Die EKS vor der Wahlsynode
Mit Rita Famos aus Zürich und Isabelle Graesslé aus der Waadt haben die Synodalen der EKS eine Wahl. Die beiden Theologinnen stellten sich in regionalen Hearings vor und legten Ideen zur Vertrauensbildung dar. Famos lobt die reformierte Vielfalt, Graesslé sieht die Kirche im kulturellen Wandel stark gefordert.
Der Doppelrücktritt aus dem Rat, der die EKS im Frühjahr in die Krise stürzte, führte zur Überlastung der leitenden Gremien und zu weiteren Rücktritten. Daher haben die Synodalen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz am 2. November für den Rest der Amtsdauer 2019-2022 nicht nur zwei Sitze im Rat zu besetzen, sondern auch das Präsidium der Synode und ihrer Nominationskommission neu zu bestellen.
Fürs Synodepräsidium stellt sich die Solothurner Synodalratspräsidentin Evelyn Borer aus Dornach zur Verfügung, als ihre Vize die Aargauer Kirchenrätin Catherine Berger-Meier aus Rheinfelden und der Neuenburger Synodalratspräsident Christian Miaz. Für die Leitung der dreiköpfigen Nominationskommmission kandidiert der Walliser Pfarrer Gilles Cavin. Als Ratsmitglied kandidiert die Berner Methodistenpfarrerin Claudia Haslebacher, die 2017-2018 die AV des SEK leitete.
Zwei Kandidatinnen für den EKS-Ratsvorsitz
Im Vordergrund steht die umstrittene Wahl ins Ratspräsidium. Neben Pfarrerin Rita Famos, Abteilungsleiterin in der Zürcher Landeskirche, strebt Isabelle Graesslé, die als erste Frau 2001-2004 die Genfer Compagnie des pasteurs et des diacres moderierte und 2004-2016 das Genfer Reformationsmuseum leitete, den Vorsitz an. Die beiden stellten sich in regionalen Hearings den Synodalen vor, am 23. Oktober den Vertretern der Ostschweizer Kirchen.
Die gebürtige Strassburgerin Isabelle Graesslé, 61, ist zweisprachig mit einem lutherischen Vater und einer katholischen Mutter aufgewachsen. Sie studierte zuerst Altphilologie und kam dann fürs Theologiestudium nach Genf. Die habilitierte Theologin sieht die Kirche stark betroffen vom kulturellen Übergang. «Eine Welt geht zu Ende; eine andere Welt entsteht», sagte sie in Frauenfeld. Religiöse Traditionen verlören an Prägnanz und Relevanz.
Die Reformierten «müssen sich neu erfinden»
Die Reformierten müssten «auf das verzichten, was keinen Sinn mehr hat», um sich neu zu erfinden, sagte Graesslé. Sie trat für einen engeren Anschluss an die Kultur der Gesellschaft ein, für EKS-Kontakte namentlich zu Künstlern und Schriftstellerinnen. Für theologische Fragen sollten Reflexionskammern geschaffen werden. «Was wäre ein protestantisches Ethos in den heutigen Kulturen?» In der Ökumene seien neue Wege zu gehen. Wünschbar sei ein Observatorium für neue Gottesdienstformen.
Die aktuelle Krise in der EKS lasse sich nicht leugnen, sagte die Theologin; zu ihrer Bewältigung sollten zuerst die bestellten Gremien ihre Arbeit tun. Der Wandel vom Kirchenbund zur Kirchengemeinschaft sei noch zu feiern. Sie wolle erst alle Mitgliedkirchen besuchen, um Erwartungen aufzunehmen, und dann mit dem Rat neue Brücken schlagen. Es gehe darum, durch Begegnungen der EKS mehr Sicherheit und besseren Zusammenhalt zu geben.
Graesslé träumt nach dem Jugendfestival Reformaction in Genf 2017 von einer nationalen Grossveranstaltung. Durch partizipative Treffen entstehe ein Gefühl der Zugehörigkeit. Die seit 2018 im Raum Lausanne tätige, von der Waadtländer Kirchenleitung unterstützte Pfarrerin verwies darauf, dass die Romandie seit 34 Jahren keinen Ratspräsidenten mehr gestellt hat.
Fasziniert von reformierter Vielfalt
Rita Famos, 54, im Berner Mittelland aufgewachsen, war während 18 Jahren Gemeindepfarrerin in der Zürcher Kirche. Sie vertrat sie 2011-2014 im Rat des SEK und leitete auch die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen der Schweiz AGCK. Seit 2013 steht sie der grossen Abteilung Spezialseelsorge der Zürcher Kirche vor. 2018 trat sie gegen Gottfried Locher an.
Reformierte Spiritualität sei ihr Lebenselixier, begann Rita Famos in Frauenfeld. «Je älter ich werde, desto mehr Facetten dieser vielstimmigen und modernen Kirche lerne ich kennen.» Die Vielfalt sei «unser Reichtum, unser Profil und unsere Chance». Daran wolle sie arbeiten.
Die EKS, nun als Kirchengemeinschaft gegründet, solle Handlungsgemeinschaft werden durch Mitwirkung der nationalen Synode, auch durch Gesprächssynoden und «möglichst bald» durch eine Jugendkonferenz. Zudem gelte es die Glaubensgemeinschaft zu pflegen – Famos lobte den von Pfarrerinnen initiierten digitalen, grenzüberschreitenden Pfingstgottesdienst – und Solidarität zu stärken. Die grossen Herausforderungen seien auf dem Land etwas anders als in der Stadt.
Mit Verweis auf das Böckenförde-Diktum sagte Famos, die EKS sei eine wichtige Playerin für das Funktionieren und den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Vertrauen wiederherstellen
Die anwesenden Ostschweizer Synodalen befragten die beiden Kandidatinnen zuerst getrennt, dann miteinander. Rita Famos plädierte für Vertrauensaufbau in der EKS durch «ganz offenes Gespräch», eine gesunde Streitkultur und kollegialen Austausch mit den kantonalen Kirchenpräsidien. Der neuen Verfassung der EKS (Leitung durch Synode, Rat und Präsidium) sei eine Chance zu geben. «Wir brauchen nicht neue Strukturen, wir brauchen eine neue Kultur.»
Im weiteren betonte Rita Famos, die mit dem Ustermer Finanzvorstand Cla Famos verheiratet ist, ihre langjährige Führungserfahrung und Vernetzung in viele Kantonalkirchen. Für die nationale Einflussnahme seien Kontakte in die Bundesbehörden wichtig. Auf die Vielfalt der theologischen Richtungen in den Gemeinden angesprochen, sagte Famos, sie habe eine «echt postmoderne Theologie» indem sie sich aus verschiedenen Quellen nähre: In der Jugend pietistisch geprägt, im Studium von der dialektischen Theologie, mit Anregungen von Paul Tillich, später feministisch, nun Seelsorge-bezogen: «In der Zerbrechlichkeit ist auch eine Kraft.»
Isabelle Graesslé äusserte, zur Bewältigung der EKS-Krise könnte eine Ombudsstelle helfen. Mit den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle sei das Gespräch zu suchen. Sie betonte ihre Weltläufigkeit mit dem Hinweis auf vielfältige ökumenische Kontakte in Genf und auf den Master of Divinity-Abschluss, den sie in den USA erlangt habe. Zudem leitete sie von 1992 bis 2001 die theologische Kommission des SEK.
Sie habe als liberale Theologin gegolten, sagte Graesslé, doch heute trage diese Qualifikation nicht mehr viel ab. In ethischen Fragen seien die Reformierten frei. Sie wolle «den Geist wehen lassen» und bei der Arbeit an neuen Konzepten – «maintenant, on doir se réformer» – um Einheit ringen, aber auch Minderheitsmeinungen akzeptieren. «Les évangéliques, c’est aussi le protestantisme.» Abschliessend erinnerte sie an den Wunsch der lateinischen Minderheit, nach 34 Jahren das nationale Präsidium wieder zu übernehmen.