Auf dem Weg zu einer Sprache des Glaubens

Miteinander bringen Christen den Glauben zum Ausdruck: Weltweit sprechen sie im Gottesdienst das Bekenntnis. Nicht so die Schweizer Reformierten, die seit dem 19. Jahrhundert ohne verbindendes Bekenntnis auskommen. Der Kirchenbund will nach einer Vernehmlassung vorerst das Gespräch über Glaubensinhalte fördern.

In einem Bericht an die Abgeordneten der Mitgliedkirchen hält der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK fest, dass „"dem Abbruch der christlichen Tradition in der Schweiz durch ein deutlicheres Profil der reformierten Kirchen entgegengewirkt werden kann"“. Das Bekenntnis sei dazu ein Mittel. Doch in der Schweiz ist das vorgegebene Glaubensbekenntnis infolge der Aufklärung als Zwang empfunden und die Verpflichtung darauf im 19. Jahrhundert aufgehoben worden. Dies unterscheidet die hiesigen Kirchen von den allermeisten Kirchen weltweit, die Bekenntnisschriften haben und deren Mitglieder im Gottesdienst das Credo miteinander sprechen.

Sprachlosigkeit ernüchtert
Die Verpflichtung auf ein Bekenntnis liegt den Schweizer Reformierten mehrheitlich fern. Doch in den helvetischen Stolz, bekenntnis-frei zu sein, hat sich in den letzten Jahren Ernüchterung gemischt: Viele können gar nicht mehr sagen, was sie glauben, und sind faktisch bekenntnis-los geworden. Der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich begründete 2009 eine Motion mit dem Ziel, „"die Sprachfähigkeit des christlichen Glaubens zu erhalten".

Bekenntnissammlung, Motion, Vernehmlassung, Bericht
Mit der Motion gaben die Mitgliedkirchen dem Kirchenbund den Auftrag, über den Nutzen und den Gebrauch der Bekenntnisse -– auch im Gottesdienst -– eine Vernehmlassung durchzuführen. Eine Gruppe um den Theologen Matthias Krieg von der Zürcher Landeskirche hatte in einem Werkbuch reformierte Bekenntnisse zusammengestellt und ein neues Bekenntnis vorgelegt. Alle Pfarrämter erhielten das Buch. Auf seine Vernehmlassungs-Fragen erhielt der SEK 2011 aus der Deutschschweiz jedoch weniger als 200 Antworten, aus der Romandie kam kein Dutzend.

Hilfe fürs Gespräch über den Glauben
In dem Auswertungsbericht an die Mitgliedkirchen (Auszüge) hat der Kirchenbund auch "„Perspektiven auf das Bekenntnis“" in fünf Thesen formuliert:

  • "Dem Abbruch der christlichen Tradition in der Schweiz kann durch ein deutlicheres Profil der reformierten Kirchen entgegengewirkt werden. Das Bekenntnis ist dazu ein Mittel.
  • Bekenntnis entsteht aus der Praxis: Eine lebendige Kultur des Bekennens kann zum Bekenntnistext führen.
  • Bekenntnisse ermöglichen das Gespräch über den Glauben -– wenn sie breit thematisiert werden.
  • Bekenntnisse sind Sprach- und Denkangebote, die der Interpretation bedürfen.
  • Eine Vielfalt an Bekenntnissen spiegelt reformierten Glauben wieder -– eine Verpflichtung auf ein einziges Bekenntnis findet keine Mehrheit".“

"Die Revolution hat nicht stattgefunden"
Am 18. Juni wurde der Bericht des SEK-Rats von den Abgeordneten der Mitgliedkirchen in Aarau besprochen -– ohne die Emotionen, die dem Thema eigen sind. Das Ergebnis der Vernehmlassung ist eindeutig, wie Kristin Rossier Buri vom SEK-Rat eingangs festhielt: „"Die Revolution hat nicht stattgefunden. Die Bekenntnisfreiheit wird heute nicht abgeschafft. Anscheinend ist die Zeit dafür nicht reif".“ Grösseres Interesse als das Werkbuch, so Rossier, gelte der Frage, "„wie das Bekennen ins kirchliche Leben wiedereingeführt werden kann"“. Das Werkbuch habe eine Debatte darüber ausgelöst, ob das Bekennen notwendig sei, einen Mehrwert ergebe oder vielmehr Gefahren beinhalte.

Die Abgeordneten des Kirchenbunds Mitte Juni 2012 in Aarau (Bild: Thomas Flügge, SEK).

Tabu gebrochen
Der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller äusserte sich zufrieden über den Bericht. Der SEK zeige auf, „"was weiter wachsen kann"“. Das Bekenntnis im Gottesdienst sei kein Tabu mehr. Die Kultur des Bekennens zu pflegen, bezeichnete Müller als Aufgabe der Erwachsenenbildung. Der Berner Fritz Wegelin befand es für richtig, "„dass wir Reformierten an der Bekenntnisfreiheit festhalten werden"“. Der Verzicht auf ein verpflichtendes Bekenntnis sei typisch reformiert geworden, gehöre zur Identität der Reformierten. Doch „"dem allmählichen Verdunsten christlicher Glaubensinhalte in unserer Gesellschaft“" müsse entgegengetreten werden.

Der Berner Sprecher beantragte daher, dass der SEK und die Kirchen den „"Bekenntnisprozess in geeigneter Form weiterverfolgen"“. Zentrale Fragen seien zu vertiefen. Jean-Michel Sordet (VD) von der GPK des Kirchenbundes fand, es gelte an der Fähigkeit zu arbeiten, den Glauben auszusagen. Der Baselbieter Martin Wüthrich äusserte die Hoffnung, dass das vom SEK-Rat in Aussicht gestellte Glaubensbuch hier Fortschritte bringt.

Die Abgeordneten nahmen den Bericht des Rats über die Vernehmlassung zur Kenntnis, sagten Nein zum Berner Antrag und schrieben die Motion von 2009 ab.

Der Bericht des SEK-Rats zur Vernehmlassung und zur Bekenntnisdebatte im Wortlaut
Auszüge aus dem Bericht