Demokratie braucht öffentlichen Glauben
Die pluralistische Demokratie lebt von der Äusserung und Diskussion verschiedener, auch religiöser Überzeugungen. Glaube gehört in die Öffentlichkeit. Dies unterstreicht die Schweizerische Evangelische Allianz SEA in einem Papier und mit ihrer Bettagsresolution. Sie hält auch fest, was Christen im öffentlichen Raum zu beachten haben, und verpflichtet sich, echte Toleranz zu fördern.
In dem 20-seitigen Papier aus der Feder des Westschweizer Juristen Michael Mutzner bekräftigt die SEA das Recht der Christen, in der Öffentlichkeit ihren Glauben zum Ausdruck zu bringen und dafür zu werben. Sie fordert Toleranz für religiöse Äusserungen - auch und gerade wenn darin von einer absoluten Wahrheit ausgegangen wird.
Die Medien ruft die SEA zu einer besseren Ausbildung von Journalisten auf. Sie lädt die Schweizer ein, mehr zu unternehmen, um die religiösen Minderheiten "und besonders die freikirchlichen Christen" kennen zu lernen. Zugleich hält die SEA fest, was Christen im öffentlichen Raum zu beachten haben; sie verpflichtet sich, echte Toleranz zu fördern und den Sensibilitäten anderer Rechnung zu tragen.
Glaube im öffentlichen Raum
Das Papier unter dem Titel "Freiheit zur religiösen Meinungsäusserung" ist von der Überzeugung getragen, dass evangelische Christen "für die Gesellschaft in der Schweiz eine positive Rolle übernehmen, indem sie ihren Glauben und die daraus hervorgehenden Überzeugungen öffentlich weitersagen". Die Religionsfreiheit, hierzulande im Unterschied zu vielen Ländern garantiert, müsse in allen Facetten geschützt bleiben.
In säkularisierten westlichen Gesellschaften haben sich Versuche gehäuft, Religion ins Private abzudrängen. Dagegen betont die SEA, dass das öffentliche Mitteilen des Evangeliums (wie andersreligiöser Überzeugungen) ein wesentlicher Teil der Religionsfreiheit ist, welche die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention garantieren.
Religionsfreiheit zentral für offene Gesellschaft
Die Religionsfreiheit, so das Papier, "betrifft direkt die Identität einer Person und ihre uneingeschränkte Befähigung, eine eigene geistliche Suche zu führen, ihrem Leben nach freiem Ermessen Sinn und Richtung zu geben und in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft leben zu können". Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gehört "mit ihrer religiösen Dimension zu den wesentlichsten Aspekten der Identität des Gläubigen und seiner Weltanschauung, stellt aber auch für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Glaubenslose ein wertvolles Rechtsgut dar".
SEA gegen vereinnahmende Praktiken
Evangelische Christen wünschen aufgrund des biblischen Auftrags zur Evangelisation, "dass alle die Möglichkeit haben, diese Botschaft zu hören und, wenn sie dies wünschen, für sich anzunehmen". Sie müssen aber - so die SEA als Dachorganisation bekennender evangelischer Christen im Land - dabei die Rechte der Mitmenschen wahren, auch die Freiheit, Nein zu sagen. "Wir verurteilen mit aller Entschiedenheit Evangelisationspraktiken, die dem Einzelnen nicht die volle Freiheit lassen, sich eine Meinung zu bilden und den vorgestellten Glauben in voller Kenntnis der Sache anzunehmen oder abzulehnen". Das Evangelium mit Hochmut, besserwisserisch, zudringlich oder manipulativ zu vermitteln und aufzudrängen, wäre ein Widerspruch in sich selbst, schreibt die SEA. "Der Glaube ist nie Gebot, aber immer Angebot".
Raum für Evangelisation schützen
Die SEA plädiert für Zurückhaltung seitens der staatlichen Behörden angesichts von Evangelisation. Sie sollten eine "positive und wohlwollende 'Neutralität' walten lassen und den Gläubigen, auch gerade religiöser Minderheiten, den Raum schaffen, um auf die Bevölkerung zuzugehen und ihr ihren Glauben nahe bringen zu können". Laut dem Bundesgericht hat sich der religiös neutrale Staat in den öffentlichen Handlungen "jeder konfessionellen oder religiösen Erwägung zu enthalten", welche die Freiheit der Bürger einer pluralistischen Gesellschaft beeinträchtigen könnte. Nur weil eine Verkündigung unpopulär ist, darf sie nicht verboten werden.
Konfrontation gehört zur offenen Gesellschaft
Die Bundesverfassung hält in Artikel 15,4 fest, dass niemand zu religiösem Unterricht, Handlungen oder einem Beitritt zu einer Gemeinschaft gezwungen werden kann - doch dies bedeutet laut Bundesgericht. nicht den Schutz "vor der Konfrontation mit religiösen Überzeugungen anderer". Die SEA formuliert fünf Kriterien für das Weitersagen des Glaubens. Im öffentlichen Raum müsse auf Menschen geachtet werden, die als unfreiwillige Zuhörer der Botschaft diese nicht weiter hören wollen.
Im Zeichen von Gottes Fürsorge
Die SEA wünscht, dass das Recht auf öffentliches Mitteilen des Glaubens von den Bundesbehörden "auf dem gesamten Landesgebiet umfassend durchgesetzt wird". Dieses Anliegen findet sich auch in der Bettagsresolution der SEA, welche Ende August veröffentlicht und versandt wird. Darin heisst es weiter: "Überzeugt von Gottes Liebe und Fürsorge für unser Land wollen wir diese Zuwendung Gottes öffentlich verkünden und unsere Mitmenschen darauf hinweisen. Dabei wollen wir darauf achten, dies stets mit grossem Respekt und Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden zu tun".
Die Freiheit der anderen
Die SEA fordert, dass der Staat das Recht auf freie Meinungsäusserung auch dann schützt, "wenn solche Äusserungen ablehnende Reaktionen von Andersdenkenden oder Andersgläubigen hervorrufen". Zugleich sollen Christen sich gegen alle Einschränkung der Religions- oder Meinungsfreiheit wenden, "auch dort, wo es um die Religionsfreiheit Andersdenkender geht".
Wie reagieren, wenns weh tut?
An die Adresse der Religionsgemeinschaften des Landes äussert die SEA die Erwartung, dass sie eine offene Religionsdebatte akzeptieren, "auch dass man in einer pluralistischen Demokratie durch gewisse Äusserungen kritisiert, verletzt oder schockiert werden kann". Im Rechtsstaat sei dank Meinungsfreiheit eine Antwort möglich. Die SEA selbst will auf verletzende und schockierende Angriffe "lieber im Namen der Meinungsfreiheit als auf der juristischen Ebene" reagieren.