Auch der schönste Streit braucht ein Ende

Reformierte Kirchgemeinden blühen auf, wenn Zusammenarbeit gelingt. Doch nicht selten kommen jene, die es gut meinen, einander ins Gehege. Was tun, wie streiten? Der Mediator und Coach Marcus Weiand rät zu Demut, Sanftmut und Geduld.
 

Dem römischen Staatsmann Cato dem Älteren (234-149 v. Chr.) wird nachgesagt, dass er in der Zeit vor den dritten Punischen Kriegen jede seiner Reden mit dem ceterum-censeo-Satz beendete: «Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.» Anlass für diese sehr persönlich anmutende Fehde war möglicherweise, dass seine Bemühungen als Schiedsrichter zwischen Karthago und Numidien von den Karthagern abgelehnt wurden. Karthago wurde wenige Jahre nach Catos Tod völlig zerstört.

Streit, bis man seinen Willen durchgesetzt hat – das gibt es sogar in heutigen Kirchen. Es geht zwar nicht um Leben und Tod, aber durchaus um Sieg oder Niederlage. Wie wäre es, wenn ein Pfarrer nach jeder Predigt anfügt: «Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das alte Gemeindehaus abgerissen und neugebaut werden soll!» Steter Tropfen höhlt den Stein – oder hört man den Satz bald schon nicht mehr?

Vielleicht geschieht das nicht auf diese Art und Weise, aber es passiert, dass immer wieder die gleichen Themen auf den Tisch gebracht werden. Die Gegenseite reagiert zunehmend gereizt und genervt. Man dreht sich im Kreis und kommt nicht weiter. Die einen fühlen sich nicht mehr gehört, die anderen wollen nicht mehr zuhören – ist denn nicht schon alles gesagt? Wer sich nicht gehört fühlt, redet lauter, was allerdings die Hörbereitschaft abnehmen lässt.

Und dann passiert das, was der österreichische Philosoph Paul Watzlawick sagte: «Wenn Du immer wieder das tust, was Du immer schon getan hast, dann wirst Du immer wieder das bekommen, was Du immer schon bekommen hast.» Wenn lauter werden bisher nicht geholfen hat, wird ein erneutes Hochschrauben der Lautstärke nicht plötzlich Zuneigung hervorrufen. Und wer sich immer fester die Ohren zuhält, wenn jemand etwas Unangenehmes sagt, wird kaum zu guten Lösungen kommen.

Watzlawick rät: «Wenn Du etwas Anderes haben willst, musst Du etwas Anderes tun!» Wie ist es möglich, konstruktiv zu streiten, statt zu zerstören? Wie kann ich so reden, dass ich gehört werde? Und wie gelingt es mir gut zuzuhören, ohne, dass ich mich verpflichtet fühle, die Meinung der anderen Person zu übernehmen? Wie kann es gelingen, dass nicht alles um Kampf oder Flucht geht?

Wenn es nur noch um die Zerstörung des anderen geht, müssen einige Schritte gegangen werden, um den Konflikt zu deeskalieren. Das soll in diesem Artikel nicht den Schwerpunkt bilden. Hier geht es um die Frage, wie es gelingt, trotz unterschiedlicher Meinungen an guten Beziehungen zu bauen und Klarheit in das Thema zu bringen. Sprich: Wie kann man gut streiten, ohne sich zu zerstreiten. Dazu drei Stichwörter: Geduld, Wahrheit, Verantwortung.

Geduld
«Ertragt einer den andern in Liebe», steht in Eph. 4,2. Denn das entspricht der Berufung, „mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld.» (Eph. 4,1) Einander ertragen in aller Unterschiedlichkeit gehört also zum Kern der Nachfolge Jesu. Sie ist nicht optional. «Aber ist nicht irgendwann genug?» – kommt dann relativ schnell als Einwand. «Wann habe ich genug ertragen?» Mir scheint, bevor wir uns die Grenzen anschauen, lohnt es sich, das «Einander-Ertragen» etwas auszuhalten.

Einander ertragen ist gelebte Nächstenliebe. Ich wende mich einer Person zu und schenke ihr meine Aufmerksamkeit, so wie der Samariter sich dem Überfallenen aus dem Gleichnis von Jesus zuwendet (Lukas 10,30). Er lässt sich unterbrechen. Andere Dinge müssen warten. Für den Philosophen und Theologen Clemens Sedmak ist genau das einer der Kernpunkte von Liebe, dass man sich unterbrechen lässt. Manchmal fühlt sich das nicht wie Nächstenliebe an, sondern eher wie Feindesliebe. Aber auch das ist ja ein Kennzeichen der Nachfolger Jesu (Matthäus 5,44-45).

Deswegen steht meines Erachtens diese Frage am Anfang: Bin ich der Person, mit der ich im Streit liege, mit Geduld (ich lasse mich unterbrechen), in Demut (ich weiss um meine eigenen Grenzen) und Sanftmut (ich bin freundlich) begegnet? Fühlte sich die andere Person gehört?

Übrigens, es hilft manchmal, sich zu erinnern, dass jeder auch mal auf der anderen Seite ist: Manchmal frustriert, nicht gehört zu werden und ein anderes Mal frustriert von Menschen, die immer wieder die gleichen Themen hervorbringen. Das Wissen darum kann helfen, gnädiger mit der anderen Person zu sein.

Wahrheit
Interessanterweise gibt es Geduld nicht ohne Wahrheit. Epheser 4,15 betont: «Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.» Liebe freut sich an der Wahrheit (1. Korinther 13,6). Zur Liebe gehört Klarheit. Sich eine Meinung bilden und diese zu vertreten ist wichtig für einen Gesprächsprozess. Es ist eine notwendige Zumutung. In einem Gespräch ist es dann möglich um die beste Lösung zu ringen. Ein Streit wird konstruktiv, wenn wir andere Meinungen aushalten und im Gespräch bleiben.

Wenn viel auf dem Spiel steht, z. B. die Grundausrichtung der Kirchgemeinde, die Bewertung zentraler theologischer Fragen, überhaupt Entscheidungsprozesse, fällt das sehr schwer. Schnell macht sich die Angst breit, dass alles schlimm enden könnte. Dann sind Geduld und Wahrheit ein hilfreiches Paar: Es wird nichts überstürzt, es wird nichts unter den Teppich gekehrt, nur weil man den Streit vermeiden will. Man bleibt einander zugewandt und im Kontakt, obwohl man die Standpunkte sehr klar benennt.

Viele Menschen sind sehr zurückhaltend damit, ihre Meinung zu sagen, wenn es nicht in einem vertrauensvollen Rahmen geschieht. Sie sind dann eher still. Andere sagen sehr schnell ihre Meinung, aber manchmal zu hart, zu absolut, so als hätten sie Sorge, dass es einen Widerspruch gibt. Beiden Personengruppen hilft es, wenn der Rahmen von Vertrauen geprägt ist. Demut, Sanftmut und Geduld bereiten den Boden für ein ehrliches Gespräch. So ist Liebe wahrhaftig. Und so kann eine Gemeinde wachsen und reifen, zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Verantwortung
Aber wann ist genug? Was, wenn man unterschiedlicher Meinung bleibt? Das kommt natürlich auf den Zusammenhang an. Jede Kirchgemeinde hat ja bestimmte Regelungen, wie Entscheidungen getroffen werden. Aber grundsätzlich gilt: In Pattsituationen müssen die jeweils Verantwortlichen ihre Verantwortung wahrnehmen, manchmal auch durch Grenzziehung.

Matthäus 18,18 macht deutlich, dass die Gemeinde und deren Verantwortliche eine Entscheidung treffen und diese dann auch durchführen. Die Gemeinde hat die Aufgabe, bestimmte Dinge zu «binden» und andere zu «lösen». Wer Verantwortung übertragen bekommen hat und diese Verantwortung in Geduld und Wahrheit ausübt, trägt viel dazu bei, dass eine Gemeinde auch schwierige Gespräche durchstehen kann und man auch mit unterschiedlicher Meinung Gemeinde sein kann.

Der Abschnitt aus Matthäus 18 nimmt im Anschluss an die «Gemeinderegel» nicht ohne Grund das Thema Vergebung auf. Dort, wo Menschen sich einander zumuten, wird man sich Dinge vergeben müssen. Vergebung ist dabei kein nettes Sahnehäubchen. Für Jesus kann mangelnde Vergebungsbereitschaft alles zu Fall bringen. Das gleiche gilt übrigens auch für den Fall, dass man sein eigenes Fehlverhalten kleinredet oder von den Betroffenen schnelle Vergebung verlangt.

Wenn wir uns das nächste Mal wieder gegenseitig nerven: Wie wäre es, zu überlegen, was bei mir gerade zu kurz kommt. Ist es Geduld? Ist es Wahrheit und ich bin nicht klar genug in dem, was mir wichtig ist? Übernehme ich meine Verantwortung nicht? Oder verlange ich von anderen etwas wofür ich selbst keine Verantwortung tragen muss? Ich merke: Am Ende liegt doch viel an meinem eigenen Verhalten. Und ich dachte immer, die anderen seien schuld… .

 

Dr. Marcus Weiand ist Leiter des Institut Compax am Bildungszentrum Bienenberg in Liestal/Schweiz. Seine Schwerpunkte sind Fragen der Konfliktprävention, des Umgangs mit Konflikten und den Themen Vergebung und Versöhnung. Darüber hinaus ist er als Mediator und Coach tätig. Er wohnt mit seiner Familie in Weil am Rhein.

Informationen zur Fortbildung «KonfliktberaterIn» (CAS), der zusammen mit der Uni Fribourg und dem Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft durchgeführt wird, finden Sie unter www.bienenberg.ch.

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