Die Reformierten im Herbst 2012
Die Schweizer Reformierten gehören zum europäischen Protestantismus. Im Warmlaufen für den 500. Geburtstag ist er von der Schwäche der Institutionen auf dem säkularisierten Kontinent gezeichnet. Mehrere Deutschschweizer Kirchensynoden tagten im Zeichen des Spardrucks, der infolge der tiefen Geburtenrate und dem Überwiegen von Austritten trotz erheblicher Zuwanderung auf den Landeskirchen lastet.
Synoden und die Abgeordnetenversammlung des Kirchenbundes hörten Berichte von der Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE in Florenz. SEK-Ratspräsident Gottfried Locher, der ins GEKE-Präsidium gewählt wurde, wies auf die Dialoge hin, welche die GEKE mit Rom sowie mit Pfingst- und Migrationskirchen geführt hat. Cornelia Camichel-Bromeis erlebte in Florenz evangelische Katholizität: "Die Kirchengemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa gibt es, sie ist lebendig". Die protestantischen Kirchen seien eine Auslegegemeinschaft, welche Wege zum Miteinander der Kirchen aufzeige, sagte die Davoser Pfarrerin. Die Protestanten müssten sich klar werden, was sie im Jubiläum feiern und vermitteln wollten.
In einer Ansprache regte Gottfried Locher, angesichts der Ziellosigkeit der kirchenamtlichen Ökumene 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, einen Perspektivenwechsel hin zur innerprotestantischen Ökumene an (Artikel folgt). Dass die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen aus Spargründen ihren Sitz von Genf nach Hannover verlegt, bezeichnete Locher in Bern als "falsches Signal". Genf sei der Ort, wo die konfessionellen Gemeinschaften und Familien einander begegneten. Der britische Theologe George Lings schilderte in einem Gastvortrag, wie die Church of England in den letzten Jahren Erneuerungsimpulse aufnimmt und "Fresh expressions of church" Raum gibt.
Ordination, Kirchenfinanzen, Abtreibung
Die Abgeordneten des Kirchenbundes wählten die Solothurner Synodalratspräsidentin Verena Enzler zu ihrer Vorsitzenden für kommenden zwei Jahre. Als Vizepräsident bestätigt wurde der Bernjurassier Jean-Marc Schmid, neu gewählt der Zürcher Kirchenrat Daniel Reuter. Das Glaubensbuch, das der SEK erarbeiten lässt, folgt den Bitten des Unser Vater-Gebets. Gottfried Locher teilte mit, dass TheologInnen aus der Deutschschweiz und der Romandie die Texte erstellen. Die Abgeordneten der 26 Mitgliedkirchen des Kirchenbundes nahmen die Folgerungen aus seiner Studie über Ordination (allein zum Pfarramt soll ordiniert werden) zur Kenntnis. Was eine Kommission unter Leitung des Berner Synodalratspräsidenten Andreas Zeller nach einer Finanzanalyse empfohlen hat, soll umgesetzt werden. So will man die öffentliche Kommunikation der evangelischen Kirchen auf nationaler Ebene bündeln.
In einer persönlichen Erklärung protestierte Daniel Reuter gegen das Nein des SEK zur Volksinitiative "Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache". Der Kirchenbund sieht bei Abtreibungen (von ihren Befürwortern als private Angelegenheit bezeichnet) die Allgemeinheit in der Pflicht für die Finanzierung. "Familiäre, soziale und wirtschaftliche Missstände" bedrohten das Leben der Frau derart, dass sie "dem sozialen Tod" ausgesetzt sei. Dies liess Reuter mit dem Verweis auf Sozialstaat und kirchliche Diakonie nicht gelten. Über der Gesellschaft stünden die Gebote Gottes.
BE: Sonnenenergie und Pfarrer-Nachwuchs
Die Berner Synode hatte vor einem Jahr in einer Resolution "Nein danke zum Nuklearrisiko im AKW Mühleberg" gesagt. Sie beschloss nun, den Bau von Solaranlagen auf kirchlichen Gebäuden zu fördern, mit je 100'000 Franken in den nächsten drei Jahren. Damit werde, sagte Synodalrat Stefan Ramseier, ein Zeichen gesetzt - "nicht nur ein Zeichen zur ökologischen Energieproduktion, sondern auch ein Zeichen, dass die Kirche die Zeichen der Zeit erkannt hat, und obendrein ein Zeichen gegen das verstaubte Image der Kirche". Nach der vierjährigen Pilotphase wird die Generationen-Kirche, ein bereichsübergreifendes Projekt, in die Kerntätigkeit der gesamtkirchlichen Dienste überführt.
Der Synodalrat nahm eine Motion von drei Synodalen entgegen, welche ein Konzept für einen "Sonderkurs" fordert. Akademikerinnen und Akademiker mit Berufsziel Pfarramt sollen an der Uni Bern einen massgeschneiderten Master of Theology machen können. Für die Berner Kirchenleitung hat "das universitäre Theologiestudium als Voraussetzung für das Pfarramt in einer zunehmend komplexen Welt an Bedeutung noch gewonnen". Der hohe Bildungsstandard der Pfarrschaft gehöre zu den "Identitätsmerkmalen der Volkskirche in einer pluralistischen Gesellschaft". Dem absehbaren Pfarrermangel soll nicht mit Nichtakademikern abgeholfen werden.
SG: Fusionszwang für kleine Gemeinden
Die St. Galler Kirche stoppt die finanzielle Stützung der Kirchgemeinden mit weniger als 1000 Mitgliedern. Die Synode hatte Beschlüsse zu fassen, um den Finanzausgleich ins Lot zu bringen. "Wegen der Unternehmenssteuerreform und der Wirtschaftskrise sind die Kantonsbeiträge innert weniger Jahre um 25 Prozent gesunken". "Heute geht es nicht darum, ob wir sparen wollen, sondern wie wir sparen können", bedeutete Kirchenratspräsident Dölf Weder den Synodalen. Der Kirchenrat fand für seine Vorschläge, die durch Fusion auch zu einem besseren Personaleinsatz führen sollen, in der Synode eine Zweidrittel-Mehrheit. Nachdem Dölf Weder für Ende Februar 2014 seinen Rücktritt angekündigt hat, wird die Synode die Nachfolge im Juni 2013 zu regeln haben. Die Suche hat begonnen.
ZH: Sparen auf hohem Niveau und Diakonie
Die Zürcher Kirchensynode beschloss nach langer Diskussion, dass die Zentralkasse nächstes Jahr 500'000 Franken weniger ausgibt als vom Kirchenrat vorgesehen. Damit folgten die Synodalen ihrer Finanzkommission, die dem Kirchenrat die Schaffung weiterer Stellen in den gesamtkirchlichen Diensten (u.a. fürs Reformationsjubiläum) vorhielt. Angesichts tieferer Steuererträge wollte die Finanzkommission den Kirchenrat zudem mit einer Motion verpflichten, 2014-2017 jährlich eine Million Franken einzusparen, und so die Last der Kirchgemeinden verringern. Von ihnen sollen 2013 immerhin 4,4 Mio. Franken als im Vorjahr mehr in die Zentralkasse fliessen, dies wegen des letztmals sinkenden Staatsbeitrags und der BVK-Sanierung. 60% des Aufwands der Zentralkasse (2013: 107 Mio. Franken) sind Pfarrerlöhne. Die Motion wurde nicht überwiesen.
Am ersten Sitzungstag nahm die Zürcher Synode das Diakoniekonzept der Landeskirche zur Kenntnis. Danach ist Diakonie "soziales Handeln aus evangelischen Wurzeln in der Kraft der Solidarität, ... Wesensmerkmal und sichtbares Zeichen der Kirche". Das 60-seitige Konzept geht von den Mahlgemeinschaften von Jesus (inkl. Abendmahl) als Urmodell der Diakonie aus. Es fokussiert auf Gesundheit und Wohlergehen, Existenz und Arbeit sowie Zugehörigkeit und Teilhabe.
Die Kirchgemeinden werden aufgefordert, ihre Projekte zu bestimmen und so ihr diakonisches Profil zu schärfen. Die Stellen der Sozialdiakonie sollen kantonsweit gleichmässiger verteilt werden; die Fusion von Gemeinden soll dies erleichtern. Der Kirchenrat will bis 2020 keine Stellen im Sozialdiakonat abbauen. In der Synode wurde gefragt, ob die Kirche die Freiwilligen für eine strahlkräftige Diakonie noch findet. Die Synodalkommission unterstrich, dass die Kirche auch Sozialdiakone braucht, die in Höheren Fachschulen ausgebildet wurden. Die Bemühungen des Theologisch-Diakonischen Seminars TDS Aarau um eine eidgenössische Anerkennung seines Studiengangs müssten unterstützt werden. - Die Evangelisch-kirchliche Fraktion protestierte in einer Erklärung gegen das Bethlehem-Dossier der Zeitschrift reformiert.
SH: Synode fordert Gemeinden
Die Schaffhauser Synode hat mit dem Budget 2013 auch die anstehende Strukturreform genehmigt. Bis die Reform (Abbau der Pfarrstellen um 20%) im Jahr 2015 greift, zahlen die Kirchgemeinden mehr in die Zentralkasse. Laut Kirchenratspräsident Frieder Tramer werden sie 2013 eine Standortbestimmung für sich selbst und dann auch mit möglichen Partnerkirchgemeinden machen müssen, um dann die passenden Verträge auszuarbeiten und von der Synode genehmigen zu lassen. Parallel dazu läuft auch die Umstrukturierung der Pfarrstellen. (Übersicht über Strukturreformen in der Ostschweiz im LKF-Bulletin, Seiten 6-7)
AG: Palliative Care und Begleitung
Die Aargauer Landeskirche soll ab 2014 ein «Kompetenzzentrum Palliative Care, Bildung und Begleitung» betreiben. Die Synode beschloss, das Anfang 2011 gestartete Projekt «Palliative Care und Begleitung» mit diesem Ziel weiter zu entwickeln. Das Kompetenzzentrum soll ab 2016 in eine selbständige Struktur und teilweise finanzielle Unabhängigkeit überführt werden. In der Diskussion betonten Synodale, die Begleitung von schwer kranken und sterbenden Menschen gehöre zum Kernauftrag der Kirche. Seit Anfang 2011 sind 154 Personen in acht Lehrgängen für Freiwillige und Berufsleute gemäss den Richtlinien von palliative.ch ausgebildet worden. Eine Koordinationsstelle organisiert die Lehrgänge und koordiniert die Einsätze der Begleitdienste in den Kirchgemeinden (Website).
TG: Starthilfe für innovative Projekte
Die Thurgauer Synode genehmigte eine 20-Prozent-Stelle für Popularmusik und einen Fonds zur Starthilfe für innovative Diakonie. Kirchgemeinden, die in Diakonie, kirchlicher Jugendarbeit oder Gemeindebau Zukunftsweisendes wagen, können durch die Landeskirche unterstützt werden. Dafür sind jährlich 75'000 Franken vorhanden. Ein Vorschlag des Kirchenrats zur einmaligen Entschuldung von neun finanzschwachen Kirchgemeinden wurde zurückgewiesen. Die Synode will damit Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung verknüpfen. 2013 wird die Synode an vier zusätzlichen Tagen die Totalrevision der Kirchenordnung zu Ende beraten; sie soll in der laufenden Legislatur unter Dach und Fach gebracht werden.