Am Apostolikum wachsen
Sind Überraschungen zu erwarten, wenn ein Dutzend Theologen zum Apostolikum sprechen? An der Universität Bern lief im Frühlingssemester eine Ringvorlesung zum bekanntesten Glaubensbekenntnis der westlichen Christenheit.
Den Beginn machte am 15. Februar Matthias Wüthrich, seit kurzem Assistenzprofessor an der Universität Zürich. Er verdeutlichte mit dem Brief des jungen Theologiestudenten Friedrich Schleiermachers von 1786, wie sich durch die Aufklärung das (vermeintliche) Nicht-Glauben-Können verbreitete. Das credo gehe in der Moderne auch jenen, die es wünschten, nicht einfach über die Lippen. «Wie und was geglaubt wird, ist individuell und vielgestaltig.»
Mit geliehenen Worten
Die Berner Theologieprofessorin Magdalene Frettlöh (Bild), mit der Berner Kirche und dem Kirchenbund Veranstalterin der Ringvorlesung, hatte eingangs Fulbert Steffensky zitiert, dem es nach all den Abräumaktionen des 19. und 20. Jahrhunderts darum geht, nichts voreilig abzuschaffen, sondern zu interpretieren. Wie kann es gehen, den eigenen Glauben unter jene grosse Wolke von Zeugen stellen, die uns vorangegangen sind? «Was bedeutet es, mit geliehenen Worten zu sprechen?»
Rekonstruieren?
Als Problem bezeichnete Matthias Wüthrich, dass das im Apostolikum Genannte von den meisten Zeitgenossen «nur noch schwer oder zumindest nicht direkt» auf ihre eigene Erfahrung bezogen werden könne. Was tun? Die Aussagen – etwa den Gang Jesu ins Totenreich – zu schlucken oder ihnen blind zu vertrauen: das sei auf dem Boden reformatorischer Theologie kaum zu vertreten. Ein Drittes ist, die Aussagen neu zu formulieren. Weiter trägt laut Wüthrich wohl ein Viertes: sie von den biblischen Geschichten her theologisch zu rekonstruieren. Die Höllenfahrt könne dann als Bild verstanden werden für die Endgültigkeit des Siegs über das Böse und die universale Heilsbedeutung des Kreuzes.
Wenn derart, mit theologischer Arbeit, Bedenken aus dem Weg geräumt sind, bleibt die Frage, was «glauben» eigentlich heisst. Matthias Wüthrich verwies auf die frühen Protestanten, die Wissen, Anerkennen und Vertrauen als Aspekte des Glaubens bestimmt hatten. Wissen allein rettet nicht. Im Kern geht es um Vertrauen auf den Gott, der sich offenbart hat und verlässlich ist. Mit Martin Luther: «Woran du nun … dein Herz hängst und (dich) verlässest, das ist eigentlich dein Gott.» Karl Barths Definition des Glaubens ergänzte Wüthrich: «Glaube ist eine geschenkte Begegnung zwischen Gott und Mensch, in der Gott verherrlicht wird, indem der Mensch ihm vertraut, ihn erkennt und ihn in Wort und Tat bekennt.»
Einfache Sprache
Mit einer Überraschung kam Marco Hofheinz (Bild) in die Ringvorlesung. Der nun in Hannover lehrende Theologe (2006-2010 Assistent in Bern) sprach am 29. Februar zum Satz «Ich glaube an Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde». Er tat es mit einer Auslegung von Matthias Claudius‘ Lied «Der Mond ist aufgegangen».
Laut Hofheinz steht die akademische Theologie oft in der Gefahr, sich zu entkirchlichen: «Das, worüber sie redet, kommt ihr abhanden.» Der theologischen Reflexion voraus geht die einfache Rede von Gott, in der Sprache des Glaubens (Friedrich Mildenberger). Marco Hofheinz unternahm es, im Durchgang durch die sieben Strophen des Lieds eine Perspektive auf die Welt als Schöpfung – und auf Gott als Schöpfer – theologisch zu erkunden.
Schöpfungsglaube im Lied
Der Mond ist für Matthias Claudius mehr als der Erdtrabant, denn «jenseit des Monds ist alles unvergänglich». Das Lied nimmt in sechs Strophen kunstvoll ein altes Muster christlicher Meditation auf (imaginatio, consideratio, applicatio, oratio) und rekapituliert es in der Schlussstrophe. Im Glauben wird Natürliches als Schöpfung gesehen: der Himmel ewig, die Erde vergänglich, der weisse Nebel in der Mitte. «Der Mond am Himmel in der Nacht ist auch ein freundlich Zeichen seiner Macht.»
Dem Pfarrerssohn Claudius war die hereinbrechende Nacht keine Bedrohung; vom Jammer des Tages gewährt sie Ruhe. Hofheinz: «Die Natur verflüchtigt sich nicht, aber verwandelt sich zum Gleichnis, das auf Gott hinweist. Welt und Gott werden nicht identifiziert, aber die Welt erinnert zeichenhaft an den Schöpfer.»
Grenzen der Erkenntnis
Der Mond lehrt die Grenzen menschlicher Erkenntnis (Strophe 3); dem Sehen überlegen ist das Schauen, das aber erbeten werden muss. «Die Natur erschliesst sich als Schöpfung nicht abgesehen vom Schöpfer, sondern nur vom Schöpfer her.» Die Einfalt (Einfachheit, Geradheit) des Glaubens, laut Claudius von den Kindern zu lernen, trägt die geschöpfliche Lebensform, fromm und fröhlich und im Vertrauen auf Gott alles zu tun und hinzunehmen, auch den Tod. «Kalt ist der Abendhauch.»
Das Lied endet unvermittelt mit dem kranken Nachbarn – nicht in Harmonie. Denn «auch Gott ist noch nicht am Ende mit seiner Schöpfung». Der Glaube erschliesst das noch Ausstehende! Marco Hofheinz wies darauf hin, dass im Alten Testament der Begriff der Natur fehlt. «Matthias Claudius leitet uns an, Natur und Schöpfung zu unterscheiden, indem er die Natur in seiner Schöpfungswahrnehmung einbindet.»
Maria und die Kirchen
Was bedeutet die Nennung Marias im Apostolikum für den Glauben? Zur Darlegung der ökumenisch strittigen Thematik luden die Veranstalter am 14. März den christkatholischen Theologen Andreas Krebs ein, der nach Jahren in Bern nun eine Professur in Bonn innehat.
Krebs schlug zur Bearbeitung der Fragen um Maria ein Modell der Ökumene vor, das auf das gemeinsame Fragen fokussiert. Zuerst skizzierte er die neuzeitliche Kirchengeschichte: Auf die erste Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert folgte im 19. Jahrhundert eine zweite, mit einer Neuentdeckung marianischer Frömmigkeit unter ultramontanen Vorzeichen (Papst als Bollwerk gegen modernen Unglauben, Maria als Zentralfigur der Frömmigkeit: 1854 «unbefleckte Empfängnis»).
Ökumene als Weg-Gemeinschaft
Für Andreas Krebs lohnt es sich im Blick auf Maria, konfessionelle Engführungen aufzubrechen. Wenn es nicht gelingt, hinter Kirchentrennungen zurückzugehen, kann mit ihnen umgegangen werden? Angesichts der Sackgassen in der ökumenischen Konsenssuche – heute sei die Betonung konfessioneller Differenzen wieder salonfähig geworden, Differenzierungen würden beiseite gewischt – schlug Krebs ein Modell des «gemeinsamen Fragens» vor: Man bleibt bei unterschiedlichen Antworten, die als vorläufig anerkannt werden, im Gespräch und benennt Differenzen, erzwingt nicht Harmonie.
Laut Krebs zeigt sich bei derartiger ökumenischer Ehrlichkeit auch eine Meinungsvielfalt innerhalb der Konfessionen, da sie ihre Tradition nicht als Einheit konstruieren müssen. Er zitierte Kurt Stalder, der Ende des 20. Jahrhunderts in Bern christkatholische Theologie gelehrt hatte: «Die Frage macht die Gemeinschaft, nicht die Antwort.»
Fruchtbare Mehrdeutigkeiten
Sein Modell erläuterte Andreas Krebs, indem er zu Maria nicht Lehrsätze, sondern Fragen und Ambivalenzen formulierte – und dies derart, dass sie Christen aller Kirchen angehen: 1. Männlichkeit und Weiblichkeit – 2. Judentum und Heidentum – 3. Gottes Handeln und menschliche Freiheit.
Bei den neuen Sichtweisen auf Maria (feministisch, queer) fragte der Theologe, ob sie nicht nur akademische Gedankenspiele, sondern wirklich «lebensmächtige Deutunge» seien. Die Vermischung mit Muttergöttinnen-Kulten habe «heidnische Einschreibungen in das biblische Narrativ» zur Folge gehabt. So stehe die Jüdin Mirjam, als Mutter Jesu «in der christlichen Tradition sowohl trennend als auch verbindend zwischen Israel und der Kirche». Krebs plädierte dafür, es bei dieser Mehrdeutigkeit zu belassen und Maria als «Verbindungs-- und Grenzgestalt» zu sehen.
Zur Spannung zwischen Gottes Handeln und menschlicher Freiheit hob der Referent hervor: «Es kommt vom Heiligen Geist, dass Maria Gott an sich handeln lässt und auf wunderbare Weise den Sohn empfängt.“ Sie habe ihr Ja («Mir geschehe nach deinem Wort») nicht aus eigener Kraft gegeben und doch Ja gesagt. Damit stehe sie exemplarisch für die Menschheit. Gott wolle den Menschen nicht gegen seinen Willen erlösen; er wolle «ein freies Gegenüber – mit allen Risiken, die darin eingeschlossen sind».
Die Vorlesungen sollen in einem Buch gesammelt erscheinen.