Bekenntnis: «Klarer sagen, was wir glauben»

Die Schweizer Reformierten sind seit bald 150 Jahren keinem Bekenntnis verpflichtet. Braucht es fürs 21. Jahrhundert wieder Texte? Und wie kann das reformierte Bekennen gefördert werden? An einem Studientag in der Kartause Ittingen bei Frauenfeld am 29. Oktober 2010 sprachen sich der designierte SEK-Ratspräsident Gottfried Locher und der Zürcher Theologieprofessor Ralph Kunz für das gemeinschaftliche Bekennen des Glaubens aus.

Die Thurgauer Kirche diskutiert bei der laufenden Revision ihrer Kirchenordnung, ob darin das ‚Thurgauer Bekenntnis‘ von 1874, das an die Stelle des Apostolikums gesetzt wurde, aufgenommen werden soll.

Gottfried Locher unterstrich, dass Christen im wesentlichen nicht an eine Lehre oder ein heiliges Buch glauben, sondern an Jesus Christus. „Wir glauben an Liebe und Gerechtigkeit – insofern als sie in Bezug zu Jesus Christus erklärbar werden.“ Mit Verweis auf die erste von Zwinglis 67 Thesen* betonte Locher in seinem Vortrag, dass die Bibel als letztgültige Richtschnur (norma normans) Vorrang hat vor allen Aussagen der Kirche. (Die Thesen von Gottfried Locher im Wortlaut)

In eine Situation hinein bekennen
Reformiertes Bekennen wurde zuerst und immer wieder geübt, als die Kirche in „Kernfragen“ herausgefordert war. Dies wird exemplarisch deutlich bei der Erklärung von Barmen, welche 1934 entstand als kirchliche Antwort auf die Vereinnahmungsversuche der Nationalsozialisten. Bekennen geschieht in eine örtlich und zeitlich begrenzte Situation, einen bestimmten Kontext hinein. Daher, so Locher, sind reformierte Bekenntnisse nie endgültig und grundsätzlich immer revidierbar. (Die Berner Geistlichen formulierten im Synodus von 1532, sie wollten dem Heiligen Geist seinen Lauf nicht versperren, sollte etwas vorgebracht werden, „das uns näher zu Christus führt“.)

In der Schweiz finden sich bekenntnisähnliche Formulierungen in den Einleitungen zu Kirchenordnungen. Die neusten Bekenntnisse in Afrika und Amerika versuchten neue ökonomische und politische Fragen einzubeziehen, bemerkte Locher. Er unterschied das Bekenntnis als „kirchliches Ereignis, das von konfessioneller Tradition gekennzeichnet ist“, vom Bekenntnistext, seinem Produkt.**

Typisch für die Reformierten: „Es gibt keinen universal gültigen Bekenntnistext.“ Zwar geniessen einige reformierte Bekenntnisse eine sehr „weite internationale Ausstrahlung“. Das Zweite Helvetische Bekenntnis des Zwingli-Nachfolgers Heinrich Bullinger kennt man, so Locher, „hier am wenigsten und weltweit am besten“. Doch kein Text habe sich als Basis für reformierte Bekenntniseinheit durchgesetzt, im Unterschied zum Konkordienbuch des Luthertums.

Bekennen mit glaubwürdigem Leben – und Worten
„In einer bunten Gesellschaft müssen Gemeinschaften Farbe bekennen.“ Für Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie an der Universität Zürich, ist Bekennen „bezeugen und begründen, woran man glaubt“. Kunz brachte das Empfinden vieler der knapp 100 Teilnehmenden zum Ausdruck, als er meinte: „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es dringlich ist, klarer zu sagen, was wir miteinander glauben. Das fängt nicht mit Schrift an, sondern mit glaubwürdigem Leben.“

Die Verbindlichkeit aber habe mit Schriftlichem zu tun. Der Theologe bezog die neue reformierte Debatte ums Bekennen auf den gesellschaftlichen Pluralismus, der die Menschen verunsichert. In der Flut von Informationen seien Orientierungspunkte vonnöten. „Der Notstand der Kultur zwingt uns zu sagen, wer wir sind.“ Ein Bekenntnis zur Christentums-Kultur sei nicht falsch – aber es genüge nicht mehr.

Kunz empfahl in seinem Vortrag anstelle eines Bekenntnisses „eine Sammlung, die fürs Gespräch dienen kann“. Er begrüsste das Werkbuch Bekenntnis, in dem eine Arbeitsgruppe 19 christliche Bekenntnisse zusammengestellt und erläutert hat. Dazu gestellt hat sie ein 2008 formuliertes Credo von Kappel. Gemäss Kunz müssen die Reformierten wieder lernen, „als Kollektiv Gesicht zu zeigen. Nicht unser Gesicht, sondern das von Jesus Christus“.

Thurgauer Bekenntnis wieder aufnehmen?
In Workshops diskutierten die Teilnehmenden Aspekte des Themas. Im Thurgau steht die Frage im Raum, ob die Landeskirche das sogenannte Thurgauer Bekenntnis von 1874 (Text unten) in die Kirchenordnung aufnehmen soll.

Das Bekenntnis wurde formuliert, nachdem die kantonale Kirchensynode auf Betreiben liberaler Kreise das zuvor obligatorische Apostolische Glaubensbekenntnis mit einem Beschluss abgelehnt hatte – durch Zufallsmehr von drei Stimmen. Bis 1769 seien in jedem Gottesdienst das Apostolikum, die Zehn Gebote und das ‚Unser Vater‘ gesprochen worden, sagte Olivier Wacker, Pfarrer in Hüttlingen, im Workshop. Sein Amtsvorgänger um 1874 wurde vom Kirchenrat abgesetzt, weil er am Apostolikum festhielt!

"Einigen tut uns am ehesten, was schon lange da ist": Wilfried Bührer in der Kartause Ittingen.
Kirchenratspräsident Wilfried Bührer (Bild) konstatierte in der Runde, das neue Bekenntnis habe damals nicht zur Einheit geführt. „Einigen tut uns am ehesten, was schon lange da ist.“ Ein Bekenntnis müsste in aktuellen Diskussionen und künftigen Debatten, etwa mit Muslimen, dienlich sein. Christoph Ramstein, der wie Ralph Kunz in der Kappeler Arbeitsgruppe mitwirkte, äusserte, das 'Credo von Kappel' wolle als Diskussionseröffnung und Provokation wirken.

Klärung nach innen und aussen
Im Schlusspodium stellte Wilfried Bührer die Frage: „Wie viele Leute wissen noch wie viel vom christlichen Glauben?“ Jürg Buchegger, Pfarrer in Frauenfeld, unterstrich, dass das Bekenntnis nach aussen und nach innen notwendig ist. Es gebe unter Kirchenmitgliedern zahlreiche abstruse Glaubensvorstellungen.

Das Apostolikum biete sich auch an, „weil es uns ökumenisch verbindet“. Ralph Kunz erwähnte die verfolgten Christen etwa in Indonesien; für sie sei das Bekennen manchmal mit Martyrium verbunden. Das griechische Wort Martyrium bedeutet wörtlich ‚bezeugen‘.

Das Bekenntnis der Kirche – nicht deins und meins
Gottfried Locher brauchte das Bild der Palette. Den Reformierten würde es wohl anstehen, wenn sie eine Sammlung von Bekenntnissen hätten und wenn sie sich zweitens wieder aufs Apostolikum als gemeinsamen Ausgangspunkt verpflichten würden.

„Wichtig ist zu sagen: Es ist das Bekenntnis der Kirche, nicht deins und meins. Normal ist, dass wir Mühe haben damit – in jeder Phase. Wir müssen es weitersagen, damit die nächste Generation etwas hat.“ Dabei sei eine Sprache zu finden, „die nicht überfährt, sondern auf das Gegenüber eingeht“.

Für die Palette, so Locher, könne man es drittens wagen, ein neues Bekenntnis zu formulieren und es in den Kirchen des Landes einige Jahrzehnte zu testen. Eine Sammlung von Bekenntnissen genüge aber nicht, um den Traditionsabbruch in der Reformierten Kirche anzugehen. Es brauche auch einen konkreten Bekenntnisakt der Christen. Die Kirche sei dazu gerufen, das Evangelium von Jesus Christus gemeinschaftlich zu leben und zu bezeugen.

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Thurgauer Bekenntnis von 1874

Wir glauben an Gott,
den allmächtigen Vater und Schöpfer,
der uns berufen hat zu seiner Kindschaft
und zum ewigen Leben,
an Jesus Christus,
den Sohn Gottes,
in welchem wir die Erlösung haben von unseren Sünden
und die Versöhnung mit Gott,
und an den heiligen Geist,
der uns erneuert nach dem Bilde Gottes
zu wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Amen.

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* Huldrich Zwingli über Evangelium und Kirche

„Jeder, der von der Lehre, die vom Himmel kommt – d.h. vom Evangelium –, wahr und Gott gemäss reden möchte, muss darin von Gott unterwiesen, bestätigt und versiegelt sein. Daraus folgt zwangsläufig auch, dass das richtige Verständnis des Evangeliums nicht von irgendeinem Menschen abhängt, sondern allein davon, ob Gott einen zieht und erleuchtet. Denn Paulus sagt, dass der fleischliche, d.h. natürliche Mensch die Dinge nicht annehme, die zum Geist Gottes gehören (vgl. 1. Kor 2,14). Wenn es nun allein von Gott anfängt, kann kein Mensch jemals den andern des Evangeliums versichern; das kann nur Gott.“

„Alle, die sagen, das Evangelium sei nichts wert ohne die Beglaubigung der Kirche, irren und lästern Gott. Wer ist denn schon der Mensch, dass er dem, was Gott denkt, beabsichtigt oder meint, gültige Wirkung verschaffen zu können, wenn doch das Verstehen des Evangeliums – d.h. aller guten Botschaft Gottes an uns – nicht von der Einsicht und Vernunft des Menschen, sondern von der Erleuchtung und Unterweisung durch Gottes Geist abhängt?“ (Erläuterung zur ersten der 67 Thesen, 1523)

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** Gottfried Locher: Bekenntnisakt, Bekenntnisschrift, Bekenntnis

Ein gemeinschaftliches Erkennen und Benennen des Evangeliums von Jesus Christus führt zum Bekenntnisakt der Kirche. Ein Bekenntnisakt der Kirche antwortet auf eine konkrete Notwendigkeit, das Evangelium Jesu Christi gemeinschaftlich zu bezeugen.

Die Bekenntnisschrift schafft den öffentlichen und verbindlichen Bezug zwischen dem Bekenntnisakt der Kirche in einem bestimmten Kontext und dem Evangelium von Jesus Christus. Durch die Öffentlichkeit und Verbindlichkeit wird die Bekenntnisschrift selber zu einem Grundbestandteil des Bekenntnisaktes der Kirche.

Das Bekenntnis ist die innere und äussere Übereinstimmung von Bekenntnisakt und Bekenntnisschrift der Kirche. Das Bekenntnis entspringt einem konkreten Bekenntnisnotstand und wird Teil des Selbstverständnisses der ganzen Kirche.

Die Autorität einer Bekenntnisschrift beruht auf der Autorität der Heiligen Schrift, so, wie diese von der Kirche erkannt und benannt wird.

Bekenntnisschriften sind Kurzformeln des Glaubens an Jesus Christus, die an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit entstanden sind und darüber hinaus gültige Kurzformeln des Glaubens der ganzen Kirche geworden sind. (Aus dem Vortrag in der Kartause Ittingen, 29. Oktober 2010)