eine Katholikin aufs Standesamt, zu 18 Prozent eine Reformierte, zu 10 Prozent eine Konfessionslose.

Von 100 reformierten Frauen heirateten 46 einen Reformierten, 27 Prozent einen Katholiken, 17 einen Konfessionslosen. Von 100 Katholikinnen ehelichten 60 einen Katholiken, 19 einen Reformierten und 12 einen Konfessionslosen.

Die Zahl der reformierten Männer, die die Ehe eingehen, hat sich in 20 Jahren halbiert; bei den Frauen dauerte es 24 Jahre. Vor den Standesbeamten kommen seit 2018 mehr konfessionslose als reformierte Männer (2019: 7601 vs. 6801). 57 Prozent von ihnen verbanden sich mit einer Konfessionlosen, 15 Prozent mit einer Reformierten, 17 mit einer Katholikin.

Die Heiraten mit Musliminnen lagen bei Reformierten unter, bei Katholiken über einem Prozent. Von hundert Muslimen heirateten 77 eine Muslima, sieben eine Katholikin, vier eine Reformierte, fünf eine Konfessionslose. Musliminnen verbanden sich zu 87 Prozent mit einem Muslim; weniger als vier Prozent heirateten einen Katholiken oder einen Religionslosen, 1,8 Prozent einen Reformierten.

Reformierte Minderheit in den Städten
Die Statistik zeigt landesweit einen grösseren Anteil von Reformierten in ländlichen Gebieten (bei den über 15jährigen 20 Prozent, Durchschnitt 16 Prozent) und in Agglomerationen und Kleinstädten (25 vs. 21 Prozent. In der Stadt Zürich lebten gemäss dem BFS 2019 unter 68'000 Reformierte (19 Prozent der über 15jährigen). In Basel sind es 13,5 und in Bern 33,8 Prozent, in Lausanne 12,3 und in Genf 6 Prozent.

Neuste Infos des BFS zur Religionslandschaft