Reformierte treten ins Jubiläum ein
Die Herbst-Abgeordnetenversammlung des Kirchenbundes in Bern stand im Zeichen des Jubiläumsjahres «500 Jahre Reformation». 2017 werden national und in vielen Kantonen Anlässe stattfinden. Teilnehmer eines SEK-Podiums legten den Finger auf die Schwäche der Protestanten im säkularen Umfeld. Pfarrerin Sabine Brändlin wurde in den Rat des Kirchenbunds gewählt.
Nach dem Auftakt am 3. November in Genf mit Bundesrat Alain Berset informierte der Rat des Kirchenbundes die Abgeordneten im Berner Rathaus über die Jubiläumsanlässe, die auf nationaler Ebene geplant sind. Unter ihnen sind eine Feier am 6. Januar 2017 mit Bundesrat Schneider-Ammann in Zürich, das Treffen der Synodalen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa im März in Bern und der nationale ökumenische Gedenk- und Feiertag am 1. April in Zug (Gedenken an Nikolaus von Flüe).
Ökumenisch und international
Als Grossanlässe folgen der nationale Festakt am 18. Juni im Berner Münster mit Kardinal Kurt Koch und Erzbischof Justin Welby, zu dem alle Synodalen der kantonalen Kirchen eingeladen werden, und das mit Freikirchen und Werken aufgegleiste Jugendfestival «ReformAction» in Genf (3.-5. November). Zwischen Mai und September 2017 werden die Schweizer Reformierten an der «Weltausstellung Reformation» in Wittenberg mit einem vierteiligen Pavillon vertreten sein, der den Bogen von den Reformatoren über den Bibeldruck zu heutiger Kunst schlägt.
Die Mitte feiern
Zum Reformationsjubiläum schenkt die Aargauer Landeskirche den Schwesterkirchen eine feierliche Liturgie für reformierte Abendmahlsgottesdienste. Von einer Arbeitsgruppe unter Mitwirkung von Gottfried Locher geschaffen, kann sie mit drei Musikstilen verwendet werden (Klassik, Pop, Volksmusik).
In der Abgeordnetenversammlung sagte der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg, reformiertes Leben finde statt – «und im Zentrum die Liturgie, der Gottesdienst, die Feier des Abendmahls». Die Reformierten könnten feiern, ohne sich (in den Worten der Liturgie) ganz einig zu werden. «Die Wahrheit wird uns frei machen – nicht die Wahrheit, die wir schon besitzen, sondern die Wahrheit, die durch das Geheimnis des Glaubens in unsere Welt hineinleuchtet.» Der dreifach vertonten Liturgie ist ein Weihnachtsspiel von Andrew Bond beigegeben. Die drei Formate werden 2017 in TV-Gottesdiensten zu erleben sein.
Breites Patronat
SEK-Ratspräsident Gottfried Locher informierte die Abgeordneten über die breite Trägerschaft zum Schweizer Reformationsjubiläum. Im Patronatskomitee, das er zusammen mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann präsidiert, sind die politischen Parteien, Hochschulen, Wirtschaft und Medien vertreten, auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz und je ein Vertreter von Judentum und Islam gehören ihm an. Eine Öffentlichkeitskampagne der Reformierten läuft unter dem dreifachen Slogan «quer denken – frei handeln – neu glauben». Plakate zielen unter anderem darauf ab, das Wissen um die eigene Kirche bei distanzierten Mitgliedern zu mehren.
Mut des Glaubens
Gottfried Locher steuerte zum Jubiläum einen weiteren theologischen Impuls bei, zum sola fide der Reformatoren («allein durch den Glauben»). Er ging aus vom Geschenkcharakter des Lebens und von Calvins Einsicht, dass der Glaube «in unserem Herzen versiegelt» ist. Protestantischer Glaube sei sowohl durch Leistungsdenken wie durch Zweifel angefochten; es gelte, aus der «rationalistischen Falle» auszubrechen und immer wieder neu zu beginnen, sagte Locher in seiner französisch vorgetragenen Ansprache.
Zwingli betonte, dass der Geist den Glauben zu Taten führt. Der Mut des Glaubens werde heute mehrfach getestet, meinte Locher: Christen sollten ihn nicht schamhaft verschweigen. «Wir schulden dieses Zeugnis unseren Mitmenschen und den Verfolgten.» Sie sollten im Traditionsabbruch Zeugen bleiben und im Gespräch mit Zweifelnden sein: «Partageons ce qui nous fait croire et ce qui nous fait douter.»
Ernüchterndes Auftakt-Podium
Von der Protestantischen Kirche Frankreichs hat der Kirchenbund das Projekt «Unsere Thesen für das Evangelium» übernommen. Kirchen und Gemeinden wurden aufgefordert, zu 40 Themen selbst Thesen zu formulieren und sie online einzureichen. Zu ihrer Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft führte der Kirchenbund im Rahmen der Abgeordnetenversammlung am 7. November in Bern ein Podium durch.
Eingeladen waren Isabelle Chassot (Bundesamt für Kultur), Guy Morin (Basler Regierungspräsident) und Rudolf Wehrli (VR-Präsident Clariant). Unter den drei Kirchenvertretern, die mit ihnen ins Gespräch zu kommen suchten, war Laurent Schlumberger, Präsident der französischen Protestanten. Das Podium brachte Ernüchterndes zu Tage: Von der kulturprägenden Kraft des in der Reformation entdeckten Evangeliums wird wenig mehr verspürt. (Mehr im Bericht)
Kirchliche Kommunikation verbessern – aber wie?
Der Bericht «Bündelung kirchliche Kommunikation Schweiz» gab zu reden. Daran, dass die Reformierten medial vielstimmig und selten abgestimmt agieren, lässt sich auf die Schnelle nichts ändern. Doch wollten die Kirchenvertreter den Rat des Kirchenbundes nicht aus der Verantwortung für weitere Schritte entlassen: Auf Betreiben der Innerschweizer und der Romands wurde er beauftragt, die Umsetzung mit Zielen, Zeitplan und Organisation voranzutreiben und regelmässig Bericht zu erstatten.
Sabine Brändlin in den Rat gewählt
In den nächsten zwei Jahren wird die methodistische Pfarrerin Claudia Haslebacher, seit 2011 Abgeordnete, die Abgeordnetenversammlung präsidieren. Sie wurde ohne Gegenstimme gewählt. Die Abgeordneten wählten zudem Sabine Brändlin in den Rat des Kirchenbundes. Die 43-jährige Baselbieterin leitet seit diesem Jahr den Bereich Seelsorge und kantonale Dienste der Aargauer Landeskirche. Sie hatte 2001-2013 als Pfarrerin in Binningen-Bottmingen gearbeitet und dann die Fachstelle «Frauen, Männer, Gender» der Aargauer Kirche betreut. Brändlin wurde der anderen Kandidatin Doris Wagner-Salathe mit 36 zu 30 Stimmen vorgezogen. Sie tritt Anfang 2017 an die Stelle der Thurgauerin Regula Kummer.
Bilder: Thomas Flügge, SEK